Tobias Moretti: "Die Zeit tickt, wenn es ums Überleben geht"
Mit dem Zweiteiler „Im Netz der Camorra“ wagte sich ServusTV im September 2021 auf neues Terrain. Die Geschichte um den Südtiroler Winzer Matteo DeCanin, der von seiner dunklen Vergangenheit in Neapel eingeholt wird, war weit weg von gemütlichem Heimatfernsehen. Die Eigenproduktion reüssierte auch im Kooperationssender ZDF.
Nun folgt der dritte Teil „Der Gejagte“. Nach Andreas Prochaska führte nun Rick Ostermann Regie, erzählt wird eine klassische Rachegeschichte: Nach den gewaltsamen Vorgängen rund um den Konflikt mit seinem Jugendfreund Nino Sorrentino begibt sich DeCanin (Tobias Moretti) in ein Zeugenschutzprogramm und will gegen den Clan aussagen. Als Ehefrau Stefania einer Autobombe zum Opfer fällt, ist DeCanin nur noch ein Häufchen Elend und sieht in seinem Inselversteck alkoholisiert und desillusioniert dem Prozess entgegen. Tochter Laura (Antonia Moretti) verliert die Nerven und flüchtet. Das entgeht der Camorra nicht. Die Mafiapatin Antonia Romano (Gerti Drassl) will den Tod Sorrentinos rächen und bekommt Laura in ihre Fänge.
Mit Teil drei scheint die Saga in die Zielgerade eingebogen zu sein. Oder doch nicht?
KURIER: Aus aktuellem Anlass: Nun ist Christiane Hörbiger gestorben. Wie ist ihr Blick auf sie gewesen?
Tobias Moretti (per Videocall): Ein erfülltes künstlerisches Leben! Ich habe sie vor Jahren bei zwei kleineren Arbeiten als ungemein humorvolle Grande Dame kennengelernt. Das ganze Spektrum habe ich erst jetzt durch ihre Retrospektive im ORF gesehen, unglaublich diese Biografie und auch ihr ganz eigener Weg, sich aus dieser Dynastie in ihre eigene Schauspielpersönlichkeit zu emanzipieren. Obwohl sie so österreichisch war, war sie auf sehr sympathische Art sehr deutsch in ihrem disziplinierten Arbeitswesen. Ich kann mich nur in Ehrerbietung verneigen.
In "Netz der Camorra" steht der Tod bereits am Anfang vor der Tür, als Matteos Frau getötet wird. Wie sehr beeinflusst das sein Handeln?
Zu Beginn dieser Folge ist dieser Matteo DeCanin nicht wiederzuerkennen: ein gebrochener Mann, der von Schuldempfinden und Schmerz zerfressen ist. Der Tod seiner Frau hat ihn ausgehebelt. Seine Frau Stefania hat bis zum Schluss zu ihm gehalten, - sogar noch in der für sie völlig schizophrenen Situation, dass sie nicht mehr wusste, wer der Mensch eigentlich ist, der ihr am nächsten ist. Und nun durch eine Autobombe zerfetzt, weil er sich entschieden hat auszusagen. Durch ihren Tod ergibt sich aber eine ganz andere Situation. Die Tochter lebt nun mit einem im Vakuum versunkenen Vater, der nur noch ein Hauch von sich selbst ist, auf einer Insel im Kronzeugenprogramm. Ihr Vater, eine Größe im internationalen Weingeschäft, und plötzlich nur noch ein versoffener, apathischer Mensch ohne Perspektive. Die Tochter hält das acht Monate durch, dann kann sie nicht mehr. Der Schock, nicht nur die Mutter verloren zu haben, sondern auch den Vater und nun sich selber, ergibt den Kick für diesen Thriller.
Das Business der DeCanins steht nun im Hintergrund, denn es geht ja nunmehr um eine Rachegeschichte, ein Endspiel quasi.
Ein Endspiel, ja. Die Ausgangssituation ist für Matteo optionslos. Es gibt ja einen aktiven und einen passiven Verlauf in dieser Geschichte, einen, für den er verantwortlich ist und einen, für den er nichts kann, weil er nur noch Spielball ist und so reagiert, wie er muss, um Laura zu retten. Während er auf dieser Insel auf den Prozess in Neapel gewartet hat, ging es noch darum, die Rudimente seines Lebens irgendwie zu ordnen. Aber von dem Moment an, als Laura flieht, wird alles zum Wettlauf gegen die Rache des Clans. Die Tochter ist der einzige Lebensanker oder Rebstock, den er noch hat. Sich selbst hat er schon längst aufgegeben.
Um seine Tochter zu retten, muss er sein Alter Ego Lorenzo in sich quasi wieder erwecken ...
Dieser Lorenzo in ihm ist etwas, das er nie verliert, das gilt für jeden, der so aufgewachsen ist. Angenommen, jemand war Preisboxer und wird vom Preisboxer zum gefeierten linksintellektuellen Nobelpreisträger. Wenn er irgendwann in eine Situation kommt, die nicht steuerbar ist, kommt der Preisboxer wieder hervor. Das macht die Figur spannend, dass es Dinge, Muster gibt, denen Matteo nicht entkommt, sie sind verankert in seiner individuellen Mentalität, diesem Bodensatz aus Herkunft, kalabrischer Lebenswirklichkeit und angeeigneter Kultur.
