Neues M'Barek-Drama: Was österreichische Filme für Netflix interessant macht
Mit „Was wir wollten“ ist nun der erste österreichische Spielfilm weltweit auf Netflix verfügbar. Türöffner war zuvor die erfolgreiche ORF-Serienkoproduktion „Freud“ diesen März. Mit der „Totenfrau“-Reihe sowie der Serie „Kitz“ sind weitere rot-weiß-rote Netflix-Projekte in der Pipeline. Vonseiten des US-Streamingriesen ist Kai Finke dafür verantwortlich, dass spannende deutschsprachige Produktionen gestreamt und koproduziert werden.
KURIER: Was hat „Was wir wollten“ für Sie und Netflix interessant gemacht?
Kai Finke: Der Film thematisiert auf eine gleichermaßen emotionale wie erwachsene Weise den Wunsch nach Kindern – ein wichtiges und in Filmen bisher kaum behandeltes Thema. Als Beziehungsdrama war dieser Film deshalb für uns von vornherein interessant. Schon beim ersten Screening habe ich mich erinnert gefühlt an Noah Baumbachs hochkarätig besetzten Film "Marriage Story".
Es ist ein zurückhaltender Arthouse-Film einer Regie-Debütantin. Wie viel Experiment ist für Netflix möglich, wollen Sie mit Filmen dieser Art auch neue Zielgruppen ansprechen?
Zunächst muss man Ulrike Kofler für ihre intime und gefühlvolle Inszenierung ein Riesenkompliment machen. Wir versuchen bei Netflix Programme für jede Stimmungslage und für jeden Zuschauer anzubieten und so sind auf unserem Service auch völlig unterschiedliche Programme zu finden. Darunter etwa unsere Serien „Freud“ „Stranger Things“ oder der Spielfilm „The Irishman“. Und ich bin mir ganz sicher, dass es viele Abonnenten gibt, die sich auf dieses Beziehungsdrama einlassen werden. Insofern würde ich das weniger als Experiment verstehen wollen, als vielmehr als eine logische Konsequenz dessen, dass wir grundsätzlich Programme aus verschiedenen Genres verfügbar machen wollen.
Mit Lavinia Wilson und Elyas M’Barek sind zwei in Deutschland sehr bekannte Schauspieler an Bord gewesen. Inwieweit war das für Sie ein Faktor einzusteigen?
Das hilft vielleicht ein Stück weit in der medialen Berichterstattung und vielleicht auch dabei, Zuschauer in Österreich, Deutschland und der Schweiz zu erreichen. Aber für ein weltweites Publikum ist das weniger relevant. Gut gemachte Beziehungsdramen finden ihr Publikum in der ganzen Welt, so hat auch ein Film „made in Austria” das Potenzial, in Peru, in Los Angeles oder in Australien gesehen zu werden. Wir synchronisieren den Film und stellen Untertitel in zahlreichen Sprachen zur Verfügung, um ihm so die größtmögliche Reichweite zu ermöglichen. Wir geben uns viel Mühe, den Film mit hochqualitativem Bildmaterial in unserem Portfolio herauszuheben. Da geht es natürlich einerseits darum, eine Zielgruppe am deutschen Markt zu erreichen – aber die Qualität des Films spricht für sich. Die österreichische Einreichung für den Auslands-Oscar ist daher ein Ausdruck davon, dass der Film ganz unabhängig von seinen großartigen Darstellern Anerkennung erfahren kann.
Sind Erwähnungen bei Filmpreisen für Netflix von großer Bedeutung?
In erster Linie bedeutet das für die Filmschaffenden eine Würdigung ihrer Arbeit und ist von großer Bedeutung für Cast und Crew. Mit beispielsweise „Roma“ oder „The Irishman“ haben wir ja bereits Spielfilme zu Nominierungen oder gar Auszeichnungen begleiten dürfen. Auch wir sind selbstverständlich daran interessiert, solche anspruchsvollen und herausragenden Filme zu produzieren oder zu lizenzieren. Mit der deutschen Produktion „Systemsprenger“ und „Wolkenbruchs wunderbare Reise in die Arme einer Schickse“, eine Schweizer Produktion, hatten wir bereits in diesem Jahr zwei Filme aus dem deutschsprachigen Raum, die ihre Länder im Rennen um die Oscars vertraten. Und natürlich freut es uns, dass wir mit „Was wir wollten“ wieder einen Film lizenzieren konnten, der nun unter Umständen eine Chance auf den Auslands-Oscar hat. Es ist aber nicht der einzige: Auf Netflix machen wir auch den türkischen Kandidaten „Miracle in Cell No. 7“ verfügbar, darüber hinaus den spanischen Film „La trinchera infinita“ sowie die niederländische Produktion „Buladó“.
