Reiterer und Anschober: "Das ärgert Sie, wenn ich Sie unterbreche“

Reiterer und Anschober: "Das ärgert Sie, wenn ich Sie unterbreche“
Verärgert hat man den Gesundheitsminister noch selten gesehen. Bei "Im Zentrum" am Sonntag schien seine Geduld auf dem Prüfstand zu stehen. Es ging um "Verschärfung, Verwirrung, Verunsicherung - Droht ein zweiter Corona-Lockdown?"

*Disclaimer: Das TV-Tagebuch ist eine streng subjektive Zusammenfassung des TV-Abends.*

„Kennen Sie jemand, der sich auskennt?“ - Die Einstiegsfrage von Claudia Reiterer an Rudolf Anschober beim ORF-Talk "Im Zentrum" ist schon einmal ziemlich spitz.

Der Gesundheitsminister antwortet, wie man es von ihm gewohnt ist. Ruhig und besonnen. „Natürlich“ sagt er, ohne freilich zu erläutern, wer diese Personen sind, die sich auskennen. Die Regierung kennt sich zumindest aus mit der Corona-Ampel, so will er es vermitteln, wenn er sagt, man habe sich gut auf den Herbst vorbereitet und nur manche Maßnahmen, die für später vorgesehen waren, vorgezogen. Diese Maßnahmen werde man nun „sehr intensiv“ kommunizieren.

Semantische Probleme

Reiterer liest heraus, dass die Kommunikation klarer werden müsse. Ob das nicht auch für die Kommunikation innerhalb der Regierung gelte? Allein bei der Frage, ob die zweite Welle schon da ist oder nicht, gebe es unterschiedliche Aussagen von ihm und Bundeskanzler Sebastian Kurz.

Anschober: „Wenn wir nur diese semantischen Probleme haben, sind wir eigentlich glücklich.“ Es sei klar gewesen, dass der Herbst „eine sehr schwierige Phase“ wird. Der bisherige Anstieg sei „besorgniserregend“, aber man sollte „keine Panik“ haben. Die Politik sollte wieder geschlossener auftreten.

Pamela Rendi-Wagner hält die zweite Welle ebenfalls für eine Definitionsfrage, die den Menschen egal sei. Sie würden dadurch aber verunsichert und seien letztlich "zornig und wütend". Weil der Vorsprung, den Österreich hatte, über den Sommer verspielt worden sei. Die SPÖ-Chefin will gleich zu Beginn vier Punkte, die aus ihrer Sicht nun wichtig seien, vortragen. Nach dem ersten Punkt („Plan für den Wintertourismus“) wird sie von Reiterer auch schon wieder gestoppt ("dann hat jeder seine vier oder zehn Punkte“) und auf die weitere Diskussion verwiesen. Vorher möchte sie noch die weiteren Gäste "mit hinein nehmen".

Gesundheitsminister werden "durch die Maschine gezogen"

Medizinhistoriker Harald Salfellner wird gebeten, zu erklären, welche „ganz große Lehre“ man aus der Spanischen Grippe (die übrigens gar nicht aus Spanien kam, sondern wahrscheinlich aus den USA) ziehen könne. Er sagt, es gebe „sehr viele Lehren aus der Spanischen Grippe“, eine wolle er dem Gesundheitsminister mitteilen: „Es ist sehr wichtig, sehr gut zu kommunizieren.“ Das habe Anschobers Vorgänger in den Jahren um 1918 ebenfalls getan. „Aber es hat ihm nichts genützt. Er ist für seine Spanische-Grippe-Politik geprügelt worden. Er hatte nur das Glück, dass seine Amtszeit rechtzeitig endete. Es endete eigentlich in einem Fiasko.“

Salfellners Fazit: „Man kann als Gesundheitsminister tun, was man will, man wird in so einem pandemischen Fall auf jeden Fall durch die Maschine gezogen.“

Anschober, augenzwinkernd: „Sie meinen’s heute aber gut mit mir ...“

Salfellner wünscht noch „viel Kraft, dass er das durchsteht.“

IM ZENTRUM: Verschärfung, Verwirrung, Verunsicherung - Droht ein zweiter Corona-Lockdown?

Die Philosophin Lisz Hirn ist etwas mehr im Hier und Jetzt unterwegs, sie mahnt ein ernsthafteres Umgehen mit dem Begriff Eigenverantwortung ein. Man sehe eigentlich, dass von der Politik „kollektives Fehlverhalten abgestraft wird“, wenn ein Bezirk einmal schlechtere Zahlen aufweise.

