Im "Tatort: Schattenleben“ (20.15, ORF2) trifft die Kommissarin auf ihre Vergangenheit, taucht undercover in die linksautonome Welt ein und riskiert ihren Job. Das eröffnete auch Franziska Weisz neue Seiten an ihrer Figur, wie sie im KURIER-Interview erzählt.
KURIER: Der "Tatort: Schattenleben“ ist in mehrfacher Hinsicht ungewöhnlich. Ihre Figur der Julia Grosz ist der Kristallisationspunkt der ganzen Geschichte. Wie ging es Ihnen damit?
Franziska Weisz: Für das Publikum war Julia Grosz immer ein wenig rätselhaft, sie hat bisher nicht so viel von sich hergezeigt. Das hat auch in den diversen "Tatort“-Fan-Kanälen in den sozialen Netzwerken für Diskussionen gesorgt. Deshalb war ich sehr beglückt, dass die Redaktion entschieden hat, dieser Frau mit diesem Fall viel mehr Raum zu geben. Als ich das Drehbuch gelesen habe, dachte ich mir wow, was für eine Backstory. Da passieren Dinge und kommen Sachen zum Vorschein, die ich über meine Figur nicht gewusst haben, nichts also, was ich mir ausgedacht habe. So etwas zu spielen, ist eine wirklich schöne Herausforderung.
Julia Grosz kommt in dieser Folge mehrfach unter Druck …
… und da beginnen Figuren Spaß zu machen, weil sie als Menschen nicht mehr funktionieren. Als Kommissar kann man das sonst ja nicht so zeigen, da braucht es immer die professionelle Fassade, auch wenn es drunter bröckelt. Was bei uns im "Tatort“ sonst immer sehr betont wird ist, dass nicht so sehr die Kommissare erzählt werden, sondern die Fälle. Es gibt ja auch durchaus eine Mode, dass Kommissare sehr viel Privatleben zeigen – bei uns hatte man sich ganz bewusst dagegen entschieden, was ich gut finde. Nur wenn ein Fall zufällig mit uns zu tun hat, dann können gewisse Züge an unseren Figuren mitschwingen. Hier aber begegnet Grosz das erste Mal ihrer eigenen Vergangenheit und ich fand das sehr spannend, mit dieser Episodenhauptrolle an ihre und über ihre Grenzen zu kommen. Ich habe dadurch die Figur besser verstanden und hoffe, dass es die Zuschauer ähnlich erleben.
Es gibt zwei Handlungsstränge - den Fall und dann gibt es diese emotionale Welt, in die Julia Grosz durch die Begegnung mit Ella hineingezogen wird. Vom kühlen beherrschten Charakter bleibt da wenig.
Manchmal hatten wird das, dass Falke Personen aus seiner Vergangenheit getroffen hat. Somit war er immer auch befangen und die Emotionalität eher auf seiner Seite. Grosz war der rationale Gegenpart, hat interveniert, damit aus dieser Befangenheit heraus nicht Grenzen überschritten werden. Da haben sich die Rollen jetzt doch etwas umgekehrt. Ich finde das auch deshalb spannend, weil es das Verständnis zwischen den Kommissaren und deren Vertrauen zueinander vergrößert. Denn letztlich hat Grosz mit ihrer Aktion, die sie setzt, alles aufs Spiel gesetzt - ihren Job, ihr Leben, aber auch Falkes Job. Vieles von dem, was sie sagt und tut, geht dabei gegen ihre eigenen Prinzipien und sie überschreitet ständig ihre Kompetenzen. Sie wird hier nicht nur einmal auf eine besondere Prüfung gestellt.
Franziska Weisz
1980 geboren in Breitenfurt bei Wien. Sie studierte u. a. am King’s College samt Master-Abschluss. Wurde von Ulrich Seidl entdeckt, war Shooting Star der Berlinale, ist mehrfach ausgezeichnet. Werk-Auswahl (Kino): "Hundstage“, "Hotel“, "Der Räuber“, "Der Taucher“; (TV) „Ein Geheimnis im Dorf“, "Tage, die es nicht gab", "Janus", "Tatort“ seit 2016
Inhaltsangabe
Julia Grosz (Franziska Weisz) macht sich eigenmächtig und mit falscher Identität auf die Suche nach Ela, einer Freundin aus Ausbildungszeiten, die als verdeckte Ermittlerin die linksautonome Szene Hamburgs infiltrierte. Sie riskiert so ihren Job und jenen Falkes, der sie deckt
Bedeutet das insgesamt eine Konzept-Änderung für den NDR-Tatort?