Es hat sich nun durch die Kinosperren ergeben, dass der Film zunächst weltweit und dann erst in Österreich zu sehen ist. Den Produzenten war es wichtig, den Film als Zeichen für die Branche auch im Kino starten zu lassen. Wie sehen Sie sich bei Netflix in diesem Spannungsfeld. Wie wichtig ist Ihnen der Fortbestand der Kinoauswertung und das lineare Fernsehen?
Das Kino hat einen absolut festen Platz in unserem Ökosystem. Ohne Frage gehören diese Schauspieler, diese Bilder auch auf eine große Leinwand. Klar ist leider auch, dass wir während der Pandemie abwarten müssen, was überhaupt machbar ist. Mir ist jedenfalls bewusst, und ich habe dazu mit dem Produzenten Alexander Glehr viele Gespräche geführt, dass ein Kino-Release für „Was wir wollten”, der ursprünglich ja auch fürs Kino vorgesehen war, wichtig wäre. Und so es die aktuellen Zustände zulassen, wird das auch geschehen. Wir veröffentlichen ja immer wieder Netflix Originals im Kino und fänden es dementsprechend schön, wenn wir Berührungsängste zwischen dem Kino und Netflix mit konstruktiven Gesprächen weiter abbauen können. Schließlich bieten wir eine komplementäre Verwertungsform an, sodass wir einander nicht kannibalisieren, sondern uns ergänzen. Im Übrigen gab es schon vor Netflix Pay TV als Home Entertainment. Dass es mehrere Verwertungsstufen für Produktionen gibt, ist also keine Neuigkeit. Wir versuchen einen Platz zu finden zwischen Kino und Free-TV.
Der Film
„Was wir wollten“, produziert von der Wiener Film AG, ist der erste Langfilm von Ulrike Kofler als Regisseurin. Die Handlung: Ein Paar reist nach mehreren fehlgeschlagenen künstlichen Befruchtungen nach Sardinien, um auf andere Gedanken zu kommen. Gerade dort kommen durch ein Unglück die Emotionen wieder hoch
Kinostart
Der Deal mit Netflix sieht auch eine Kinoauswertung in Österreich vor. Der für 6. November geplante Kinostart musste allerdings aufgrund der Corona-Maßnahmen verschoben werden. Geplant ist nun ein Start zum frühestmöglichen Zeitpunkt
Auf Netflix
Seit 11. November ist der Film weltweit abrufbar. In Österreich aufgrund der vereinbarten Kinoschutzfrist erst ab 22. Dezember
Was macht den österreichischen Film aus? Auch mit Blick darauf, einen weltweiten Filmgeschmack bedienen zu wollen?
Persönlich kenne ich den österreichischen Film gut. Mit beispielsweise „Ivory Games“, „Joy“, „Paradies: Liebe“ sowie Kreativen wie Stefan Ruzowitzky, Michael Haneke und anderen hat Österreich immer schon über außergewöhnliche Filme und Filmschaffende verfügt. Und natürlich kennen und schätzen wir alle Christoph Waltz, der bereits zweimal den Oscar gewonnen hat und ein weltweites Publikum anspricht. Für mich bringen österreichische Filme so eine gewisse alpine Coolness mit, die schon den Drehbüchern zu entnehmen ist. Ich finde, dass sich Autorinnen und Autoren in Österreich tatsächlich etwas trauen, was im Übrigen auch österreichischen Fernsehserien beweisen. „Braunschlag“ und „Vorstadtweiber“ sind hier gute Beispiele, beides auf ihre Art hervorragend geschriebene und gut inszenierte Serien. Und natürlich freuen wir uns über den Erfolg unserer im April gestarteten Original Serie „Freud“. Die Arbeit mit Marvin Kren hat unheimlich viel Spaß gemacht. Insofern haben der österreichische Film und das österreichische Fernsehen enorm viel zu bieten: Mut, Inszenierungsstärke, Realitätsnähe und häufig auch Charaktere, die ein Stück weit verschroben sind und mit denen man sich trotzdem identifizieren kann.
Zeigt sich die heimische Filmlandschaft stark interessiert an Netflix oder auch zögerlich?
Bisher kann man schon sagen, dass wir mit offenen Armen empfangen werden. Ich denke auch, dass sich österreichische Filmschaffende durchaus für die große Reichweite interessieren, die wir ihnen als weltweiter Anbieter erschließen können. Auch bei Projekten wie „Kitz“ und „Totenfrau“ zeigt sich die Offenheit der Branche für unseren Input und gleichzeitig beweisen wir nachhaltiges Interesse an österreichischen Geschichten und Charakteren. Ich habe die Zusammenarbeit mit dem ORF bei „Freud” als hochkonstruktiv empfunden – dasselbe gilt für unseren neuen Film „Totenfrau“, den wir im nächsten Jahr in Koproduktion mit dem ORF drehen. Auch die Filmförderer führen offene Gespräche mit uns. Insofern ist die Verknüpfung dieser lokalen österreichischen Geschichten mit der globalen Reichweite, die wir bieten, etwas, das allseitig begrüßt wird.
