"Barbaren"-Regisseurin Eder: Göttin des Gemetzels
Am 23. Oktober startet die sechsteilige Netflix-Serie „Die Barbaren“, die großteils von der österreichischen ROMY-Preisträgerin Barbara Eder inszeniert wurde. Die Geschichte dreier Kindheitsfreunde und der Varusschlacht im Jahr 9 n. Chr. im Teutoburger Wald ist mehr als nur ein simples Heldenepos geworden. Eder erzählt über Regen am Set, historische Authentizität, den österreichischen Hauptdarsteller Laurence Rupp und ihr nächstes Großprojekt: "Der Schwarm".
Sie haben als Regisseurin der Folgen 1 bis 4 die Charakteristik dieser Netflix-Serie und der Figuren geprägt. Wie kam es dazu?
Ich wurde von den Produzenten angefragt und mich hat der Stoff von Anfang an fasziniert. Ich habe aber auch gleich vermittelt, wie ich arbeite: Ich verstehe Mainstream, ich weiß, dass das nicht Arthouse-Kino ist, ich verstehe die Wucht dieser Produktion und wie viele Länder sie erreichen muss. Dafür bin ich Profi genug und das Handwerk kann ich. Aber: Ich bin Barbara Eder und ich muss gestalten, sonst gehe ich ein wie eine ungegossene Topfpflanze. Interessiert hat mich an dem Projekt vor allem eine neue Welt zu kreieren. Ich wollte daher die Serie launchen und mitbestimmen, wenn es ums Kreative geht, natürlich in Abwägung dessen, was möglich ist, so pragmatisch muss man sein. Ich wollte diese Welt erschaffen, das Dorf mitgestalten – das wurde ja alles neu gebaut -, mir überlegen, wie eine Hochzeit oder ein Begräbnis aussieht, die Kostüme, die Frisuren und so weiter mit entwickeln und ich wollte nicht zuletzt die Charaktere in die Serie einführen.
Sie haben schon vor „Die Barbaren“ alle möglichen Serien im gesamten deutschsprachigen Raum gemacht …
… das lässt sich nicht vergleichen. Das ist eine ganz andere Welt, die ich mit „Barbaren“ betreten durfte. Das hatte manchmal schon etwas fast Absurdes: Wir haben teilweise in einem Budapester Studiokomplex gedreht, wo zu der Zeit auch Denis Villeneuve an „Dune“ gearbeitet hat. Wenn man da um die Ecke bog, kamen einem Außerirdische entgegen, wieder ein paar Meter weiter spielten die Römer Tischtennis und in der Mensa saßen unsere Historiker, die beim Kaffee auf Latein über ihren Tag gesprochen haben... Irgendwann lief man dann in Denis Villeneuve hinein, dem man in dem Moment sagen wollte, wie sehr man seine Regie-Arbeit bewundert. Tatsächlich fällt einem dann grad gar nichts ein. Aber nach einigen Wochen dort ist es völlig normal, dass man einander trifft, dass man nebeneinander arbeitet und in Pausen plaudert. Man merkt dann, es kochen alle mit Wasser, es gibt nie genug Budget, es gibt immer Zeitdruck. Aber natürlich sind die Dimensionen in allem viel größer als sonst üblich.
Inhalt
Im Jahre 9 nach Christus vereinigen sich mehrere germanische Stämme, um in einer legendären Schlacht die nahezu unbesiegbaren römischen Legionen unter Statthalter Varus (Gaetano Aronica) herauszufordern: Die Schlacht im Teutoburger Wald geht in die Geschichte Europas ein. Im Mittelpunkt dieses blutigen Zusammenstoßes stehen drei junge Menschen: Die cheruskische Fürstentochter Thusnelda (Jeanne Goursaud) und der einfache Krieger Folkwin (David Schütter), die im Geheimen ein Paar sind und der junge römischer Offizier Arminius (Laurence Rupp), der ein Geheimnis mit sich trägt
Regisseurin
Barbara Eder, wohnhaft in Wien, startete beim Fernsehen. 2010 begann sie Kino-Filme zu drehen, die mehrfach geehrt wurden – vom Langfilm-Debüt „Inside America“ (Max-Ophüls-Spezialpreis) bis hin zu „Thank you for Bombing“ (Österreichischer Filmpreis, Zürich Film Festival). Auch die TV-Karriere verlief erfolgreich: Für „Tatort: Her mit der Marie!“ gab es 2019 eine ROMY (Beste Regie)
Hauptcast
Laurence Rupp, Jeanne Goursaud, David Schütter sowie Gaetano Aronica, Bernhard Schütz, Nicki von Tempelhoff
Ohne zu viel zu verraten: „Die Barbaren“ ist nicht geworden, was vielfach befürchtet wurde – es ist keine eindimensionale Heldengeschichte über die Germanen.