Es hat sich so ergeben, dass Falke in Fällen zuvor mit seiner Vergangenheit konfrontiert war und jetzt eben ist es so bei Grosz. Aber schon der nächste Tatort wird wieder ganz anders – da geht jeder seine Ermittlungswege, um letztlich gemeinsam den Fall zu lösen.
Der "Tatort: Schattenleben“ spielt in der linksautonomen Szene und mit ein paar Klischees. Sie leben in Berlin, gibt’s Berührungspunkte?
Während wir telefonieren, schaue ich auf das Haus Liebigstraße 34, dessen Räumung 2020 Schlagzeilen gemacht hat. Man sieht sich also permanent, aber es gibt da sonst keine Berührungspunkte. Deshalb war es für mich so spannend, da mal richtig ins Thema einzutauchen. Schon bei der Kostüm-Probe, die wir wegen Corona bei mir zu Hause hatten, war es schräg. Denn die kamen mit Ware aus irgendwelchen Second Hand-Läden und suchten Parkplatz in einer Gegend, in der man am 1. Mai sein Auto besser nicht abstellt, weil es die linksautonome Szene abfackelt.
Wie war das Gefühl mit diesem Outfit?
Ich stand da vor meinem Spiegel in Bomberjacke und Springerstiefeln. Meine erste Reaktion war, dass ich total rechtsradikal ausschaue - auch interessant, dass das im Prinzip ein Dresscode für beide Richtungen ist, auch wenn es gerade bei den Linken viele Subgruppierungen mit den jeweiligen Outfits gibt. Links ist also deutlich bunter. In meiner Vorbereitungszeit gab es natürlich immer die Demos hier und die Polizei-Bereitschaft vor Ort. Und an der Ecke gegenüber der Liebig 34 gibt es einen Späti, eine Mischung aus Trafik und Café, und da holen sich gleichermaßen die Linken ihr Bier wie die Polizei ihren Kaffee. Aber dass man einfach als verdeckter Ermittler bei der Szene anklopft und man ist drin, das geht nicht. Da mussten wir natürlich filmisch verkürzen und das ging, weil Falke früher in der linken Szene sehr aktiv war und da noch Beziehungen hat.
Also es gibt da Bezüge zur Realität?
Ich kann auf die Autoren und die Produktion vertrauen, dass da genau recherchiert wird. Wir haben zudem noch Ansprechpartner bei der Polizei, die man dann auch hinsichtlich Authentizität befragen kann. Aber ich habe nicht selbst volle Kanne überall nachgefragt, weil das auch eine zweischneidige Sache ist. Denn ein Film ist ein Film und für den muss manches verändert werden. Und deswegen habe ich mich nicht in diese Zwickmühle begeben, sondern habe beschlossen, dem Buch zu vertrauen.
Die Grundaufstellung bei diesem "Tatort" ist Polizei versus Autonome, also die linken Zecken gegen die rechten Bullen. Aber letztlich wird diese ausgehebelt, denn da wie dort wird an einer Stelle bezüglich verdeckte Ermittlungen die Frage gestellt: Das sind Menschen, wie geht ihr mit ihnen um?
Das finde ich wirklich toll aufgelöst. Es schaudert mich immer, wenn ich etwa von Ost-West-Spionagegeschichten und falschen Identitäten hören. Da gab und gibt es Menschen, die werden geliebt, sind vielleicht verheiratet und auf einmal kommt man drauf, das ist alles Fake. Wenn man sich jetzt nur vorstellt, wie sich ein ganz normales, gebrochenes Herz anfühlt, weil man verlassen oder betrogen worden ist. Aber so etwas aus politischen Gründen oder für Ermittlungen? Ich kann mir auch kaum vorstellen, dass man das einfach eiskalt durchzieht, ohne irgendwie emotional involviert zu werden. Und dann gibt es hier auch noch unbeteiligte Dritte, die zu Schaden kommen – das ist ja das eigentliche Problem, es gibt immer Opfer auf allen Seiten.
