"Der Schwarm"-Regisseurin Eder: "Das Monster sind wir Menschen"
Wale zerstören Boote, Krabben greifen Strände an, Muscheln legen Schiffe lahm: In Frank Schätzings „Der Schwarm“ wehrt sich die Natur gegen den Menschen. Aus dem Bestseller entsteht gerade die teuerste deutsche Serie. Aktuell befindet sie sich in der Postproduktion, ein erster Trailer wurde nun in Berlin präsentiert. Die Österreicherin Barbara Eder („Thank you for Bombing“, „Barbaren“) führte bei vier von acht Episoden Regie.
KURIER: Was hat Sie am „Schwarm“ gereizt?
Barbara Eder: Das Thema, dass alles miteinander verbunden ist. Was wir der Natur antun, tun wir uns selber an. Das ist super aktuell. In der Serie entsteht zunehmend der Gedanke, dass es ein Monster gibt, das uns Menschen zerstören will. Doch irgendwann erkennst du, dass das Monster wir Menschen sind. Der Gedanke, dass unsere Welt nur dann gerettet werden kann, wenn wir Menschen zerstört werden, ist provokant und regt durchaus zum Nachdenken an. Und ich mochte, dass es so eine multinationale Serie ist.
Der Protagonist in „Der Schwarm“ ist kein Mensch.
Genau, die Geschichte beginnt mit einem Fischer, der unter Wasser taucht, weil sich sein Netz in Korallen verfangen hat. Plötzlich merkt er, dass ein wunderschöner Fischschwarm über ihm ist. Er hält noch immer die Luft an, um das Netz zu zerschneiden. Als er Luft holen und wieder hoch will, verhindert der Schwarm das. Der Fischer wird nie wieder auftauchen. Das ist das erste von verschiedenen Phänomenen überall auf der Welt. Man kommt dann drauf, dass es ein Aufstand der Natur ist.
Kannten Sie den Roman davor?
Nein, und ich wollte ihn auch nicht vor den Drehbüchern lesen. Dadurch ist man nicht so eingenommen und kann gut überprüfen, wie die Geschichte auf jemanden wirkt, der das Buch nicht kennt. Später habe ich den Roman gelesen und da sind viele Dinge natürlich anders. Personen, die im Buch Männer sind, haben wir zum Beispiel zu Frauen gemacht. Wir haben es zeitgemäßer gestaltet, aber im Sinne von Frank Schätzing und im Sinne des Buches.
Haben Sie ihn kennengelernt?
Nein, er ist ans Set gekommen, da war ich schon fertig. Wir haben uns sozusagen verpasst. Aber ich hoffe, ich werde ihn spätestens bei der Premiere kennenlernen. Ich glaube, es muss schwer für einen Autor sein, der ein so erfolgreiches Buch geschrieben hat. Er hatte eine gewisse Vorstellung und ich trau mich wetten, dass niemand dem gerecht werden kann. Ich finde großartig, was er geschrieben hat, und dass er zugelassen hat, dass man sein „Baby“ ein bisschen verändert und zu einer großartigen Serie macht.
Wie wurde „Der Schwarm“ umgesetzt?
Wir haben sehr viel mit Visual Effects und Computer Graphics Animation gearbeitet. Bis auf die Unterwasserszenen haben wir alles in Italien gedreht.
Warum genau Italien?
Ursprünglich sollte es Südafrika werden, aber Corona hat uns einen Strich durch die Rechnung gemacht. Dann ist es Italien geworden, aufgrund der Küste, der produktionsfreundlichen Tax credits und den Topleuten. Zuerst war ich ein bisschen skeptisch. Ich kannte Rimini (lacht). Aber es ist phänomenal, wie viele unterschiedliche Küstenlandschaften es in Italien gibt. In Apulien, ganz im Süden, haben wir zum Beispiel die Shetlands gedreht. Das glaubst du erst nicht, aber wenn du dort stehst, denkst du dir: Genau, jetzt fehlen nur mehr die Schafe (lacht). Wir konnten in Italien auch Peru, Norwegen und Kanada darstellen. Es war wirklich schön, am Meer zu drehen und das Land zu bereisen.
Sie haben die Unterwasserszenen angesprochen. Wie war es, unter Wasser zu drehen?