Eine Helden-Saga hätte mich auch nicht interessiert. Es geht um Krieg und im Krieg ist niemand Held. Aber natürlich gibt es Pathos und alles Drum und Dran. Am Ende trifft man auf gebrochene Figuren, keine taugt für Schwarz-weiß-Malerei, keine ist strahlender Gewinner, das war mir wichtig. Diese Geschichte reißt viele tiefgründige Themen an – Identität, Rassismus und das Drama der Demütigung, Korruption, Verrat, Ausbeutung. Letztlich geht es um die Wertigkeit des Menschen und des Menschseins. Letztendlich muss die Serie aber vor allem unterhalten.
Aber auch die Freunde des gediegenen Gemetzels und der rollenden Köpfe kommen auf die Kosten?
Natürlich, das ist das, was das Publikum bei Barbaren und Römern erwarten. Filmtechnisch war das sehr spannend, wir haben auf drei verschiedene Arten geköpft (VFX, analog und mit Stopp-Trick, Anm.). Mit so etwas zu spielen, da kam sozusagen das Kind in der Regisseurin durch und hat mich an die Zeit erinnert, als ich als Jugendliche Splatterfilme geschaut habe. Wir haben sogar extra jemanden engagiert, der für wirklich kunstvolle Blutspritzer gesorgt hat. Wie gesagt, hier hat das gepasst, bei einem „Tatort“ würde man das natürlich nicht machen.
Die Hauptrolle, den Arminius, spielt mit Laurence Rupp ein Österreicher. Erstaunlich.
Laurence Rupp ist ganz große Klasse. Aber es ist richtig: Eigentlich sollte Arminius aus Deutschland kommen. Jene, die wir beim Casting gesehen haben, haben uns aber nicht restlos überzeugt. Ich habe daraufhin überlegt, wer mir in Österreich einfällt und ich wollte, dass sie Laurence ausprobieren. Als er losgespielt hat, habe ich Gänsehaut bekommen und eine so tiefe Dankbarkeit verspürt, weil ich endlich den Arminius vor mir hatte. Ich habe dann darauf gepocht, dass sich alle die Casting-Aufnahmen von ihm online anschauen – und da war es auch egal, ob er aus Österreich oder Deutschland kommt. Es ist eine tolle schauspielerische Leistung. Das gilt auch für Jeanne Goursaud, die Thusnelda, und David Schütter, der den Folkwin spielt.
Das klingt nach einem aufwendigen Casting?
Das war ein enorm aufwendiger Prozess, weil es ein Jahr war, in dem ganz viel produziert wurde. Viele Schauspieler waren geblockt, gleichzeitig war es für das Projekt „Die Barbaren“ nicht vereinbar, dass wir für Wochen auf einen der Hauptcharaktere verzichten, weil der oder die woanders dreht. Deshalb war ich so froh, als wir Arminius, Folkwin und Thusnelda besetzt hatten. Die drei sind noch so jung und sind doch schon so präsent - sie haben meinen größten Respekt für ihre Leistung.
Besonders an „Die Barbaren“ ist, dass die Römer Latein sprechen.
„Die Barbaren“ taugt nun als Stoff für aufgeschlossene Lateinprofessoren - das hätte mir auch schon Spaß gemacht. Uns war jedenfalls beim Dreh wichtig und wir haben das auch getestet, dass diese Szenen nicht so klingen, als wenn ich heute lateinisch reden würde. Wir haben deshalb italienische Schauspieler gecastet, nicht wissend, wie unterschiedlich die beiden Sprachen sind – wie das ja auch bei Altgermanisch und Deutsch ist. Sprachhistoriker haben in der Folge monatelang immer wieder Übungssessions mit den Schauspielern gemacht.