„Ich unterbreche Sie ungern“, sagt Reiterer zu Hirn. Sie hätte gern, dass Hirn schildert, welche Test-Odyssee sie hinter sich habe, weil sie kürzlich nach Deutschland reisen musste, nachdem Wien dort zum Risikogebiet erklärt worden ist.

"Vielleicht darf ich fertig sprechen?"

Man hat immer wieder den Eindruck, Reiterer hat in der Sommerpause einen Kursus in Unterbrechungskunde belegt. Vor allem den grünen Gesundheitsminister lockt sie damit ziemlich aus der Reserve. Anschober hat man selten so konsterniert gesehen.

Was habe die Regierung in den Sommermonaten wirklich vorbereitet, will sie wissen. Es gebe einen Pandemieplan aus 2006, sowie einen Ebola-Plan aus 2015. Im Jänner sei versprochen worden, dass ein aktualisierter Pandemieplan vorgelegt werde. „Gibt es den?“, fragt sie.

Anschober, etwas patzig: „Wir hatten in den letzten sieben Monaten anderes zu tun, als ein Schriftwerk fertigzustellen.“

An dieser Stelle könnte man anfügen, dass es seit dem Lockdown im März viele kleine Schriftwerke in Form von Verordnungen gab, deren Qualität zum Teil in der Kritik stand.

Reiterer bleibt hartnäckig beim Pandemieplan: „Aber das wurde im Jänner versprochen.“

„Entschuldigung“, sagt Anschober, „aber dann ist eine Pandemie gekommen, und zwar die schwerste Pandemie seit hundert Jahren. Das ist ja keine Kleinigkeit. Die Gesundheitsbehörden sind jetzt wirklich zu hundert Prozent damit ausgelastet und …“

„Na gut, dann frag ich anders …“

„Na, vielleicht darf ich den Satz fertig sprechen? Wäre angenehm.“

Aktionsplan

Es ist aber Reiterer, die fertig spricht: „Ich bin ja ein Laie. Hat man im Sommer die Zeit verstreichen lassen, ohne eine klare Teststrategie zu entwickeln?“ Ob er wirklich „keine Versäumnisse“ sehe?

„Geschätzte Frau Reiterer, im Juli wurde im Ministerrat einhellig ein Aktionsplan beschlossen“, sagt Anschober. 17 konkrete Maßnahmen seien vorbereitet worden, eine davon die Testungen. Die Teststrategie sei ein bisschen niederschwelliger angelegt worden, um schon bei geringen Symptomen testen zu können. Weiters verweist der Minister auf „Screeningprogramme, wo man in Risikobereiche hineinsieht“. Diese beträfen Menschen in beengten Wohnverhältnissen, prekäre Arbeitssituationen, etwa in Schlachthöfen, sowie Alten- und Pflegeheime.

In Vorarlberg sei man bereits auf durchschnittlich 20 Stunden vom Test bis zum Ergebnis. Wien werde jetzt nachjustieren.

„Die Verantwortung auf die Länder abschieben, kann man das so einfach?“ fragt Reiterer.

Anschober: „Das hat nichts mit Abschieben zu tun, das hat mit Zuständigkeiten zu tun.“

Rendi-Wagner für Schnelltests

„Jeder kennt jemand, der auf ein Testergebnis wartet“, sagt Rendi-Wagner. Ob sie dabei an den berühmten Kurz-Sager denkt?

Sie plädiert dafür, eine Expertengruppe mit der Ausarbeitung einer Schnellteststrategie zu beauftragen und will diese nun erklären. 

„Nur als Zwischenfrage: Hat hier nicht die rot regierte Wiener Stadtregierung etwas verabsäumt?“ - Reiterer hat in diesem Fall offenbar kein Problem mit dem Abschieben auf die Länder.

Rendi-Wagner: „Jetzt lassen Sie mich aber schon meinen Vorschlag zu Ende präsentieren.“ Bei den entwickelten Schnelltests sei man bereits bei 90 Prozent Sicherheit, daher seien sie geeignet, um eine sinnvolle, modernere Strategie zielgerichtet einzusetzen.

Reiterer fragt noch einmal, ob Wien sich früher organisieren hätte können.

„Allein diese Frage offenbart das Grundproblem, dass es keinen Gesamtplan gibt“, sagt die SPÖ-Chefin. „Warum unterhalten wir uns über ein einzelnes Bundesland?“ Sie sehe ein „Hickhack der Verantwortungen“.

