Tarek Leitner übers Binnen-I: "Ich bin da nicht missionarisch"
Einen Rekordwert von rund 2,8 Millionen Zusehern erreichte die „Zeit im Bild“ am 15. März des Vorjahres, in der wohl viele zum ersten Mal gehört haben, was ein Lockdown ist. Tarek Leitner, heuer für eine ROMY nominiert, erzählt, was ihm damals durch den Kopf gegangen ist und warum er seit Kurzem gendert.
KURIER: Mittlerweile sind Nachrichten über Ausgangssperren nichts Neues mehr für uns, aber damals war das für viele ein Schock. Können Sie sich noch erinnern, wie es Ihnen dabei gegangen ist?
Tarek Leitner: Da hatte ich schon auch das Gefühl: Jetzt ändert sich unser Lebensalltag ganz grob. Was für mich nicht abzusehen war, aber ich glaube, für niemanden von uns, war, dass das eine so lange dauernde Veränderung sein wird. Es war spürbar, dass sich gerade unsere Welt wandelt – wenn auch nur in der Vorbereitung der ZiB. Auf Sendung ist es so, dass man konzentriert ist und durch diese Meldungen navigiert, ohne außergewöhnlich betroffen zu sein.
Sie haben mehrere Wochen in Isolation im ORF verbracht und von dort gearbeitet. Wie war es, die Kollegen im Pyjama kennenzulernen?
Naja, wir hatten schon das Glück, dass viele Kolleginnen und Kollegen im Homeoffice waren und wir in Büros, die nicht in Verwendung waren, gewohnt haben. Die waren breit verstreut und so ein enges Aufeinanderkleben war es auch wieder nicht (lacht). Aber es hatte den Vorteil, dass wir schon beim Frühstück über Inhalte und die Sendungsplanung sprechen konnten. Und das Ergebnis wird umso besser, je mehr Diskurs über eine Sendung stattfindet.
Haben Sie aus diesem Jahr Lehren oder Schlüsse ziehen können?
Was ich jetzt als Vorteil beschrieben habe, ist in der Folge ins Gegenteil verkehrt worden, durch die vielen Sitzungen, die nur noch über Skype stattfinden. Ich glaube, das ist ein Nachteil, von dem wir so schnell wie es die Pandemie erlaubt, wieder wegkommen müssen. Gute Ideen entstehen vielfach im informellen Bereich, am sprichwörtlichen Kaffeeautomaten. Telekonferenzen sind zwar effizient, um Dinge abzuarbeiten, aber nicht unbedingt effektiv. Journalismus hat ja nicht das Ziel, besonders effizient zu sein, sondern das Relevante und Richtige in der entsprechenden Gewichtung zu transportieren.
Sie sind jemand, der Dinge gerne in Buchform dokumentiert. Wird das vergangene Jahr in ein neues Projekt einfließen?
Das glaube ich nicht. Alles, was jetzt über diese Zeit geschrieben wird, im Versuch, einen großen Blick auf das zu haben, was sich da gerade ändert, ist mit Vorsicht zu genießen, weil der Abstand noch ein bisschen zu klein ist. Die unmittelbaren Auswirkungen werden wir ohnehin in den nächsten ein bis zwei Jahren sehen. Meine Interessen, was nächste Bücher betrifft, liegen in anderen Lebensbereichen. Das ist auch ganz wichtig, glaube ich, dass wir uns als Gesellschaft so weit wie möglich auch wieder anderen Fragestellungen und Themen widmen – sei es in der Politik oder in unserer Freizeit.
Und womit beschäftigen Sie sich aktuell?
Ich kümmere mich gerade ein bisschen um die Verwandlung des Bezirks Neubau. Es ist mir nach wie vor ein Anliegen, wie unsere gebaute Lebensumgebung aussieht. Ich hoffe stark, dass wir nach dieser Pandemie ein Stück weit mehr erkannt haben werden, wie wichtig es uns ist, uns in unmittelbarer Nähe unseres Wohnortes mit anderen Menschen zu treffen, in Gaststätten oder an öffentlichen Plätzen. Und ich hoffe, dass die Straßen nicht gesäumt sein werden von leeren Fassaden, weil wir uns daran gewöhnt haben werden, alles nur mit einem Klick einzukaufen.
Sie haben vor Kurzem damit angefangen, in der „ZiB“ das Binnen-I zu verwenden. Zuletzt konnte man aber wieder „Einwohner“ hören – haben Sie wieder aufgehört?
Nein, nein! Aber Sprache ist ja nicht Mathematik. Jeder Mensch hat Gewohnheiten und ich glaube, die Sprechgewohnheiten sind die am tiefsten verwurzelten, die man nicht durch Umlegen eines Schalters ändern kann. Da kann man sich nur Gedanken machen und ich glaube, dazu ist jeder verpflichtet, der öffentlich spricht. Man darf dem Ganzen nur nicht allzu viel Gewicht beimessen. Es ist kein Problemlöser für Geschlechtergerechtigkeit schlechthin. Aber nur weil es noch größere Probleme gibt, heißt das ja nicht, dass man die kleineren nicht auch angehen kann.
Was war der Auslöser, mit dem Gendern anzufangen?
Es gab nicht ein Ereignis, aber ich glaube, dass in der Gesellschaft fast jeder, der öffentlich spricht, nicht mehr akzeptiert, dass es einen Unterschied zwischen einem grammatikalischen und einem biologischen Geschlecht gibt. Als Medien sollten wir der Gesellschaft nicht hinterherhinken, sondern uns überlegen, wie wir dem nachkommen, was in der gesprochenen Sprache da ist. Wir sind jetzt in einer Phase der Umstellung, die durchaus schmerzhaft für viele sein kann, weil sie Gewohnheitsmuster durchkreuzt. Es wird sich erst langsam herauskristallisieren, welche die praktikable Lösung für das Sichtbarmachen weiblicher Rollen, Funktionen und Berufe ist.
Gibt es da Vorgaben im ORF?
Eine Regelung ist in Ausarbeitung, aber ich finde es auch sehr wichtig, dass wir unsere eigenen Wordings haben und es da keine starren Vorgaben gibt. Es gibt vom ORF schon die Initiative, Geschlechter und vor allem weibliche Rollen im Fernsehen auch verbal hörbar und sichtbar zu machen. Aber wie man das macht, muss man sich selber überlegen. Für mich scheint das Binnen-I eine durchaus plausible Lösung zu sein. Aber ich bin da überhaupt nicht missionarisch und nicht der Meinung, dass das jeder so verwenden muss. Ein paar machen es so, ein paar machen es anders. Wie sich die Sprache hier weiterentwickelt, werden wir sehen.
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