Wie inszeniert man lateinische Dialoge?
Ich hatte in der Schule Latein, was nicht wirklich geholfen hat, und ich wusste natürlich, worum es in einer Szene geht. Aber manchmal bin ich dann dagesessen und hab nachgeblättert in der Übersetzung. So zu arbeiten, ist natürlich nicht ganz einfach, aber irgendwie schräg. Ich hatte auch zeitweise jemanden neben mir sitzen, der mir simultan ins Ohr geflüstert hat – was sehr verwirrend war. Ich bin dann dazu übergegangen, jede Szene 100 Mal durchzugehen und zu verinnerlichen, denn es geht da ja um eine emotionale Dramaturgie in diesen Szenen. Ich verneige mich wirklich vor den Schauspielern, wie sie das umgesetzt haben.
Das kleine Latinum für eine kleine Rolle …
… reicht nicht (lacht).
Es gab auch mal den Plan des Altgermanischen?
Wir haben Gespräche zu den Göttern beispielsweise zweisprachig gedreht, aber darauf wurde letztendlich weitgehend verzichtet, möglicherweise, um das breite Publikum nicht zu überfordern. Es ist noch in Ansätzen da bei den im Schnitt letztlich sehr reduzierten Auftritten der wunderbaren Sophie Rois als Seherin. Aber über so etwas denken andere nach und entscheiden. Trotzdem, wir haben großen Wert auf Authentizität gelegt…
… was bei historischen Filmen und Serien nicht unbedingt immer der Fall ist.
Es verlangt allein schon der Respekt vor den Zusehern, möglichst wenige Kompromisse zuzulassen. Ein Beispiel dafür: Wir hatten eine Szene, da ritt der Römer los, plötzlich sagt der anwesende Historiker: „Stopp. Da kommt ein Baum ins Bild, den gab es 9 n. Chr. noch nicht“. Wir haben daraufhin den Kamera-Ausschnitt ein paar Zentimeter nach rechts gerückt. Im ersten Moment denkt man sich natürlich seinen Teil, aber das Faktum, dass die Fachleute so genau gearbeitet haben, gibt einem die Sicherheit, dass kein völliger Unsinn passiert. Wir wissen ja, dass die Serie von Menschen gesehen werden wird, die auf Details achten und Bescheid wissen. Deshalb haben wir bei den Germanen auch die Pferde weggelassen, denn die waren teuer und hatte deshalb nicht jeder. Ähnlich auch bei den Römern, auch da war es 9 n. Chr. nicht so, dass die alle auf Pferden unterwegs gewesen wären. Und natürlich mussten die Statisten im Bootcamp lernen, wie die Römer marschiert sind.
Bei all dem frage ich mich: Wann haben Sie eigentlich mit der Vorbereitung für diese Serie begonnen?
Sofort. Ich habe im November 2018 den Auftrag bekommen. Dann ging es gleich mit Recherche, dem Lesen von Büchern, Zusammentreffen mit Historikern usw. los. Der Dreh musste etwas nach hinten verschoben werden, was öfters passiert. Gestartet sind wir Anfang August 2019. Aber, so viel kann ich sagen, die Vorbereitungszeit für ein Projekt ist nie lang genug. Auch nach Drehstart ist noch lange nicht alles auf Schiene.
Macht das bei einem solch gigantischen Projekt nervös?
Das gehört zum Job und ist Teil der Art, wie produziert wird. Dreharbeiten sind ein ständiger Fluss an Änderungen und Überraschungen. Wenn man Historisches macht, ist das nochmals etwas diffiziler, weil man nicht so flexibel ist. Römer-Uniformen gibt’s nicht am nächsten Eck zu kaufen. Dann hat uns auch zwischendurch das Wetter mitgespielt es hat so viel geregnet, dass Schlachtenszenen unmöglich waren, weil die Legionäre festgesteckt sind. Aber das ist bei Dreharbeiten immer so, dass Unvorhergesehenes passiert – für uns Kreative ist dann die eigentliche Herausforderung, daraus noch etwas Besonderes zu machen. Aber es bedeutet natürlich auch, man muss vorab schon sehr genau überlegt haben, was man tun will.