Teststrategie

Die leitende Epidemiologin der Agentur für Ernährungssicherheit (AGES), Daniela Schmid, pflichtet Rendi-Wagner in puncto Schnelltests bei: "Antigen-Schnelltests sind der Schlüssel für Beschleunigung." Es gehe darum, den Zeitraum zu verkürzen, der vom Identifizieren einer Infektion und der Isolation der Betroffenen bis zum Contact Tracing verstreicht. Grundsätzlich sollte aber "sinnvoll" getestet werden, "um Ressourcen für Gruppen zu sparen, in denen das Testen Sinn macht", gab Schmid zu bedenken. Die Teststrategie würde oft "nicht richtig kommuniziert“.

Daher holt sie das jetzt nach: Wenn jemand Symptome habe, muss getestet werden, „das verlangt der Hippokratische Eid, dass er oder sie die bestmögliche Betreuung erhält.“ Die zweite Gruppe, die unbedingt getestet werden müsse, seien die Kontaktpersonen, die möglichst rasch ausfindig gemacht werden sollten, auch wenn sie noch asymptomatisch sind, also nicht klinisch erkrankt. „Bei diesen beiden Gruppen ist die Vor-Test-Wahrscheinlichkeit, dass sie positiv testen, sehr hoch“, sagt Schmid.

Touristen testen sinnlos

Die Tests in diesen beiden Kategorien seien vorrangig. Dann gebe es noch Gruppen, die in bestimmten Berufen arbeiten, bei denen angenommen wird, dass das Risiko, sich anzustecken, sehr hoch ist.

Weniger sinnvoll sei es zum Beispiel bei den Touristengruppen gewesen, im großen Stil zu testen. Die Wahrscheinlichkeit, positiv zu sein, sei hier einfach zu gering.

Philosophin Hirn kritisiert, dass die Regierung zuletzt zu viel Fokus auf Positivnachrichten gelegt hat, dass es zum Beispiel schon bald einen Impfstoff geben werde, „Es ist wichtig, eine Zukunftsaussicht zu geben, die vielleicht heißt: wir werden mit diesem Virus leben müssen“, sagt Hirn.

Reiterer wendet sich nun Salfellner zu. Wie es dazu kommen könne, dass Österreich vom Musterknaben zum Sorgenkind werde?

„Jedes Land kommt einmal in das zweifelhafte Vergnügen, hohe Zahlen zu haben“, sagt er. Jetzt seien eben Länder wie Österreich oder Tschechien dran.

"Testen, testen, testen“ sei bis zum Überdruss getrommelt worden, das dürfe aber nicht zum Selbstzweck oder zum Dogma werden, meint Salfellner. Die Kurve abzuflachen, sei anfänglich eine nachvollziehbare Sache gewesen, mittlerweile wisse er aber nicht mehr, was die Strategie der Regierung ist.

Ampelsterben oder Ampelpause?

Reiterer führt solche Verständnisprobleme auf die Corona-Ampel zurück und skizziert kurz die Hauptkritikpunkte. Dann fragt sie: „Ist die Ampel tot? Oder braucht es eine Ampelpause?“

„Ganz im Gegenteil“, sagt Anschober, wenig überraschend. Die Ampel sei „eine sehr positive Verstärkung unserer Arbeit“. Er versucht länger auszuholen, das Ziel zu erklären. Das Ziel, das mittlerweile jeder kennen sollte. Es gehe darum, an dieser „Weggabelung“ die Infektionen unter Kontrolle zu bringen, bis es einen Impfstoff gibt, den er bereits in der ersten Hälfte des nächsten Jahres erwarte.

Reiterer ist das zu theoretisch, sie müsse jetzt etwas zitieren, Nämlich einen Mann aus der Wirtschaft, der meint, die Ampel sei ein „Silberstreif am Horizont“ gewesen, jetzt sei aber das Gegenteil daraus geworden.

„Wenn Sie mich ausreden lassen, könnte ich es erklären. Das wäre vielleicht ganz angenehm …“

„Funktioniert die Ampel?“

„Ja.“

„Darf ich ausreden?“ 

Noch einmal fragt Reiterer, ob es eine Ampelpause brauche, um das Ganze zu überarbeiten.

„Warum sollte es eine Ampelpause brauchen?“ sagt Anschober. Es gebe eine Risikoanalyse durch die Ampel-Kommission, „um die uns halb Europa beneidet …“

„Nur nicht der Bundeskanzler …“

Anschober: „Darf ich ausreden?“ 

Er wirkt nun schon wirklich ein bisschen entnervt, versucht wieder zu seinem typischen Erklärstil mit einfachen Sätzen zurückzufinden. Letztlich habe die Bundesregierung mit der Beschränkung für Privatveranstaltungen und der Ausweitung des Mund-Nasen-Schutzes nur die Empfehlung der Ampel-Kommission, mit bundesweiten Maßnahmen einzugreifen, umgesetzt, sagt er.

„Das ärgert Sie jetzt, wenn ich Sie unterbreche“, sagt Reiterer.