Und es gibt keine Seite, die nur gut ist.
Das macht es auch so schwer, Partei zu ergreifen. Mir ist zum Beispiel erst jetzt nach dem Dreh aufgefallen, wie unfassbar oft ACAB – all Cops are Bastards – zu lesen ist, das ist hier in jeder Straße gesprayt. Dabei meine ich, es gibt viele tolle Polizisten, die die Welt retten wollen und die keine Bastards sind. Und ebenso gibt es natürlich Linke, die echte Ideale haben. Genauso gibt es andere, die brutal sind. Das Generalisieren ist das Gefährliche und damit werden sie zum roten Tuch für den jeweils anderen. Deswegen kommt es dann zu keinem Dialog mehr, zu keiner Differenzierung – jeder steckt in seiner Art von Uniform fest.
Der "Tatort: Schattenleben“ ist eine Produktion, die vor und hinter der Kamera sehr stark von Frauen geprägt wird.
Genau, ‘geprägt’ nicht ‘dominiert’, -um Dominanz sollte es ja eigentlich gar nicht mehr gehen. Und was die allerwenigsten wissen: das alte Hollywood der Stummfilmära war eine komplette Frauendomäne hinter der Kamera. Es war die Zeit der großen Regisseurinnen. Erst als Hollywood so richtig kommerzialisiert wurde und die große Kohle da reingeflossen ist, dann waren es auf einmal Männer. Und es ist ja nach wie vor so, dass Männer immer noch die größeren Budgets bekommen. Die tolle Begründung lautet dann, weil Frauen ja keine Erfahrung haben - die zu machen, man ihnen verwehrt hat. Jetzt bricht das endlich auf und es gibt immer mehr Einhörner wie Kathryn Bigelow. Ich finde es gut und wichtig, dass bei dieser Produktion der Inclusion Rider umgesetzt wurde, der ganz bewusst marginalisierte Gruppen berücksichtigt.
Der ist bisher in Österreich weitgehend unbekannt.
Letztlich ist der Inclusion Rider eine Quotenregelung. Auf diese Art und Weise wird dafür sorgt, dass Menschen, die bisher immer eine Abfuhr bekommen haben aufgrund „mangelnder Erfahrung“, den Schritt nach vorn machen können. Das Team, das wir beim „Tatort“ hatten, hatte zuvor zu einem Gutteil noch nie einen Film dieser Größenordnung gemacht – diese Referenz kann ihnen jetzt niemand mehr nehmen. Ich fand früher Quotenregelung selbst immer ein bisschen schwierig. Ich dachte, dann heißt es, dass die Frau den Job nur hat, weil sie eine Frau ist und kann trotzdem nichts. Ich meinte, dass es den Zorn der Männer auf die Frauen ziehen würde. Ich kann mir vorstellen, dass das auch in Einzelfällen genau so ist. Denn natürlich ist es im Einzelfall schlimm, wenn ein Mann einen Job nicht bekommt, weil er mit einer Frau besetzt werden muss. Andererseits hatte unsere Gesellschaft doch lange genug Zeit, um das anders zu regeln, hat es aber nicht hingekriegt. Mit dem Inclusion Rider wird das nochmals forciert, um somit Chancengleichheit zu schaffen, weil dann halt wirklich alle die gleichen Erfahrungen machen und die gleichen Kompetenzen erlangen können. Ich bin optimistisch, dass sich Quoten dieser Art selbst obsolet machen werden, weil mehr Vielfalt und Gerechtigkeit bald die Norm sein wird.
Dafür fehlt es noch an Öffentlichkeit.
Frances McDormand hat 2018 einen Oscar bekommen für ihre Rolle in "Three Billborads Oudside Ebbing, Missouri“. Bevor sie von der Bühne ging, sagte sie „"I have two words for you: inclusion rider." Und das kann etwas bewirken. Auf diese Art und Weise hatten wir ein junges, wahnsinnig ambitioniertes Team, von dem alle ihre Chance auch erkannt haben, da mitzuwirken. Das steht jetzt unwiderruflich in ihrer Vita, nachdem sie einen super Job gemacht haben. Das war eine wirklich schöne Atmosphäre am Set und Mia Spengler ist einfach eine tolle Regisseurin mit einer großen Vision und dazu ein wirklich wundervoller, energiegeladene, talentierter Mensch. Auch wenn das manchen zu politisch ist, aber um wieviel glaubhafter ist es doch, einen Film über gewisse Gruppen von diesen Gruppen machen zu lassen, statt des Blicks von außen. Hier erzählen Frauen von Frauen, Geschichten von diversen sexuellen Orientierungen und von kulturellen und ethnischen Hintergründen. Und wenn das alles im Team auch vertreten ist, dann kann man auch nicht in die Falle von Klischees tappen.
