Österreich und die Streamer: "Wir dürfen nicht zur internationalen Werkbank werden"
Groß war der Jubel in der Branche, als die Regierung am 5. Juli das lange diskutierte Anreizmodell für den Filmstandort Österreich präsentierte. Egal ob Kino, TV oder Streaming – es soll ab 2023 viel mehr Geld abrufbar sein (siehe unten). Das soll heimische Filmschaffende im Wettbewerb stärken und zudem mehr internationale Produktionen anlocken.
Noch im August soll der Gesetzesentwurf in die Begutachtungsphase geschickt werden, wie der KURIER erfuhr. Im Kulturministerium geht man davon aus, dass keine großen Hürden lauern, weil der Prozess schon bisher nahe an der Branche abgelaufen sei.
Das sieht auch WKO-Fachverbands-Obmann Alexander Dumreicher-Ivanceanu so: „Da finden sich praktisch keine Haken.“ Er sieht keine Hindernisse, dass das System wie geplant in Kraft treten kann. „Österreich war lange hinten nach und ist jetzt plötzlich vorne.“ Der Branchenvertreter der Grünen Wirtschaft bezieht das aufs Green Producing, das nun gefördert werde. Und auf die Tatsache, dass die neue Förderung keinen Deckel mehr aufweist. „Egal, wann ich ansuche, ich muss nicht mehr versuchen, alles im Jänner hineinzupressen, und wer im März kommt, hat Pech. Das war ja zum Teil schon eine Art Windhundrennen.“
Nun auch Risiken?
Dennoch mischen sich auch andere Farbtöne ins Gesamtbild. Ablesbar ist das etwa an einer Diskussionsveranstaltung zum Anreizmodell, die am 27. August beim Filmfestival Kitzbühel im Starthaus am Hahnenkamm stattfinden soll. Hoch hinaus will der heimische Film, scheint der Ort zu symbolisieren, aber via Presseaussendung wurde unter dem Titel „Zu viel des Guten“ eingeladen. Die Einordnung der neuen Möglichkeiten ist offenbar doch nicht so klar. Im Branchen-Mail von Anfang August hieß der Titel dann „Chancen und Risiken“. Auf der Festivalseite spricht man nun von „Chancen und Herausforderungen“.
Ein Blick in die Branche zeigt, dass der Glaube an die Chancen überwiegt, doch die Herausforderungen werden nicht verhehlt. Der Produzentenverband aafp, der das Anreizmodell ebenfalls lobte, deponierte bereits, dass das nun ausgeschüttete Geld kein „Stupid Austrian Money“ werden dürfe. „Die Förderrichtlinien müssen derart ausgestaltet werden, dass wir nicht nur zur internationalen Werkbank werden“, sagt aafp-Präsident Alexander Glehr, es müssten „Eigen- und Koproduktionen, über die heimische ProduzentInnen wie Filmschaffende auch an den Verwertungserfolgen partizipieren und Rechte halten, müssen gegenüber reinen Service- und Auftragsproduktionen klar bessergestellt werden. Nur dann kann sich ein nachhaltiges System mit auch inhaltlicher und kultureller Wertschöpfung etablieren.“
Hört man noch tiefer in die Branche hinein, stößt man auf die Sorge, dass die finanzkräftigen Streamer Fachkräfte absaugen, und die gestiegene Nachfrage die Preise treiben könnte. Dies könnte in Verbindung mit der Teuerung ein bitteres Erwachen bringen, so die Befürchtung, die nicht jeder in der allgemeinen Jubelstimmung offen äußern möchte.
Glehr, Co-Chef der Film AG („Corsage“), äußert sich aber: „Unternehmen und Filmschaffende haben nun ein Instrument für Wachstum in die Hand bekommen – das wird aber nicht von heute auf morgen gehen. Es braucht Hürden für den Service- und Auftragsbereich, damit wir nicht Fehler begehen, die in anderen Ländern mühsam und unter bleibendem Schaden repariert werden müssen.“ Denkmöglich sei eine Mindestansässigkeit der Unternehmen, eine Mindestanzahl von Fixbeschäftigten bis hin zu Rechterückfällen nach einer gewissen Zeit.
Das Modell
Für heimische und internationale Produktionen ist ein Zuschuss von bis zu 35 Prozent der in Österreich getätigten Ausgaben geplant.
