Drehs von Netflix & Co.: "Österreich geht laufend viel Geld verloren"
Der 12. Februar war einer dieser seltenen Tage, an dem sich die heimische Politik im Licht der großen Filmwelt sonnen konnte. „Internationale Filmproduktionen sind wichtig ... weil sie einerseits Österreich als Filmland in der Welt bekannter machen und andererseits auch Anknüpfungspunkte für heimische Filmunternehmen bieten“, schrieb Kulturstaatssekretärin Andrea Mayer in ihrer Aussendung. Dazu ein Erinnerungsfoto von ihrem Besuch beim Netflix-Dreh „Extraction 2“ mit Hollywoodstar Chris Hemsworth.
Arie Bohrer ist jener Mann, der als National Film Commissioner dafür sorgen soll, dass ein Actionheld wie Tyler Rake öfter in Österreich landet. Im Fall von „Extraction 2“ musste alles sehr schnell gehen. „Ich hatte genau drei Tage Zeit, um dieses Projekt nach Wien zu holen“, sagt er.
Konkurrenz
Auf Vermittlung der Serviceproduktionspartner von Netflix in Tschechien, wo der Großteil des Films gedreht wird, sei er an einem Mittwoch im September angerufen worden. Man war auf der Suche nach einem imposanten Gebäude. Bohrer erzählt: „Am Freitag wollten die Amerikaner zur Besichtigung anreisen. Aber nur, wenn sie ein prinzipielles Okay haben. Ich hatte keine Ahnung, wem der DC Tower gehört. Durch Zufall und durch Hilfe eines Bekannten bin ich auf die Führungsebene gestoßen. Die haben mir mit Vorbehalt ein Okay gegeben, das hat dann gereicht.“
Das Zeitfenster für vier Drehtage mit Hemsworth war eng, zudem war noch ein Hochhaus in Frankfurt im Verhandlungspoker. Aber von dem Moment an, wo klar war, dass drei Wochen lang 15 Minuten des Actionreißers hier gedreht werden, war Wien als Rückzugsort Rakes im Drehbuch verankert – mit entsprechenden wirtschaftlichen Effekten (siehe Infobox).
Bei den Dreharbeiten zum Bond-Film „Spectre“ wurden 2015 15,8 Mio Euro an unmittelbaren Ausgaben in Österreich getätigt (z. B. 26.000 Übernachtungen). Die Netflix-Produktion „Extraction 2“ kam heuer auf rund 5 Mio. Euro: 8.000 Übernachtungen, 180 Beschäftigte aus Österreich
5,56 Millionen Euro
gaben 2021 sechs internationale Produktionen in Österreich aus
544 Millionen Euro
waren es in Ungarn im selben Zeitraum
Große Vergangenheit
In den 1930er Jahren wurden sechs Prozent des weltweiten Filmproduktionsvolumens in Österreich erwirtschaftet
„Das Gute ist: In Österreich gibt es sehr viele Motive, die noch nicht abgefilmt sind. Prag oder Budapest finden sie in jedem zweiten Film - für Städte wie Paris oder Wien zum Beispiel“, meint Bohrer.
Aber schöne Motive sind nur die eine Seite. Im aktuellen Streamingboom folgen die Produktionen dem Geld. Mit Blick auf die Verhandlungen mit Netflix sagt Bohrer: „Die zweite Frage war gleich: Was sind die Incentives bei euch? Es ist heute üblich, dass die Produktionen sich nach diesen Anreizen richten, weil praktisch alle Länder Europas solche Incentives anbieten. Hier sind wir in Österreich das Schlusslicht.“
Geringes Budget für Anreize
Margarete Schramböck war nicht zum Fototermin mit Hemsworth gekommen, dabei ressortiert jenes Stück des Förderkuchens, das Filmprojekte aus dem Ausland anlocken soll, in ihrem Wirtschaftsministerium. 7,5 Mio. Euro sind jährlich im Topf der FISA (Filmstandort Austria), lediglich 20 Prozent davon – also 1,5 Mio. Euro – sind für internationale Produktionen reserviert, die zumindest in Teilen hier gedreht werden.
