ORF-Chef Weißmann in Richtung Raab: Galgenfrist von sechs bis acht Wochen

ORF-Chef Weißmann in Richtung Raab: Galgenfrist von sechs bis acht Wochen
"Enges Zeitkorsett" für Einigung mit Regierung. Glaubwürdigkeit durch jüngste Rücktritte habe "nicht nachhaltig gelitten".

"Die Zeit drängt", warnt ORF-Chef Roland Weißmann. Bis 2024 muss nach einem Verfassungsgerichtshofserkenntnis ein neues Finanzierungsmodell gefunden werden. Medienministerin Susanne Raab (ÖVP) richtete dem ORF zuletzt aus, dass vor einer Diskussion darüber, der ORF sparen möge. "Effizient zu arbeiten, ist eine Selbstverständlichkeit für uns", replizierte Weißmann nun im APA-Gespräch und pochte auf eine zeitnahe Lösung, die eine nachhaltige Finanzierung sicherstelle.

"Der ORF unter meiner Führung arbeitet täglich an einem optimalen Preisleistungsverhältnis für die Gebührenzahlerinnen und -zahler", so Weißmann. Er verwies auf das im Rahmen der GIS-Gebühr eingehobene Programmentgelt für den ORF, das in den vergangenen zehn Jahren um rund 15 Prozent gestiegen sei, während die Inflation um 25 Prozent nach oben geschnellt sei. "Alleine deshalb war eine Effizienzsteigerung notwendig", sagte er. Zudem habe der ORF in der vergangenen Dekade zwölf Prozent der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter abgebaut und kumuliert 450 Millionen Euro in den Programmkosten eingespart. Auch der Lohnabschluss fiel im Vorjahr mit 2,1 Prozent Gehaltsplus für das laufende Jahr angesichts der Teuerung äußerst moderat aus.

Mit Ende 2023 läuft die aktuelle Form der Einhebung des Programmentgelts für den ORF durch die GIS nach dem Spruch des Verfassungsgerichtshofs aus. Dieser verlangt die Schließung der Streaming-Lücke, weil sie gleichheitswidrig sei. Aktuell gibt es noch keine gesetzliche Grundlage für eine Finanzierung des ORF ab 2024. Der Verfassungsgerichtshof schreibt eine „Finanzierungsgarantie“ für den ORF, aber auch einen „Gestaltungsspielraum“ des Gesetzgebers fest. Da voraussichtlich das neue Modell auch noch in Brüssel abgesegnet werden muss, drängt bereits die Zeit. Gibt es keine rechtzeitige Neuregelung, ist Schicht im Schacht. Entsprechende (Einsparungs-)Pläne muss ORF-Generaldirektor Roland Weißmann beim Sonder-Finanzausschuss am 20. Februar präsentieren.

Forderung Digitalnovelle

"Effizienzanstrengungen wird es trotzdem weiter geben müssen. Aber um effizient arbeiten zu können, braucht es auch eine Digitalnovelle", so Weißmann. Denn man wolle der ORF für alle sein und daher auch alle Zielgruppen erreichen. "Dafür ist es wichtig, ein umfassendes Programmportfolio anzubieten. Wir brauchen mehr Bewegungsfreiheit im digitalen Raum, um weiter die rot-weiß-rote Plattform für Österreich zu sein", meinte der ORF-Chef. Das sei auch demokratiepolitisch in Zeiten von Fake News und der Konkurrenz mit Plattformen wie Google, Facebook, TikTok und Co. wichtig.

Die letzte Gebührenerhöhung war am 1. Februar 2022 mit 8 Prozent über die gesamte Finanzierungperiode 2022 bis 2026. Das sind pro Jahr 1,55%, sodass diese 8 % bereits durch die verschlechterten wirtschaftlichen Rahmenbedingungen 2022 aufgezehrt sind. Das Programmentgelt wurde somit in den vergangenen 30 Jahren nie vollständig an die Inflation angepasst - zum Teil auch aus Feigheit vor der Politik.

Der ORF hat seit 2007 rund 900 Dienstposten abgebaut und seit 2016 rund 150 Millionen Euro eingespart. Der aktuelle Gehaltsabschluss für ORF-Mitarbeiter liegt weiter unter der Inflation: mit Jahresbeginn 2023 ein Anstieg um 2,1 Prozent und erst mit Anfang 2024 um weitere 2,4 Prozent. Dazu kommt dann eine Einmalzahlung von 500 Euro.

Spielraum gibt das ORF-Gesetz z. B. bei den Sender ORFIII, ORF Sport+ oder auch beim Rundfunkorchester (RSO), die „nach Maßgabe der wirtschaftlichen Tragbarkeit“ zu betreiben sind. Alle anderen Sender sind gesetzlich festgeschrieben. Die Landesstudios könnten theoretisch auf das journalistisch Notwendige heruntergefahren werden.