5 Prozent davon sind ein „Öko-Bonus“. Die Fördersummen können pro Projekt bis zu 5 Millionen Euro (bzw. 7,5 Mio. für Serien) betragen
Die Kosten
Mittelfristig rechnet die Regierung mit jährlich bis zu 80 Mio. Euro Fördervolumen: 25–40 Mio. für internationale Produktionen, 15– 25 Mio. für nationale TV- und Streamingproduktionen, 14–16 Mio. für nationale Kinofilme. Laut internationalen Erfahrungen kommen diese Gelder über Steuereinnahmen in höherem Maße wieder zurück.
Wo die Stellschrauben sitzen
Implementiert wird das neue Paket in erster Linie über das Filmförderungsgesetz und das Filmstandortgesetz, zuständig sind Kulturministerium und Wirtschaftsministerium. Die entsprechenden, ebenfalls zentralen Förderrichtlinien für die neuen Schienen werden im Wirtschaftsministerium (FISA+) und dem Österreichischen Filminstitut (ÖFI+) ausgearbeitet, beim RTR sind gewisse Adaptionen des Fernsehfonds Austria notwendig. Eine mögliche Streamerabgabe (siehe unten) wäre dann Sache der Medienministerin Susanne Raab.
Dumreicher-Ivanceanu, ebenfalls Produzent (Amour Fou), sieht den Filmsektor mit 15.000 Filmschaffenden gut aufgestellt, schon jetzt seien viele Neugründungen zu verzeichnen. Ausbildung werde nun ein zentrales Thema, „wir werden natürlich einen Run erleben“. Aber: „Die Gefahr, dass das plötzlich abbiegt und in die falsche Richtung läuft, sehe ich nicht.“
Neue Studie warnt
Eine im Juli veröffentlichte Studie aus Großbritannien, die das dortige Anreizmodell analysiert hat, beschreibt aber so einen Fall. Zwar anerkennt das British Film Institute die Rekordinvestitionen im Land, aber das unabhängige nationale Filmschaffen gerate unter Druck, was bis zum „Marktversagen“ führen könne. Es fehle an Mitteln, um im Wettbewerb mit Streamingriesen bestehen zu können. Vorgeschlagen werden vier Maßnahmen, als zentral werden „Investitionsverpflichtungen“ genannt, die Streamern einen Teil der im Land gemachten Gewinne zielgerichtet abzwacken sollen. Eine Praxis, wie man sie bereits aus Frankreich, Dänemark oder der Schweiz kennt.
Außerdem vorgeschlagen werden eine Erhöhung der prozentualen Förderung für unabhängige lokale Produktionen, Steuerrabatte für die Vermarktung solcher Filme, ein kompletter Mehrwertsteuererlass für die Kinoauswertung dieser lokalen Produktionen.
Zum Teil schon abgefangen
Zwei der vier Maßnahmen sieht Dumreicher-Ivanceanu bereits im österreichischen Modell verwirklicht: zum Einen über den Österreich-Bonus, der im Fernsehbereich Produktionen, die in besonderem Maße heimische Rechte generieren, belohnt, und über den Bonus für nach Österreich einfließende, internationale Lizenzgelder im Kinobereich; zum Anderen über den ebenfalls 35-prozentigen Zuschuss für die heimische Kinoauswertung.
Auch das Kulturministerium verweist auf „eine Reihe ergänzender Instrumente“, die man an dem Basissatz von 30 Prozent angedockt habe, darunter auch ein Bonus für Produktionen mit hohem Frauenanteil in Führungspositionen. Man gesteht aber zu: „Die in der BFI-Studie angesprochenen Herausforderungen sind sicherlich für die meisten europäischen Filmmärkte relevant, der steigende Fachkräftebedarf etwa ist auch in Österreich ein Thema, mit dem wir uns intensiv beschäftigen müssen.“
"Debatte im Herbst beginnen"
Dumreich-Ivanceanu sieht die Investitionsverpflichtung für Streamer - die dann verstärkt mit heimischen Firmen koproduzieren sollen - als „das nächste große Projekt.“ Es sei immer wieder besprochen worden. "Man muss die Debatte ab Herbst beginnen, wenn das Gesetz für das Anreizmodell einmal steht, ist das der logische nächste Schritt. Man sollte aus den Erfahrungen in anderen Ländern gleich lernen und nicht ein paar Jahre warten.“
Das Kulturministerium kündigt auf Nachfrage an: „Wir werden im Herbst in der Regierung Gespräche führen.“
KURIER: Wie blicken Sie auf das Anreizmodell nach dem ersten großen Jubel? Es sind ja noch weitere Schritte zu setzen.