Dieser "Tatort" könnte noch für Diskussionen sorgen, verlangt er den Zusehern doch einiges ab: Menschen mit komplett unterschiedlichen Gesinnungen, Linksautonome, rechte Polizisten, queere Gesellschaft, unterschiedliche Hautfarben, kein eindeutiges Gut, kein eindeutiges Böse. Das ist ganz schön fordernd für einen Sonntagabend, finden Sie nicht?
Ja, das ist unsere Welt. Und ja, es gibt kein eindeutiges Gut und kein eindeutiges Böse. Und ja, es gibt immer den einen bösen Satz. Es gibt aber immer den Satz davor, der provoziert hat. Ich finde es wichtig, dass sich ein "Tatort“ diese Komplexität traut. Letztendlich ist es ja das meistgesehene fiktionale Programm. Ich finde es gut, wenn man sich dort auf die Fahnen schreibt, viel von unserem Leben erzählen zu wollen. Klar, das ist nicht unbedingt Eskapismus.
Sie haben in den vergangenen Monaten sehr viel gedreht. Jüngst beendet wurden die Arbeiten an der Schimmelreiter-Adaption "Hauke Haiens Tod“ nach Andrea Balluch und Robert Habeck, heute Vizekanzler Deutschlands.
Ich hatte zunächst gar nicht kapiert, dass das ein und dieselbe Person ist, ich dachte an eine zufällige Namensgleichheit und musste erst googeln. Vor zwei Jahren stand irgendwo frei nach der Parship-Werbung, alle 20 Sekunden verliebt sich ein Journalist in Robert Habeck und ich denke mir: Ja, versteh ich. Wobei ich auch finde, dass Annalena Baerbock einen großartigen Job macht. Jedenfalls Theodor Storms "Schimmelreiter“ kennt man in Österreich kaum, ich habe ihn beispielsweise in der Schule nicht gelesen. Auf dieser Novelle basiert Habecks Roman, der wiederum die Vorlage fürs Drehbuch zum Film ist, bei dem Andreas Prochaska Regie geführt hat. Der Dreh war sehr, sehr schön und so wahnsinnig anstrengend. Ich hoffe, Habeck mag das Ergebnis. Die Sturmflut, die da kommt, wurde mit unfassbar großen Regenmaschinen produziert, wir wurden am Set regelrecht geflutet. Nach ganz normalen Dialogszenen habe ich jedes Mal die Taschen meiner Barbour-Jacke geleert. Ich hätte darin Goldfische transportieren können, weil sie ständig voll waren. Einmal mussten wir auch ins Tauchbecken, was sehr abenteuerlich war. Aber es ist einfach die reinste Freude, mit Andreas Prochaska, mit dem ich vor Jahren schon drehen durfte, zu arbeiten. Und es waren viele tolle Kollegen dabei - Detlev Buck verkörperte meinen Mann und die Österreicherin Philine Schmölzer meine erwachsene Tochter. Leider hatte ich mit ihr keinen einzigen gemeinsamen Drehtag, weil die Geschichte so ist, dass die Mutter 15 Jahre davor stirbtund wir auf zwei verschiedenen Zeitebenen agieren
Was steht als nächstes an?
Im Herbst wird noch ein "Tatort“ gedreht und davor ein Kinofilm, über den ich noch nichts sagen darf. Aber ich freue mich sehr darauf. Er wird in Bratislava entstehen. In Fertigstellung ist gerade die Verfilmung von Schätzings Bestseller "Der Schwarm“, der 2023 Premiere hat und von dem gerade der erste Trailer veröffentlicht wurde. Regie geführt hat da u. a. die wunderbare Barbara Eder.
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