TV-Porträts: Zwei Schauspiellegenden, und jede eine Grande Dame
Zwei österreichische Schauspielerinnen, zwei bekannte Namen der Theater-, Film- und Society-Geschichte und doch so völlig unterschiedlich in ihrer Außenwahrnehmung: In der Reihe „Schauspiellegenden“ bittet ORFIII am Samstag, ab 21.05 Uhr Susi Nicoletti und Senta Wengraf (22.00 Uhr) vor den Vorhang. Film-Expertin Gabi Flossmann setzt damit, nach zuletzt TV- und Theater-Star Christiane Hörbiger (20.15 Uhr als Wdhlg.) ihre Porträt-Reihe für den ORF-Kultursender fort.
„Die Nicoletti war nicht nur eine großartige Komödiantin und Grande Dame, sondern auch eine sehr gute Schauspiellehrerin, für die man Schlange stand. Aus nicht wenigen ihrer etwa 800 Schüler wurden später wirkliche Stars“, erklärt Flossmann. „Privat hatte sie ein wechselvolles, aber bis ins Alter heiteres Leben, in dem sie sich auch über die schwierige Nazi-Zeit hinwegspielen konnte.“
Mit damals zwei kleinen Kindern hielt sich Nicoletti, mit der Familie von Thomas Mann befreundet, mit u. a. Unterhaltungsfilmen über Wasser. Für die Propaganda des Dritten Reichs war sie nicht zu haben – was ihr auch jüdischen Freunde ihres späteren Mannes, Regisseur und Schauspiel-Direktor Ernst Haeusserman zugutehielten.
Geboren wurde Susi Nicoletti, eigentlich Susanne Habersack, am 3. September 1918 in München, kurz vor Ende des I. Weltkriegs. Mehr als 7.000 Mal stand sie auf den wichtigsten Bühnen des deutschsprachigen Raums. Immer noch sind einige ihrer etwa 100 Filme, in denen sie mit weiteren Größen wie Gunter Philipp oder Hans Holt ihrer Zeit spielten, (u. a. bei ORFIII) zu sehen.
Mit ihrer Mimik und Komik war sie ein großes Vorbild für nachfolgende Schauspieler-Generationen. Hinreißend ist eine Doku-Szene, in der, durch Nicoletti dirigiert, die junge Pluhar und der ebensolche Brandauer sich der „Liebe“ annähern müssen. Womit sich Nicoletti über die damalige, veraltete Ausbildungspraxis lustig machte.
Getrennte Wege
Sie selbst hatte sich in der weltpolitisch- und weltwirtschaftlich unruhigen Zwischenkriegszeit durchs Tanzen ihre Schauspielausbildung finanziert – eine Neigung, die sie durch die Einführung der Musical-Ausbildung am Reinhartseminar später institutionalisierte. „Alle sagen, dass Nicoletti die großzügigste mütterliche Freundin war, eine, die viele in ihrer Karriere unterstützte“, erklärt Flossmann.
Von Protektionismus in eigener Sache hielt sie sich fern. Wenn Haeusserman Direktor des Theaters in der Josefstadt wurde, wechselte sie ans Burgtheater und umgekehrt. Sie habe ihm aber sicher gesagt, was er zu tun und wie er zu besetzen habe, meint etwa Schriftsteller Peter Stefan Jungk. „Sie war nicht eine graue, sondern eine schillernde Eminenz.“
Eine, die auch den Schauspielnachwuchs beeindruckte konnte, wie sich Paulus Manker erinnert: „Sie hat ja auch - sie müssen es ja nicht in die Dokumentation hineinschneiden - aber sie hat natürlich manche ihrer Schüler in einem gewissen Alter … vernascht. Sie ist ja eine fesche Person gewesen.“ In späteren Interviews nahm Nicoletti zu ihrer Ehe Stellung: „Wir haben uns einfach gut verstanden und wir haben uns gegenseitig geachtet. Wir waren ja erwachsen, als wir geheiratet haben … Wir haben über alles gesprochen.“
Muse großer Männer
Private Schlagzeilen machte auch Senta Wengraf als Muse große Männer, was aber allseits diskret behandelt wurde. 20 Jahre lang war die Wienerin Ensemblemitglied am Theater in der Josefstadt. An der Seite von Romy Schneider spielte Wengraf, 1926 geboren, in den Sissi-Filmen. „Opernführer“ Marcel Prawy hatte sie, als er nach Kriegsende als US-Kultur-Offizier nach Österreich gekommen war, mit Géza von Ciffra bekannt gemacht, der ihr die erste Rolle gegeben hat: „Glaube an mich“ war der erste nach Kriegsende in Österreich gedrehte Film. „Marci“ nannte Wengraf seinen Lebensmensch, auch wenn die angedachte Heirat mit an der ewigen Recherchetätigkeit der US-Army scheiterte.