Großartig und fürchterlich! Wir haben in Belgien in einem Unterwasserstudio gedreht. Kameras, Schauspieler, Sicherheitstaucher sind in einem Becken unter Wasser. Ich bin draußen und schaue mir auf den Monitoren an, was die Kameras machen. Es hat 30 Grad, eine unglaubliche Schwüle in der Halle, man schwitzt und die Kommunikation ist eine einzige Herausforderung. Um zu kommunizieren, muss man in einen Unterwasserlautsprecher sprechen. Das ist aber nur zu hören, wenn der Taucher kurz zu atmen aufhört, weil das Atmen so laut ist. Das heißt, du weißt nicht, ob du gerade den Moment erwischst, wo er die Luft anhält. Ein Unterwasserdreh bringt natürlich auch die Schauspieler an ihre Grenzen, weil das physisch sehr anstrengend ist. Dafür sind die Resultate wunderschön: Du kannst das Licht einstellen, Morgenröte, Nachmittagssonne, Sonnenuntergang – das ist einfach magisch mit dem Wasser.
„Der Schwarm“ ist eine Koproduktion mehrerer öffentlich-rechtlicher TV-Sender. Wie sehr spürt man bei der Arbeit, dass viele Menschen mitreden wollen?
Das spürt man ganz stark und ich finde das großartig. Es ist Europaparlament in klein (lacht). Jedes Land hat natürlich eigene Vorlieben und andere Zielgruppen. Wir hatten mit Frank Doelger einen unglaublich guten Showrunner, der all die Kulturen zusammengebracht hat und auf alle eingegangen ist. Das ist genau so, wie wenn du einen Haufen Kreativer hast: Es braucht immer ein bisschen Mediation.
Hatte Österreich spezielle Wünsche?
Alle haben Wünsche, aber die Österreicher sind dabei sehr angenehm. Jeder möchte natürlich ein bisschen sein Land vertreten sehen, zum Beispiel mit Schauspielern oder Drehorten. Das sind keine Forderungen, sondern Wünsche, aber natürlich versuchst du, die zu erfüllen. Oder zu erklären, warum du es nicht tust. Dass der „Schwarm“ Schauspieler aus so vielen Ländern zusammengebracht hat, finde ich fantastisch. Alle durften in ihren Sprachen sprechen: Finnisch, Schwedisch, Native Canadian, Französisch, Japan, Englisch, Deutsch.
Ist so eine große europäische Produktion wie "Der Schwarm" ein Versuch, US-Streamingdiensten Paroli zu bieten?
Man muss nicht gleich einen Kampf daraus machen, aber es ist gut, einen Gegenpol zu haben und zu zeigen: Das kann man auch von Europa aus. Dass man einen Streamingdienst aus Europa startet, hat man eh verschlafen. Wir haben hier eine große Industrie, Arbeitskräfte und Professionalität. Serien wie „Babylon Berlin“, eines der größten europäischen Serienprojekte, haben gezeigt, dass in dieser Größenordnung produziert werden kann.
Aber macht es einen Unterschied, ob Netflix in Europa dreht oder die Öffentlich-Rechtlichen?
Dass Netflix in Europa dreht, belebt den Markt. Ungewöhnlichere Serien entstehen, es gibt mehr Mut in den Inhalten, Genres und Formaten. Das ist eine faszinierende Spielwiese für jede Regisseurin. Der Unterschied zwischen Netflix und Öffentlich-Rechtlichen liegt in der Produktionsstruktur. Netflix hat eine sehr amerikanische Struktur, wie ich finde. Es gibt Posten und Entscheidungsträger, die es im Öffentlich-Rechtlichen nicht gibt. Und ganz bestimmt einen stark amerikanischen Einfluss, wenn es um das Verständnis von Kultur geht.
Zuerst die Netflix-Serie „Barbaren“, jetzt „Der Schwarm“. Sind Sie mittlerweile Serienexpertin?
Ja, das kann ich von mir behaupten (lacht). Ich mag das total gerne, weil du mehr Zeit hast, die Figuren zu entwickeln. Man redet ja immer darüber, wie wichtig es ist, wer die Pilotfolge dreht. Aber die größte Challenge liegt in der Wandlung der Figuren. Beim „Schwarm“ habe ich die Folgen 3 bis 6 gemacht. Wir hatten einen Riesencast und haben auch komplett unchronologisch gedreht. Erst am Ende, wenn du im Schnitt bist, weißt du, ob es funktioniert.
„Barbaren“ haben Sie in Ungarn gedreht. Das Land steht u. a. wegen der Beschneidung der Pressefreiheit und der Rechte der LGBTQ-Community massiv in der Kritik. Welche Rolle spielt das Politische bei einem Dreh?