Es gibt mit Steve St. Leger noch einen zweiten Regisseur.
Wir teilen uns diese Staffel. Steve hat im Gegenzug zur Gestaltung der Serie durch mich die eindrucksvollen Schlachtszenen inszeniert - ein besonderes Zuckerl für einen Regisseur. Eine klare Aufgabentrennung von Beginn an ist wichtig, weil es ein partnerschaftliches Verhältnis befördert und das ist entscheidend für den gemeinsamen Erfolg der Serie. Einer allein kann eine solche Serie nicht in der kurzen Zeit durchziehen, ohne im Burnout zu landen. So hatte bei diesem Projekt jeder Regisseur das, was ihn an dem Projekt interessierte. Für mich war es wichtig zu gestalten. Nur ausführende Regisseurin zu sein, dafür bin ich schon zu lange dabei, das allein würde mich nicht mehr fordern – und das war mit den Produzenten von Anfang an so vereinbart…allerdings nicht wissend, wieviel Arbeit das bei einem so gigantischen Projekt eigentlich bedeutet. (lacht)
Eine Besonderheit bei europäischen Produktionen sind immer noch Showrunner, ein Mittelding aus Regisseur und Produzent. Wie war es für Sie, so zu arbeiten?
Bei uns war der Showrunner auch gleichzeitig der Autor – ich könnte das nicht, ich wäre viel zu sehr in meine Geschichte verliebt, als dass ich mir die ganzen Änderungen verordnen könnte. Aber: Der Produktionsprozess solch einer großen Produktion braucht es, dass jemand den Blick von außen darauf hat. Die Verantwortlichen bei Netflix arbeiten ja an allem bis kurz vor dem Dreh. Da ändern sich plötzlich noch ganze Szenen und das ist völlig normal in diesem Arbeitsmodell. Das mag vielleicht einmal nicht nach meinem Geschmack sein, aber ich kann mich darauf verlassen, dass es okay und für das Produkt gut ist. Ein so großes Projekt fordert nun mal mehrere Köpfe. Ich hätte während des Drehs auch gar nicht die Zeit gehabt, mit Netflix-Verantwortlichen spätabends darüber zu konferieren. Dazu kommt im Hintergrund auch noch die Produktion. Dort müssen die Entscheidungen fallen, wenn ein Drehtag wegen Überflutungen verloren geht oder es schon herbstelt, aber Szenen noch im Sommer spielen oder noch schlimmer, sich ein Schauspieler verletzt. Als Regisseurin konzentriere ich mich in diesen Fällen auf die Arbeit, die als nächstes zu tun ist.
Das heißt aber, es gibt bei einer solchen großen Produktion viele Kompromisse zu machen?
Ja, das muss so sein. Hier muss man flexibel sein und ich habe gelernt, damit umzugehen.
Wird es eine weitere Staffel geben? Von der Historie her wäre es naheliegend.
Das liegt in den Händen der Abonnenten und von Netflix.
Würden Sie erneut eine Regie übernehmen?
Es wird für mich zeitlich nicht möglich sein, auch wenn es reizvoll wäre, besonders mit dem Team, das ich hatte. Derzeit bin ich schon wieder in anderen Gefilden unterwegs. Ich mache außerdem gerne viele unterschiedliche Dinge: ich will mich ausprobieren.
Was steht als nächstes Projekt an?
Es haben sich europäische Öffentlich-Rechtliche zusammengetan, um Großes zu produzieren. Es ist eine Serie, die auf Frank Schätzings Bestseller-Roman „Der Schwarm“ basiert. Showrunner ist Frank Doelger („Game of Thrones“), er ist einfach fantastisch, er lässt uns Kreativen sehr viel Freiraum. Es ist ein spannendes Projekt, das ich gemeinsam mit Alex Gabassi umsetzen darf, weil so viele Länder und TV-Stationen beteiligt sind und auch diese unterschiedlichen Mentalitäten zum Tragen kommen. „Der Schwarm“ ist eine packende Geschichte, in der die Natur gegen den Menschen aufbegehrt. Das passt sehr in unsere Zeit. Aber natürlich hoffen alle, dass 2021 gedreht werden kann und nicht erneut wegen Corona verschoben werden muss.
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