Könnte es eine Fortsetzung für „Freud“ geben?
"Freud" war für uns ein großer Erfolg. Die Zusammenarbeit mit ORF, Satel und Bavaria hat extrem viel Spaß gemacht. Wir haben mehr als 25 Millionen Haushalte erreicht, allein in den ersten vier Wochen ab Veröffentlichung, das ist eine signifikante Reichweite. Aktuell ist es so, dass wir uns mit dem ORF auf das Projekt „Totenfrau“ konzentrieren, nach der Literaturvorlage von Bernhard Aichner. Mit Marvin Kren und Satel befinden wir uns in konstruktiven Dialogen auch für weitere Themen. "Freud" selbst würde ich zumindest für den Moment als abgeschlossen betrachten. Es war eine intensive Serie, mit einer beeindruckenden Leistung der Darsteller. Ähnlich wie bei der Serie “Unorthodox” braucht es nicht immer eine zweite Staffel.
Wie bemisst sich bei Ihnen der Erfolg eines Einkaufs? Nur durch die Nutzerzahlen oder ist auch nachvollziehbar, welcher Film für viele neue Abos sorgt?
Wir sehen uns vor allem als kuratiertes Programmangebot, das zu jeder Zeit an möglichst jedem Ort der Welt eine große Auswahl diverser Genres, Themen und Perspektiven bereithält. Dazu gehört „Was wir wollten“ genauso wie „Paradies: Liebe“, „Ivory Game“ oder „Freud“. Die Top Ten geben einen Eindruck, welche Titel aktuell bei unseren Zuschauern beliebt sind. Aber in der Natur des Abonnements und der Lizenzzeiten, die wir mit unseren Partnern vereinbaren, liegt auch, dass Filme und Serien langfristig verfügbar bleiben und so eine Zuschauerschaft über einen längeren Zeitraum wachsen kann. Unser Commitment gegenüber der deutschsprachigen Filmindustrie soll nachhaltig sein, uns geht es nicht um kurzfristigen Erfolg. Deshalb haben wir in den letzten Jahren unsere Investitionen im deutschsprachigen Raum mit lokalen Stoffen spürbar erhöht. Dabei setzen wir auch weiterhin auf lizenzierte Filme und Serien sowie auf eigene Original- und Koproduktionen.
Eine EU-Richtlinie von 2018 sieht ja vor, dass internationale Streamingdienste 30 Prozent an Produktionen aus Europa anbieten. Inwieweit mussten Sie das in diesem Jahr schon berücksichtigen?
Ehrlich gesagt fühlen wir uns da auf einem sehr guten Weg. In den sechs Jahren, die wir auf dem deutschsprachigen Markt sind, haben wir viele Programme lizenziert, oft auch ganze Pakete von unter anderem etwa ORF Enterprise, ZDF Enterprise, auch Constantin Film hat einen sehr hohen Output und ist ein wichtiger Partner. Auch die Anzahl an Netflix Original Filmen und Serien wächst, von sieben im Jahr 2019 auf zwanzig allein in diesem Jahr, und im nächsten Jahr dann wieder mehr. Es gibt ein Commitment für europäischen Content, das ergibt sich schon ganz organisch, denn wir möchten unsere Abonnenten ja jederzeit gut unterhalten und dazu gehört es auch, vertraute Gesichter und Programmmarken verfügbar machen zu können. Insofern ist es in unserem Interesse, auch zahlreiche lokale Produktionen anzubieten.
Sie haben einmal gesagt, „Lindenstraße“ passe nicht unbedingt ins Angebot, weil Netflix-Kunden nicht immer eine Woche auf neue Folgen warten wollen. In Frankreich läuft jetzt ein Test für lineares Fernsehen. Sehen Sie daher Möglichkeiten auch für solche Inhalte?
Wir sind Unterhaltungsunternehmen und Technologieunternehmen zugleich. Seit es Netflix gibt, experimentieren wir und versuchen unser Angebot weiterzuentwickeln. Das kann man darin erkennen, dass wir in manchen Märkten einen Probe-Monat verfügbar machen, in anderen Märkten vielleicht den zweiten Monat günstiger anbieten, oder, wie in Asien, mittlerweile einen Tarif nur für die mobile Nutzung anbieten. Und genau solch ein Test ist dieser lineare Feed in Frankreich, der dabei helfen soll, gute und passende Inhalte zu finden. Es wäre zu früh, daraus Schlüsse zu ziehen, dass wir das ab morgen so auch in der Steiermark anbieten werden.
Ist an Inhalten aus Österreich in Zukunft viel zu erwarten?
Zu erwarten ist aus Österreich immer etwas, ohne Frage auch für uns bei Netflix.
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