ORF-Sommergespräche: Aus einem Babyelefanten eine Gelse machen
*Disclaimer: Das TV-Tagebuch ist eine streng subjektive Zusammenfassung des TV-Abends.*
Da die ORF-Sommergespräche zumeist im Freien abgehalten werden, kommt es immer wieder zu ungewollten Einflüssen von außen. Vor einem Jahr war es noch Elefantentröten, das für Ablenkung sorgte. Heuer wäre vielleicht der Auftritt eines Babyelefanten stimmig gewesen. Letztlich war es aber nur eine Gelse, die am Kinn des Bundeskanzlers Platz nahm.
Interviewerin Simone Stribl, bis ins Detail am besonders langen Interviewtisch um Sicherheit bemüht, sagte am Montagabend: "Herr Kurz, Sie haben da eine Gelse. Ich hoffe, Sie werden nicht gestochen."
Auf Twitter wurde moniert, die Gelsenwarnung hätte auch schon früher ausgesprochen werden können. Aber Kurz meinte ohnehin: "Einen Stich werd' ich überleben."
Nun, da auch das finale Gespräch - fast ohne Zwischenfall - absolviert ist, lässt sich sagen: Es waren trotz der turbulenten Zeiten keine besonders aufgeregten Sommergespräche. Da wurden keine derben Streitereien angezettelt und auch keine großen Ansagen gemacht. FPÖ-Chef Norbert Hofer gelang es immerhin, mit einem absoluten Nichtthema - die nächste Bundespräsidentenwahl - ein Thema zu setzen.
Woran es gelegen haben könnte? Es steht keine Nationalratswahl vor der Tür. Und vielleicht ist die Corona-Krise kein Thema, das für allzu aggressive Angriffe geeignet ist.
Pandemische Plauderzeit
Die Pandemie nahm bei allen fünf Gesprächen mit den Parteichefs breiten Raum ein. Am wenigsten bei Hofer, der auch noch einige andere parteiinterne Krisen zu parieren hat. Auch die im Thema Virologie ausbildungsbedingt bestens eingelesene SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner wurde diesbezüglich nicht in Überlänge befragt.
Mehr schon Grünen-Chef Werner Kogler. Aber hier interessierte sich Stribl zunächst noch für die Comeback-Geschichte der Grünen und die Beiwagerl-Vorwürfe seit der Regierungsbeteiligung.
Bundeskanzler Kurz im "Sommergespräch"
Neos-Chefin Beate Meinl-Reisinger nimmt in dieser inoffiziellen Corona-Redezeit-Rangliste Platz 2 ein. Das dürfte daran liegen, dass die Pinken recht viel zu allen Teilaspekten der Pandemie-Bewältigung gesagt haben, was Meinl-Reisinger auch im Sommergespräch unter Beweis stellte.
Parteiinterne Probleme werden bei den Neos - zumindest nach außen - nur im Mikrogrammbereich gemessen. Da war bei Rendi-Wagner freilich wesentlich mehr zu besprechen. Und man erfuhr, dass sie mit "Dornauer" lieber wandern und musizieren würde und mit "Hans-Peter" eher auf ein Schnitzel gehen würde. Vielleicht wurde LH Doskozil ja wegen dieser Aussage wieder öfter medial auffällig als sonst.
Gefühlt drei Viertel der Sendezeit nahm Corona beim finalen Gespräch mit ÖVP-Chef und Kanzler Sebastian Kurz ein. Vielleicht war das doch seiner viel beachteten Erklärung zum weiteren Corona-Fahrplan geschuldet. Die Experten waren sich ziemlich einig, dass Kurz damit vergangenen Freitag auch rechtzeitig vor dem Sommergespräch Themen setzen wollte.
Unterbrechen mit Charme
Das türkise Haus- und Hof-Thema der letzten Jahre, die Migration, war kaum am Tapet - außer bei einer Frage zur Abschiebung von Asylwerbern nach der Beendigung ihrer Lehre (Kurz ist weiterhin dafür). Auch in dieser Hinsicht ist es ein "außergewöhnlicher Sommer", denn Kurz war es zuvor nie besonders schwer gefallen, das Migrationsthema in Interviews einzubringen, auch wenn gar nicht danach gefragt wurde.
In dieser Hinsicht war bei den Sommergesprächen Simone Stribl ziemlich wachsam. Sie bewies, dass man ausufernde Volksreden in eigener Sache auch mit Charme unterbinden kann. Der Gesprächsfluss kam daher selten abhanden, weil sich die Politiker zumeist nicht darüber beschwerten.
"Redlich bemüht"
Koalitionspartner Kogler gelang es, mit EU- und migrationspolitischen Themen Kanten zu zeigen. Dafür verstand es Kurz - einmal mehr, mal weniger virtuos - Spitzen gegen die Grünen zu setzen. Anschobers Gesundheitsressort habe sich bei der Formulierung der komplizierten Corona-Verordnungen immerhin "redlich bemüht", sagte er. Wie Stribls Kollege Armin Wolf auch danach in der "ZiB2"-Analyse anmerkte, ist das in Führungszeugnissen als kurz vor dem "Nicht genügend" zu verstehen.
Analyse des ORF-Sommergesprächs mit Bundeskanzler Sebastian Kurz
Lieber bei Mutti
Für etwas Auflockerung bei den Sommergesprächen sollten wieder einmal die Entscheidungsfragen sorgen. Diesmal ging es weniger um Klassiker der Sorte "Beatles oder Stones?", sondern um handfestere Erkenntnisse. Zum Beispiel jene, dass sowohl Kogler als auch Kurz sich der deutschen Kanzlerin Angela Merkel in inhaltlichen Fragen näher fühlen als dem jeweiligen Koalitionspartner. Wenn es um Entweder-Oder geht, ist es bei Mutti halt doch am schönsten.
Zu Merkel wollte Kurz diesmal ohnehin wenig Dissens hervor streichen. Mit Wien scheint der Kanzler hingegen weiterhin eine schwierige Beziehung zu pflegen.
Lieber im Waldviertel
Dabei pries er zu Beginn noch die Schönheit Österreichs unter Verweis auf den Hintergrund der Sommergespräche, die Skyline von Wien. Aber ganz so weit ging die Liebe doch nicht. Wann immer er frei habe, würde er das Waldviertel vorziehen, sagte Kurz. Das erinnert dann doch mehr an den berühmten Politikersatz: Das schönste an Wien ist der Südbahnhof - um es wieder zu verlassen.
"Mögen sie Wien nicht so gerne?" fragte Stribl, auch bezugnehmend auf so manche Pressekonferenz, die ÖVP-Minister ausgerechnet der Corona-Situation in Wien gewidmet hätten. "Wir hatten auch zu St. Wolfgang welche", sagte Kurz.
Liebe sieht tatsächlich anders aus.
Problem mit roten Bezirken
Meistens zeigte sich der Kanzler aber auffallend gut gelaunt. Ein bisserl schmunzeln musste er offenbar auch, als er diesen Satz aussprach: "Wenn ein Bezirk rot ist, dann haben wir sowieso ein Problem dort."
Gemeint war aber nicht etwa die Wien-Wahl im Oktober, sondern die Farbgebung der Corona-Ampel ab kommenden Freitag.
LINK: Alle fünf Sommergespräche zum Nachschauen auf der ORF-TVThek
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