Das mündet in einer starken Szene, wo er auf einen Mafiakiller trifft, während dessen Sohn anwesend ist. Was läuft da im Kopf von Matteo ab?
Das war eine der schwersten Szenen überhaupt. Wir haben lange nicht gewusst, wie wir das machen. Wir haben lange besprochen, wie man das zeigen kann, ohne Matteo zu entmenschlichen, - denn sonst verliert der Zuschauer das emotionale Interesse für ihn. Klar ist: Um die Tochter zu retten, muss er herausfinden, wo sie ist. Und er weiß, dass der andere ein gnadenloser, skrupelloser Mörder ist. Es wäre unrealistisch, wenn er milder handeln würde, weil das die Tochter umbringen würde.
Ist das eine grundsätzliche Zugangsweise von Ihnen, starken Einfluss auf einzelne Szenen zu haben?
Damit solche Schlüsselszenen authentisch und nachvollziehbar für mich selber sind, müssen sie im dramatischen Sinne stimmig gebaut sein, damit sie meiner Figur entsprechen. Dafür muss ich kämpfen, auch im Sinne des Regisseurs.
Bei "Im Netz der Camorra - Der Gejagte" gab es einen neuen Regisseur, Rick Ostermann. Wie war die Zusammenarbeit?
Bei den ersten beiden Teilen hat ja Andreas Prochaska Regie geführt, bei diesem Rick Ostermann. Ihn kannte ich schon von der Arbeit an "Das Haus" in Schweden. Auch das war ein Projekt, bei dem wir am Drehbuch gemeinsam gearbeitet haben.
Es ist recht wenig Zeit vergangen vom Drehschluss am 6. Oktober bis zur Fertigstellung.
Das hab ich so auch noch nie erlebt. Aber das war eben so, das war die Prämisse. Es sind ja auch noch ZDF und Magenta als Partner dazugekommen.
Es war jetzt die zweite Zusammenarbeit mit Antonia Moretti. Wie war der Unterschied zu den ersten Filmen, weil man sich ja nun schon als Schauspielduo kannte.
Es gab in den ersten beiden Teilen diese für mich anfangs befremdliche Parallele, dass die Filmbeziehung und die echte sehr ähnlich waren. Hier jetzt war es anders. In diesem Teil war sie schon autonomer in ihrer Welt, hat sich emanzipiert aus diesem Vater-Tochter-Verhältnis und greift von Anfang an aktiv in die Geschichte ein. Sie ist erwachsener, härter geworden und durch das Schicksal geprägt. Und das hat Antonia für mich toll gemeistert. Es ist ja nicht einfach, die gleiche Figur zu spielen, die aber einen anderen Charakter bekommen hat.
Diese Trilogie besticht durch sehr starke Frauenfiguren, es kommt auch die hochschwangere Mafia-Patin Antonia Romano ins Spiel. Es gibt auch Bücher zum Thema Frauen in der Mafia.
Mit dem Thema haben wir uns schon bei den ersten Folgen beschäftigt. Da gibt es ein Buch, das 1978 erschienen ist, und dann 1998 „Die Patinnen“ von Claire Longrigg. Die Mafia ist deshalb so eigen und so schwer zu orten, weil die Grundstruktur immer eine Art Familie ist. Da gibt es Dinge, die man rational kaum verstehen kann, im Positiven wie im Negativen. In so einer martialischen Männerwelt sind die Frauen ja nicht ohne Wissen. Es ist ja nicht so, dass die draußen ihr Unwesen treiben, und zu Hause glauben alle, der Vater ist bei der Post. Gerti Drassl hat die Figur so interpretiert, dass es zu einem Grenzgang wird. Diese Figur hat ja fast was Absurdes. Dass sie nach dem Tod des Bruders die neue Patin wird, neben dem dritten Bruder, fand ich spannend, dass sie noch dazu als Hochschwangere in diese Geschichte eingreift.
Musste an der Schlussszene auch lange inhaltlich gearbeitet werden?
Die Schlussszene wurde, wie am Schachbrett, figural designt, damit der Handlungsablauf funktionieren konnte. Die Drehlocation zum Showdown war zum Teil auf einem Militärgelände und zum Teil in einem Hafengelände. Daher konnte man dort nichts mehr probieren, es musste in kürzester Zeit alles stattfinden. Wir haben das vorher einmal in einem Turnsaal und zum zweiten Mal auf einem Parkplatz durchgeprobt. Es ging um die finale Ausweglosigkeit.
Ist eine Fortsetzung also nicht denkbar?
Eigentlich hat sich die Geschichte, was meine Figur betrifft, zu einem Ende entwickelt, wir haben es wie eine Art Finale gedreht. Trotzdem gibt es interessante Überlegungen, ob das auch weitergehen könnte.
Weihnachtszeit ist im Fernsehen auch Moretti-Zeit. Wie geht es Ihnen damit?