Das Politische spielt eine ganz große Rolle. Es ist ein absoluter Rückschritt in Europa, wenn ein Land Homosexuellen nicht die gleichen Rechte gibt. Ich kann mich erinnern, das war auch eine Riesendiskussion, als wir letzten Sommer „Der Schwarm“ gedreht haben (als das umstrittene LGBTQ-Gesetz in Ungarn beschlossen wurde, Anm.). Es wurden Gedanken von mehreren Menschen laut, die große internationale Produktionen machen, zu sagen: Da wollen wir nicht mehr drehen. Und ich möchte bei so einer Politik auch nicht in Ungarn drehen. Gerade in unserer Branche haben wir viele Künstler, die direkt betroffen sind. Es ist schade, weil Ungarn tolle Menschen und professionelle Filmleute hat. Ich habe es auch sehr genossen, dort zu arbeiten. Aber ich glaube, das ist ein Zeichen, das man setzen kann. Geld und Kapitalismus funktionieren nun mal so: Wenn weniger Produktionen kommen, tut das weh und das kann auch etwas bewegen.
War die Politik auch Thema am Set, als Sie die „Barbaren“ gedreht haben?
Es hat uns nicht beeinflusst, aber es war Thema am Set. Ich habe das auch in der Regie genutzt. Ich hatte circa 300 ungarische Statisten für eine Szene mit einem Aufstand. Und ich hab ihnen gesagt: „Orbán hat heute die Pressefreiheit beschnitten – zeigt mir, wie aufgebracht ihr seid.“ Hinter den Kulissen haben wir auch immer wieder darüber gesprochen und gefragt: Was ist mit eurer Regierung los? Und dann kamen Sachen wie: „Es tut mir so leid, wir leiden auch darunter.“ Natürlich sind wir beim Film auch in einem Umfeld, das nicht für die Einschränkung der Pressefreiheit steht. Interessant wird es ja, wenn man sich mit Nicht-Gleichgesinnten unterhält.
"The Witcher", "Dune", "Moon Knight" und viele andere – warum werden internationale Produktionen so gern in Ungarn gedreht?
Viele kommen gar nicht wegen der Häuser oder um in Budapest zu drehen, sondern aufgrund der Studios und der Tax incentives. Man erhält Steuerbegünstigungen, das macht es schmackhaft. Bei Riesenproduktionen sind da mehrere Millionen zu holen. Das Ganze stößt aber auch an Grenzen. Wir mussten einmal doch nachts statt am Tag drehen, und brauchten dafür Heliumballons. Zu dem Zeitpunkt wurde so viel in Ungarn gedreht, dass wir Schwierigkeiten hatten, Helium zu bekommen. Gleichzeitig mit uns war eine große Hollywoodproduktion in den Studios und die haben bei uns angefragt, ob wir unsere Kamerasätze jeden Tag brauchen. Das ist schon ungewöhnlich, dass du andere Produktionen fragst, weil du zu wenig Equipment hast.
Gibt es Alternativen zu Ungarn, wenn man z. B. aus politischen Gründen nicht dort drehen möchte?
Ich kann natürlich sagen, ich möchte dort aus diesen und jenen Gründen nicht drehen. Aber es sind die Produzenten, die letztlich die Entscheidung und das Risiko tragen. Das Verständnis muss man auch haben. Wien ist leider keine gute Alternative, da es hier keine Steuerbegünstigungen gibt und wir auch keine Studios haben. Die Rosenhügelstudios wurden seinerzeit abgerissen und nichts Neues geschaffen. Tax incentives, die es bereits in fast allen europäischen Ländern gibt, gibt es hier nicht. Das ist bei den knappen Budgets also schwierig und macht Wien unattraktiv. Wer beispielsweise historisch drehen will, der findet in Tschechien, Bulgarien, Litauen etc. gute Alternativen.
Wie geht es bei Ihnen weiter?
Ich bereite derzeit die englischsprachige Prime Time Serie „Concordia“ in Italien vor. Ein Thriller über eine Stadt, die sich der totalen Überwachung verschrieben hat. Wieder mit Frank Doelger, dem Produzenten von "Game of Thrones" und Partnern aus Deutschland und Frankreich. Gedreht wird bis Mitte November.
Die Serie
Der achtteilige Thriller „Der Schwarm“ basiert auf dem gleichnamigen Klimawandel-Bestseller von Frank Schätzing.
„Der Schwarm“ ist eine internationale Koproduktion von ZDF (federführend), France Télévisions, Rai, ORF, SRF, der Viaplay Group und Hulu Japan. Die Serie soll im Frühjahr 2023 zu sehen sein
Die Personen
Regie führten Barbara Eder, Philipp Stölzl und Luke Watson. Showrunner ist Frank Doelger („Game of Thrones“). In den Hauptrollen: Leonie Benesch, Cécile de France, Alexander Karim, der österreichische Schauspieler Eidin Jalali u. a., in weiteren Rollen: Franziska Weisz und Klaas Heufer-Umlauf
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