„Hat nichts mit Ärgern zu tun, aber mit Gesprächskultur“, antwortet Anschober.

„Was ist das Problem?“

„Helfen Sie mir, diesen Gordischen Knoten zu lösen“, sagt die Moderatorin jetzt. Anschober und Kurz hätten vergangenen Donnerstag vor dem Tagen der Ampel-Kommission die neuen Maßnahmen verkündet, „das versteht dann keiner mehr“.

„Was ist das Problem?“ sagt Anschober; Das war offenbar nur rhetorisch gemeint, daher möchte er weiterreden.

Reiterer versteht das aber als Frage und unterbricht ihn erneut: „Wie der Bundeskanzler gesagt hat: Die Ampel ist das eine und die Bundesregierung kann aber etwas anderes entscheiden …“

Anschober lacht, gestikuliert, schüttelt den Kopf und sagt: „Wenn Sie das Gespräch führen, dann machen Sie das.“

Jetzt kann Anschober weiterreden. Er erklärt dann noch einmal, dass die Ampel ein „hervorragendes Projekt“ sei, das „in einer schwierigen Phase“ eingeführt worden sei, und dem man noch Zeit geben müsse.

Kein Ping-Pong

Reiterer stellt ausgerechnet in diesem Moment folgende Frage: „Man hatte zu Beginn der Krise den Eindruck, zwischen Sie und Sebastian Kurz passt kein Löschblatt, jetzt ist es mindestens ein Aktenordner, stimmt der Eindruck?“

Anschober bleibt ruhig. „Wir arbeiten weiterhin professionell zusammen“, sagt er. Man sei lediglich ab und zu über den Zeitpunkt für gewisse Maßnahmen uneinig. 

Es ist für eine Diskussion mit Politikern wichtig, hier und da einen überbordenden Redefluss zu stoppen, damit die Redezeit nicht für Altbekanntes verbraucht wird. Aber an diesem Sonntag ist es wohl des Guten zu viel. Der Redefluss bleibt nur dann erhalten, wenn der Politiker mitspielt. Anschober ist in diesem Fall aber nicht für ein Ping-Pong zu haben.

Blackbox Corona-Ampel?

Reiterer vergleicht dann die Corona-Ampelkommission mit einer „Blackbox“, also etwas Undurchsichtigem.

Daniela Schmid, die auch Sprecherin der Ampel-Kommission ist, ist natürlich der Meinung, dass sie „ganz und gar keine Black Box“ ist. Die Ampel bilde eben die Wahrscheinlichkeit, das Risiko, mit dem Virus in Kontakt zu kommen, für verschiedene Regionen ab. Die Fallzahlen alleine könnten dies nicht leisten, daher brauche es die Ampel.

Reiterer: „Fakt ist. die meisten können es nicht nachvollziehen“. Sie verstehe sich als „Anwältin des Publikums“. Es wirke daher oft so, „als würd’ ich da sitzen und es nicht verstehen.“

„Dann lassen Sie es uns bitte erklären!“, sagt Anschober.

Wir können verraten: Ganz ist das auch bis zum Ende der Diskussion nicht gelungen.

Alles auf der Homepage

Auch Rendi-Wagner fordert mehr Transparenz in Sachen Ampel-Entscheidungen.

Anschober meint: "Steht alles so auf der Homepage."

"Ist so aber nicht rübergekommen."

"Na, aber dann muss man lesen."

Wenn alles auf einer Homepage steht, dann ließe sich vielleicht auch die Anzahl der Regierungs-Pressekonferenzen reduzieren. Diese Idee bringt aber bei "Im Zentrum" niemand ein. Wozu auch? Politik kann nicht über Homepages erklärt werden.

Kein Wettrennen

Dafür gibt es am Ende noch einen netten Schlagabtausch zwischen Rendi-Wagner und Anschober.

Rendi-Wagner sagt: „Wir können uns keinen zweiten Lockdown leisten.“

Anschober: „Absolut."

Rendi-Wagner: „Da sind wir einer Meinung. Aber der Vorsprung wurde verspielt, jetzt müssen wir Vollgas geben.“

„Es ist ja kein Wettrennen …“

„Hoffentlich auch kein Beliebtheitswettbewerb innerhalb der Bundesregierung, hoff’ ich“, sagt Rendi-Wagner und lacht.

„Genau, auch nicht zwischen Opposition und Regierung.“

„Sowieso nicht …“

Anschober: „Denn wir müssen hier zusammenstehen jetzt …“

„Genau, wir müssen jetzt zusammenstehen.“

Das hört sich ja schon fast wie ein Schulterschlüsschen an.

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