Konkret drängt der ORF seit langer Zeit darauf, etwa Inhalte online-only und online-first anbieten zu können. Weißmann ist optimistisch, dass eine Digitalnovelle zeitgleich mit einer Lösung der Finanzierungsfrage fixiert wird. "Ich glaube, dass alle Seiten daran interessiert sind, es möglichst zeitgleich zu lösen. Es ist eine komplexe Materie, aber wir haben lange verhandelt, viele Optionen abgewogen und uns bereits aufeinander zu bewegt."

Zeitnahe Lösung

Wichtig sei aber, dass nach dem VfGH-Erkenntnis, wonach ab 2024 auch das ausschließliche Streaming von ORF-Programm kostenpflichtig zu sein hat, "zeitnahe eine Lösung auf den Tisch" komme. "Ich glaube, es ist allen Beteiligten bewusst, dass wir ein enges Zeitkorsett haben. Wir reden hier von den nächsten sechs bis acht Wochen. Wir müssen den gordischen Knoten noch durchschlagen, aber ich sehe Bemühungen, eine konstruktive Lösung zu finden", sagte der ORF-Generaldirektor. Man bereite sich prinzipiell auf alle Szenarien vor, da das die kaufmännische Vorsicht gebiete. Eine Präferenz wollte er nicht äußern. Nur so viel: "Alle Lösungen, die eine nachhaltige Finanzierung des ORF ermöglichen, sind gut." Konkret könnte die derzeitige GIS-Gebühr etwa auf Laptops erweitert, eine Haushaltsabgabe eingeführt oder der ORF aus dem Bundesbudget finanziert werden.

Weißmann beschäftigen aber nicht nur die kommenden gesetzlichen Regelungen für das öffentlich-rechtliche Medienhaus, sondern auch durch Grenzüberschreitungen im Umgang von Journalisten mit Politikern ausgelöste Rücktritte von ORF-TV-News-Chefredakteur Matthias Schrom und ORF-NÖ-Landesdirektor Robert Ziegler. "Glaubwürdigkeit ist in der Information das höchste Gut. Ich glaube nicht, dass die Glaubwürdigkeit des ORF darunter nachhaltig gelitten hat, weil wir die Angelegenheit sehr transparent, konsequent und rasch aufgearbeitet haben", zeigte sich Weißmann überzeugt. Erst gestern, Montag, habe man bei einer Vollversammlung im Landesstudio Niederösterreich die vergangenen Wochen reflektiert. "Die Dinge, die noch aufzuarbeiten sind, werden wir hausintern aufarbeiten", so Weißmann, der dem Landesstudio bei der Landtagwahlberichterstattung einen "tadellosen Job" attestierte.

Neuausschreibung

Den Landesdirektorenposten in Niederösterreich will er zeitnahe ausschreiben. Im März oder Juni werde er den Stiftungsräten jemanden für die Funktion vorschlagen, kündigte er an. Die Nachbesetzung von Schrom im multimedialen Newsroom könnte sich dagegen noch etwas ziehen, steht doch eine Reform bevor. "Es gibt den Auftrag, neue Strukturvorschläge für die Zusammenarbeit im Newsroom auszuarbeiten. Eine Auftaktklausur dazu hat es schon gegeben. Ende Februar gibt es eine weitere. Wenn wir erarbeitet haben, wie die neue multimediale Struktur idealerweise ausschaut, werden auch die Führungspositionen ausgeschrieben", sagte Weißmann.

Ohne ein neues Finanzierungsmodell für 2024 fehlen um die 740 Millionen Euro. Die setzen sich aus dem Entfall der bisherigen GIS-Einnahmen sowie Mehrkosten z. B. Inflation, Energiekosten etc. zusammen

Die mittelfristige ORF-Finanzplanung (mit fortgeschriebenen GIS-Einnahmen) weist ein Minus von 70 Millionen Euro für 2024, ein Minus von 90 Millionen für 2025 und Verluste in der Höhe von 130 Millionen Euro für 2026 aus (bei einem Umsatz von rund einer Milliarde Euro) trotz weiterer eingeplanter z. Teil einmaliger Einsparungen (Aussetzen der Pensionskassenbeiträge etc.).

Durch Inflation, Energiekosten, GIS-Abmeldungen – es gibt keine Refundierung wie etwa beim Telefon - ist der ORF in Summe mit Mehrkosten von 325 Millionen für die Zeit 2024 bis 2026 konfrontiert (z. B. Kosten der Inflation 136 Mio., weniger GIS-Zahler 90 Mio., Energiekosten 63 Mio.)

Die Umsatzerlöse sollen laut Finanzplan 2023 mit 1,025 Milliarden Euro etwas höher als 2022 (ca. 998 Millionen Euro geplant) ausfallen. Das per GIS-Gebühr eingehobene Programmentgelt soll laut Finanzplan rund 676 Millionen Euro davon ausmachen (2022 ca. 664 Millionen Euro geplant), die erhofften Werbeerlöse ca. 218 Millionen Euro (2022 ca. 211 Millionen Euro) und sonstige Umsatzerlöse ca. 131 Millionen Euro (2022 rund 124 Millionen). Ergebnis laut Finanzplan 0,3 Millionen - der ORF ist von Gesetzes wegen nicht gewinnorientiert.

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