Kein Publikum: Wie bei Neujahrskonzert und Fußball trotzdem gejubelt wird
TV-Events mit leeren Sitzplätzen sind mittlerweile Normalität. Doch es gibt kreative Lösungen, um trotzdem für etwas Atmosphäre zu sorgen. So muss das Neujahrskonzert zwar coronabedingt ohne Publikum im Goldenen Saal des Musikvereins auskommen – nicht aber ohne Beifall. Übers Internet können Zuschauer aus aller Welt live Applaus spenden. Der ist dann nicht nur vor Ort bei den Wiener Philharmonikern und Dirigent Riccardo Muti zu hören, sondern auch vor den TV-Geräten.
Zuständig für die technische Umsetzung ist das Grazer Unternehmen Poet Audio. Seit zwei Monaten sind zwei Mitarbeiter mit dem Programmieren der neuen Software beschäftigt, wie Gründer und CEO Markus Platzer erzählt. Mitapplaudieren kann jeder, der sich zuvor anmeldet (siehe Infobox unten).
„Auf der Webseite gibt es eine große Mikrofontaste. Sie schauen das Konzert, drücken die Taste und applaudieren“, erklärt Platzer. Wegen der Zeitverzögerung würde Klatschen nach jedem Stück das Konzert allerdings zu sehr in die Länge ziehen – Applaus gibt es daher nach dem ersten Teil sowie am Ende.
Nach vorheriger Registrierung unter www.mynewyearsconcert.com kann man am 1. Jänner 2021 über Smartphone, Tablet oder Computer live beim Neujahrskonzert applaudieren. Das Klatschen dauert jeweils rund eineinhalb Minuten und ist im Musikverein, aber auch im Fernsehen zu hören. Registrieren sollte man sich am besten vor dem 16. Dezember, um an den Probedurchgängen teilnehmen zu können, spätere Anmeldungen werden aber je nach Kapazitäten auch noch entgegengenommen. Wer möchte, kann zusätzlich Fotogrüße einsenden – der ORF zeigt in der TV-Übertragung die kreativsten Beiträge.
Keine Überlastung
Wie viele Menschen mitmachen werden, ist noch nicht klar: „Die Grundidee war, dass wir so viele mitklatschen lassen, wie normalerweise im Konzertsaal wären. Das sind 2000. Aber wenn sich 3000 anmelden, werden wir die auch annehmen.“ Man sei jedenfalls gerüstet: „Wir haben sechs Server parallel laufen, damit es auch zu keiner Überlastung kommt.“
Dass jemand anstatt zu klatschen Blödsinn ins Mikrofon ruft, glaubt Platzer nicht. „Und selbst, wenn einige auf solche Ideen kommen – bei 2000 bis 3000 Applaudierenden geht das unter. Im Notfall könne man auch bestimmte Kanäle „runterregeln“.
„Aber es bleibt ein spannendes Experiment. Letztlich hat man keine Kontrolle darüber, wie gut die Mikrofone funktionieren, ob irgendwo ein Hund bellt oder man Straßenlärm hört. Doch das ist ja auch das Besondere daran: dass dieser Gruß aus der ganzen Welt kommt und dass er echt ist“, so Platzer. „Man wird keinen High-End-Sound zusammenbringen, aber die Überlegung ist einfach, dass sich die Menschen zu Hause bei den Musikern bedanken können.“
Wie im Stadion
Nicht nur in der Hochkultur experimentiert man wegen der coronabedingten Publikumslosigkeit mit Audio. Der Pay-TV-Sender Sky bietet etwa bei bestimmten Fußballspielen die Ton-Option „Stadionsound“ an, die neben dem Live-Kommentar aktiviert werden kann.
Der Sound dafür wird aus bestehenden Aufnahmen erzeugt, wie Alessandro Reitano, Sportproduktionsleiter bei Sky Deutschland, erklärt.
Die Basis bildet der sogenannte Grund-Atmo-Teppich. „Danach produzieren wir Audiosamples, kurze Tonstücke von 15 bis 20 Sekunden Länge, die live eingespielt werden können: Sprechchöre, Torjubel, Schiedsrichterentscheidungen.“
Bei den Spielen der Deutschen Bundesliga sitze etwa ein Soundproducer im Studio, „der auf das Live-Geschehen reagiert. Er hat eine Sample-Maschine mit 16 Tasten, auf der die Sounds hinterlegt sind. Der Soundproducer muss 90 Minuten lang hoch konzentriert sein und das richtige Gespür für die Reaktionen der Fans haben.“
Die Zuschauerresonanz sei sehr positiv, so Reitano. „Wir erhalten damit ein bisschen die Stimmung, die vor der Corona-Pandemie normal war. Klar ist jedoch auch, dass echte Fans und ihre Kultur nie zu ersetzen sind. Deshalb ist in der Grundeinstellung über Sky Q auch immer die Originalatmosphäre zu hören. “
Sky bietet bei allen Spielen der Deutschen Bundesliga, dem Topspiel der 2. Deutschen Bundesliga und ausgewählten Exklusivspielen der UEFA Champions League „Stadionsound“ als zusätzliche Audiooption für Kunden mit Sky Q oder Sky+ Receiver. Dabei wird neben dem Live-Kommentator auch zum Spielgeschehen passende Publikumsatmosphäre eingespielt.
Schweiß auf der Stirn
Könnte der Live-Applaus, wie es ihn beim Neujahrskonzert geben wird, künftig vielleicht auch bei anderen TV-Events zum Einsatz kommen? Platzer schließt das nicht aus. „Aber wir hoffen ja alle, dass es bald wieder Publikumszulass gibt.“ Und zunächst gilt es sowieso einmal, das Neujahrskonzert zu absolvieren.
Platzer selbst wird übrigens nicht mitklatschen: „Ich werde nicht können, ich werde mit Schweiß auf der Stirn hinter den Reglern sitzen und prüfen, dass alles funktioniert“, sagt er lachend.
Kommentare