Es ist zwar schön, wenn erfolgreiche Filme immer wieder gezeigt werden, aber es spiegelt nicht zwangsläufig das Hier und Jetzt meiner Projekte wider. Es kann dann auch so was wie eine Inflation entstehen. Ich habe dann immer etwas Sorge um das Zuviel.
Sie spielen in letzter Zeit oft in Thrillern. Ist das ein Genre, das sie auch sehr interessiert und mit dem man viel erzählen kann?
Es gibt einen roten Faden in der Dramatik, und das Dramatischste ist der Existenzkampf. Und im Genre eines Krimis geht es um Leben und Tod. Und auch wenn man darin absurde, komödiantische oder auch psychologisch interessante Elemente verpackt, es gibt dieses Metrum. Die Zeit tickt, wenn es ums Überleben geht.
Aber würde Sie etwas Leichteres auch mal wieder interessieren?
Ja, sehr. Neulich habe ich mit meiner kleinen Nichte wieder den Kinderfilm "Yoko" gesehen. Solche Komödien machen einfach Lust. Letztendlich sind eine Komödie und eine Tragödie ja verwandt. Auch "Geschlossene Gesellschaft" am Burgtheater hat durchaus etwas Komödiantisches, obwohl es in so einer grauen, unentrinnbaren Hölle spielt. Die Leute sind gebannt und lachen gleichzeitig. Ich glaube, eine Art Ur-Impuls des Theaters.
Nun wurde die neue Jedermann-Besetzung bekannt gegeben. Wie sehen Sie die Entwicklung des "Jedermann" in Salzburg?
Abgesehen davon, dass ich sowieso ein Fan von Michael Maertens bin, freue ich mich unglaublich auf ihn als Jedermann. Die Valerie Pachner ist eine tolle Kollegin und eine wunderbare Schauspielerin. Dieses Stück hat, abgesehen von der äußeren Hülle und dem Drumherum der persönlichen Inszenierungen, eine innere Wahrheit. Dies ist der wesentliche Faktor.
Haben Sie neue Theater-Projekte in Planung?
Für die nächste Spielzeit am Burgtheater werden wir uns etwas überlegen. Was es wird und mit wem, sollte sich bis Anfang des Frühjahrs klären.
Wie erleben Sie die aktuelle Situation am Burgtheater?
Ich hab jetzt kürzlich mitbekommen, dass über eine schlechte Stimmung am Burgtheater geschrieben wird. Das kann ich überhaupt nicht orten. Aber ich habe den Artikel im Profil gelesen und die Gegendarstellung auch.
Was sagen sie zur Tiroler Hafermilch-Causa?
Welche Hafermilch-Causa? Ich komm grade vom Stall, wir haben jedenfalls richtige Milch. (lacht)
Die Tiroler Bauernschaft hat sich beschwert, weil es einen Werbespot der Tirol Werbung gibt, in dem Hafermilch und nicht echte Milch bestellt wird.
Zur Landwirtschaft kann ich sagen: In Tirol ist im Grünlandbereich das Geld nicht mit Quantität zu holen, nur mit Qualität. Und deshalb sind die meisten Betriebe biologisch. Wie wir auch.
Wie erleben Sie die Verbauung der Landschaft in Tirol?
Ich glaube, das größte Problem ist die Verbauung durch Gewerbezonen. Es ist mittlerweile nicht mehr zu verantworten und auch nicht mehr zu erklären, warum es innerhalb von 15 Kilometern drei Einkaufszentren braucht. Die können das gar nicht verdienen. Da geht es einfach nur um Standort und Marktanteil.
Sehen Sie für "Das Netz - Prometheus" auch nach der WM noch eine Möglichkeit, es weiterzuführen?
Für mich war das eigentlich abgeschlossen. Bei "Prometheus" fand ich, dass diese Überhöhung mit dem prometheischen Gedanken, wie sich der Mensch mit dem medizinisch Machbaren selbst überholt, gut funktioniert hat. Da war die WM in Katar noch zweitrangig. Ich halte die Ambition für nachvollziehbar, all diese Hintergründe zu thematisieren, aber das, was als Vernetzung abgehandelt wird, wurde von der Realität ja zwischenzeitlich sogar überholt.
Wie geht es Ihnen mit der Frage des WM-Boykotts?
Diese Korruption, - dieser undurchschaubare Haufen von Kalkül, Dreck, Geschäft und Leidenschaft, das ist eine merkwürdige Mischung. Da hat man einfach einen anderen Zugang zu haben, finde ich. Im ORF gab es eine tolle Dokumentation zum Thema, das wurde auch ein Schweizer Investigativjournalist interviewt, der das Geschehene aufgedeckt hat, sogar dafür bedroht wurde. Und letztlich auf die Frage, ob er sich die WM denn noch anschaut, hat er gesagt: Natürlich, weil ich den Fußball liebe und glaube, dass ich das ausklammern kann. Das fand ich sehr spannend und grotesk, aber es bringt die Sache auf den Punkt. Ich finde es trotzdem schade, dass man mit dieser Korruption sowohl den Fans als auch den Spielern die Freude am Fußball verdirbt.
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