Netflix-Film made in Austria: Der Weg zu einem Millionenpublikum
Was vor fünf Jahren in Wien seinen Ausgang nahm, klingt zunächst wie die Arbeit an einem normalen österreichischen Film. Nach einer Kurzgeschichte des Schriftstellers Peter Stamm soll der erste Spielfilm von Ulrike Kofler entstehen, sie war davor als Drehbuchautorin und Cutterin nur Filminsidern bekannt. Die Handlung: Ein Paar reist nach mehreren fehlgeschlagenen Versuchen, sich durch künstliche Befruchtung den Kinderwunsch zu erfüllen, nach Sardinien, um auf andere Gedanken zu kommen. Gerade dort kommt durch ein Unglück plötzlich alles wieder hoch.
Die deutsche Schauspielerin Lavinia Wilson („Schoßgebete“) ist in der Hauptrolle von Anfang an gesetzt, erzählt Produzent Alexander Glehr im Gespräch mit dem KURIER. Die Finanzierung der 2,5-Millionen-Euro-Produktion gestaltet sich, auch durch den Schauplatz Sardinien, aber langwierig.
Ein halbes Jahr vor Drehbeginn im Oktober 2019 steigt dann der männliche Hauptdarsteller aus Termingründen aus. Es wird neu gecastet, man steht kurz vor der Verpflichtung eines anderen prominenten Schauspielers aus Österreich, da ruft eine Agentur aus Deutschland an: Filmstar Elyas M’Barek möchte die Rolle unbedingt spielen. Nach dem Casting wird die Sache fixiert, der Dreh kann beginnen.
Glücksfall
Die "Abfolge von Glücksfällen", wie Film-AG-Chef Glehr es nennt, beginnt nach Drehschluss aber erst so richtig. Auf Empfehlung des Weltvertriebs Picture Tree wird der US-Streamingriese Netflix auf das Projekt aufmerksam. Bereits im Dezember 2019 steht der Deal in groben Zügen. Netflix will die für internationale Verhältnisse kleine Produktion weltweit exklusiv anbieten. Das bedeutet: 193 Millionen Haushalte in 190 Ländern.
"Das ist auf jeden Fall eine Sensation in Hinblick auf diesen Film, weil du bei einem Arthouse-Film üblicherweise keine Chance auf ein Millionenpublikum hast", sagt Glehr. Nicht nur für den mit Komödien wie "Fack ju Göhte" gehypten M’Barek ist das eine eher ungewohnte Schiene. "Hätte ich wetten müssen, wonach Netflix am österreichischen Markt sucht, wäre ich nie darauf gekommen, dass dieses Projekt so in ihre Verwertungsschiene passt", sagt Glehr. Netflix suche nach Möglichkeiten, seine Angebotspalette auch für neue Zielgruppen zu erweitern.
Engagement in Österreich
Tatsache ist, dass der weltgrößte Streamingdienst sein Engagement hierzulande verstärkt. Nach dem ersten Erfolg mit der ORF-Serienkoproduktion "Freud", mit mehr als 25 Millionen erreichten Haushalten seit Ende März 2020, hat man Lust auf mehr bekommen. Diese Woche gab Netflix drei neue "Originals" mit Österreich-Bezug bekannt: Die Entwicklung der Serien "Kitz" und "Totenfrau", Letztere gemeinsam mit dem ORF, und eben die weltweite Lizenzierung von "Was wir wollten".
"Diese Projekte sind Ausdruck für die neue Verwertungswelt, die sich nun auch in Österreich manifestiert", sagt Glehr. Netflix mache "völlig neue Räume auf" für den deutschsprachigen Film. "Eine deutsche Serie wie "Dark" ist plötzlich ein weltweiter Hit.“
Geändertes Zuschauerverhalten
"Diese immens schnelle, dynamische Veränderung bereitet vielen auch Sorgen, ist fürs Kino eine schwierige Konkurrenz", ist Glehr bewusst. "Auf der anderen Seite sind die Leute von Netflix nicht die Bösen. Es ist eben ein geändertes Zuschauerverhalten, auf das wir als Markt zu reagieren haben, sonst werden wir in Zukunft außen vor sein."
Kino werde in Zukunft nicht mehr die alleinige Königsklasse der Verwertung sein, meint der Produzent. "Für jedes Produkt muss man schauen, wo das größte Potenzial liegt. Es wird weiterhin Filme geben, die vor allem ein kinoaffines Publikum ansprechen. Es wird aber auch Filme geben, die im Streaming viel besser funktionieren und andere Produkte haben wiederum im linearen Fernsehen einfach ihre Berechtigung."
Kinostart nur in Österreich
Mit den Fördergebern von "Was wir wollten" (siehe Infobox unten) war nach den intensiven Nachverhandlungen bereits paktiert, für diesen Spezialfall einer weltweiten Verwertungsmöglichkeit via Streaming ausnahmsweise auf eine klassische Kinoauswertung zu verzichten.
Die Corona-Krise hat dann aber noch zu einem Umdenken geführt: Mit Blick auf die gegenwärtigen Schwierigkeiten für die Filmbranche sei man mit Netflix zur Übereinkunft gekommen, dass ein Kinostart in Österreich ein "richtiges Zeichen" ist. Daher ist nun geplant, dass der Film am 6. November hierzulande auch in die Kinos kommt.
Der Film
"Was wir wollten" ist der erste Langfilm von Ulrike Kofler als Regisseurin. Das Drehbuch schrieb sie mit Sandra Bohle und Marie Kreutzer. Gefördert durch Österreichisches Filminstitut, Wiener Filmfonds und das ORF Film/Fernsehabkommen. Der ORF darf den Film als Fördergeber ebenfalls, aber frühestens Ende 2021, ausstrahlen.
Die Produzenten
Alexander Glehr und Johanna Scherz führen die Wiener Film AG, die 2019 aus der Novotny & Novotny hervorging. Produktionen fürs Kino (u.a. "Egon Schiele: Tod und Mädchen", "Der Boden unter den Füßen") und Fernsehen (zuletzt der Ausseerkrimi "Letzter Kirtag" für ServusTV)
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