„Dass das unser Gesamtbudget ist, traue ich mich im Ausland gar nicht zu sagen, weil es so lächerlich ist“, meint Bohrer. Bosnien-Herzegowina, ein weit kleineres und ärmeres Land, bietet mit 1 Mio. Euro ähnlich viel. Südtirol hat einen mit 5 Mio. Euro gefüllten Fördertopf.
Anachronismus
Im Fall von „Extraction 2“ musste sogar eilig eine Aufstockung auf 1,5 Mio. Euro beschlossen werden, weil die Mittel pro Film mit nur rund 1,1 Mio. gedeckelt sind. Da das Prinzip „first come, first served“ gilt, kann es zudem vorkommen, dass für namhafte Interessenten kein Geld mehr da ist. Das war jüngst beim Amazon-Dreh „Sachertorte“ der Fall.
Da ist der Anachronismus, dass laut den FISA-Richtlinien eigentlich nur Kinofilme gefördert werden dürfen, noch das geringste Problem.
„Wie man es dreht und wendet, es ist zu wenig Geld da“, sagt Bohrer. Man könne zwar mit Regionalförderern wie Cine Tirol (1 Mio./Jahr) und – jetzt neu – dem Vienna Film Incentive (2 Mio. bis Ende 2023) zusätzliche Gelder anbieten. Aber, so Bohrer: „Wir haben nichts davon, wenn wir jetzt die Fördertöpfe erhöhen, es muss ein Modell her, das situationselastisch genutzt werden kann.“
Gefordert
Die Filmbranche fordert daher seit Jahren Steueranreize, wie sie von Spanien bis Montenegro zur Anwendung kommen. Zwischen 25 und 40 Prozent an Steuerrabatten werden dort auf die im Land getätigten Produktionskosten gewährt. Tschechien schüttet so bis zu 30 Mio. im Jahr aus, Ungarn sogar unbegrenzt.
„Die Nachfrage ist so gigantisch im Augenblick, dass es in den nächsten Jahren einen Overflow geben wird, den sie selbst dort nicht bewältigen können.“ Österreich sei darauf nicht vorbereitet. Weil die Materie auf mehrere Ministerien verteilt ist. Weil kurz vor dem Ziel mitunter das politische Personal gewechselt hat. Weil zuletzt die Covid-Krise im Vordergrund stand. Und so wandern zum Teil heimische Ko-Produktionen sogar zu den modernen Studios der Nachbarn ab.
Für Bohrer ist klar: „Uns geht laufend viel Geld verloren. Die Politik verbirgt sich hinterm Paravent der Kultur und kapiert nicht, dass Film auch eine Industrie ist. Das ist eben manchmal Massenware.“
Netflix bildet selbst junge Leute aus
Dazu brauche es auf der Höhe der Zeit ausgebildete, sprachgewandte Arbeitskräfte. "Bei so einem Dreh zieht ein richtiger Hurrikan drüber. Die Abläufe müssen sehr schnell gehen, weil Film viel Geld kostet."
Netflix plant sogar eine eigene Akademie in Europa, erzählt Bohrer. Auch hierzulande brauche es dementsprechende Ausbildungsmöglichkeiten, „mit Theorie und praktischer Anwendung, um Erfahrungen zu sammeln.“
„Internationale Produktionen sind eine unglaublich gute Möglichkeit für junge Leute, sich interessante jobs anzueignen“, meint er. Aber dafür müsse die Politik "auch geeignete Rahmenbedingungen schaffen."
Auch der Studiobereich werde immer wichtiger, unterstreicht Bohrer. Auch hier ist nicht nur Tschechien – mit seinen legendären Barrandov-Studios – um Längen voraus. Die geplanten Studios im Hafen Wien – ein privates Projekt – sieht er immerhin als „Erstversuch“. Zwei Hallen mit jeweils rund 1300 Quadratmeter, das wäre „sicher eine weitere Eintrittskarte“.
Ein Ticket zur großen Filmwelt, die dann vielleicht dauerhaft Einzug hält.
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