In Film und Theater war sie die „letzte Salon-Dame“, wie es KURIER-Autor Georg Markus formuliert, ein schmales Fach, in dem die elegante Erscheinung hollywoodreife Auftritte hinlegte. Ihre stärkste „Rolle“ war aber eine andere. „Sie war immer da, wenn es einem schlecht gegangen ist. Es war so großartig“, sagt Dolores Schmidinger. „Sie hat mich immer besucht, in jeder Entzugsklinik.“
„Ich hab sie kennengelernt als eine extrem beobachtende, extrem freundliche, charmante, gescheite Person“, beschreibt sie Entertainer Alfons Haider. Und Schauspielkollegin Marianne Nentwich sagt: „Sie war so dermaßen Dame, Sie war so Dame bis in die Fingerspitzen, bis in die letzte Faser ihres Herzens.“ Wozu auch ihre Ausbildung an der Modeschule Hetzendorf einiges beigetragen dürfte.
Theater lockte TV-Star
1958 wurde Senta Graf zum Fernsehstar als Schwiegertochter Ilse in der legendären Serie Familie Leitner unter der Regie von Otto Schenk. In mehr als 100 Folgen erzählte diese erste österreichische Seifenoper aus dem Leben einer bürgerlichen Wiener Mittelstandsfamilie. Ihre TV-Prominenz gefiel auch Theater-Direktoren. Haeusserman holte sie an die Burg, die Josefstadt und auch zu den Salzburger Festspielen.
In einer Otto Schenk Inszenierung von „Der Talismann“ Mitte der 1970er-Jahre konnte sie ihr komisches Talent ausspielen und beeindruckte das Publikum – auch SPÖ-Bundeskanzler Bruno Kreisky. „Damals war das Privatleben von Politikern noch tabu. Der Verdrängungswettbewerb am Boulevard war noch nicht so groß wie heute“, erzählt der frühere profil-Chefredakteur Herbert Lackner. „Sie haben keine Drecksgeschichten machen müssen.“
So konnte die beiden relativ offen ihre Beziehung pflegen. Kreisky blieb aber zeitlebens mit seiner Frau Vera verheiratet. Alles Tuscheln darüber hat Wengraf „mit einem Porzellanlächeln abgetan“, sagt Haider. „Sie war nicht nur eine Freundin in den Sonnenstunden des Sonnenkanzlers, sondern auch, als es ihm dann schon sehr, sehr schlecht ging“, erzählt Georg Markus.
Wengraf war in dieser Zeit auch „privilegierte Beobachterin“ weltpolitischer Ereignisse. Dazu zählten die Gespräche Kreiskys mit den Spitzen der sozialistischen Internationalen, die Verhandlungen mit PLO-Chef Yassir Arafat oder der Terror der Abu-Nidal-Gruppe gegen die jüdische Synagoge in Wien, der vor allem auch gegen die Zweistaatenlösung gerichtet war. „Ich glaube nicht, dass Wengraf versucht hat, auf Kreisky Einfluss zu nehmen“, sagt Herbert Lackner.
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