Alexander Dumreicher-Ivanceanu: Nach der großen Freude haben wir es uns natürlich nochmal ganz genau angeschaut und da finden sich tatsächlich praktisch keine Haken. Es hat auch international ziemlich Wirbel gemacht. Wenn ich mit deutschen Kolleginnen und Kollegen rede, sieht man, dass die wirklich begeistert sind. Österreich war lange hinten nach und ist jetzt plötzlich vorne.
Gibt es vor der Begutachtungsphase irgendwelche Pflöcke, die Sie schon einschlagen möchten?
Alexander Dumreicher-Ivanceanu: Ich glaube, das wird uns über den Sommer und in den Herbst hinein beschäftigen. Da ist immer eine Abwägung: Wieviel muss in die Richtlinien hinein und wo hemmt man wiederum das System? Wenn man zu viel Hemmnisse einzieht, dann wird es zu schwerfällig und wenn man gar keine einzieht, hat man vielleicht weniger Lenkungseffekt. Da will ich jetzt noch keine Pflöcke einschlagen. Ich sehe es eher als Diskussion, die man mit den Förderstellen führen wird, wie man das dann am besten macht. Aber ich sehe keine großen Hindernisse, die uns monatelang zurückwerfen könnten. Es geht eher um Detailarbeit, wo man anbei bestimmten Positionen an den Stellschrauben dreht.
Weil dabei oft auch an die Umwegrentabilität gedacht wird: Gibt es auch Forderungen nach Mindestdrehtagen oder Ähnliches?
Nachdem wir die Postproduktion bewusst drinnen haben und die ein Bereich ist, der in Österreich ganz stark ist, würde ich die Förderung nicht direkt mit Drehtagen kombinieren. Wenn, dann natürlich auch mit virtuellen Drehtagen, weil wir auch die gerade sich aufbauende Animationsbranche stärken fördern wollen, die VFX-Branche, die Musik, die Komponist*innen, die Musikstudios, gerade im Serviceproduktionsbereich finde ich das extrem wichtig. Und wenn jemand mit einem mit einem großen Postproduktionsprojekt nach Österreich kommt und hier die Wertschöpfung passiert, sowohl kreativ als auch wirtschaftlich, dann ist das toll. Bei Drehtagen entsteht die Wirkung natürlich sehr direkt. Aber auch große Postproduktionen können langfristige Arbeitsplätze schaffen.
Es gibt auch Forderungen nach einer Mindestansässigkeit von mehren Jahren, um nicht nachhaltigen Scheingründungen Vorschub zu leisten.
Es gibt solche Überlegungen, die noch nicht konkret sind. Wir werden natürlich einen Run erleben. Aber wir merken in der Wirtschaftskammer schon seit einem Jahr, dass es zwischen 40 und 50 Neugründungen pro Monat gibt, das hat jetzt noch gar nichts mit dem Modell zu tun, sondern damit, dass die Branche boomt. Ich bin auch überzeugt, dass jene Filmschaffenden, die in den letzten Jahren aus Österreich abgewandert sind, weil einfach nicht mehr genug Beschäftigung war, wieder zurückgeholt werden können. In manchen Berufsbildern hatten wir zwischen den Projekten Arbeitslosigkeit, da sind nun sicherlich mehr Aufträge zu erwarten. In anderen Bereichen werden wir mehr und gut ausgebildete Filmschaffende brauchen. Ausbildung wird ein zentrales Thema: Wir müssen uns die Fachhochschulen anschauen, mit der Filmakademie ins Gespräch kommen.
Was die Infrastruktur betrifft, könnte das geplante neue Filmstudio am Hafen Wien, das nun 2023 fertiggestellt werden soll, Entlastung bringen. Was ist sonst noch notwendig?
Ich rechne mit einer dreiährigen Übergangszeit, einem echten Transformationszeitalter. Auch in puncto Green Producing müssten die Dienstleister nachrüsten. Wir haben bestimmte Aggregate nicht, die Fuhrparks sind noch nicht auf Elektro umgestellt. Also da kommt schon was auf uns zu. Aber insgesamt wird es die Branche nach vorne bringen.
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