„Der Countdown für ORF1 läuft“

SPÖ-Stiftungsrat Heinz Lederer
SPÖ-Stiftungsrat Heinz Lederer im Interview über den ORF-Sparkurs, Anforderungen ans ORF1-Programm und die Streamingzukunft.

Heute, Montag, diskutiert der Stiftungsrat in einer Sondersitzung das ORF-Budget für 2020. Die Lage ist angespannt, es gibt viel zu reden.

KURIER: Zum Sonderfinanzausschuss meinte Thomas Zach vom türkisen Freundeskreis jüngst, es gehe darum, Spielräume im Budget zu schaffen. Was erwarten Sie?

Heinz Lederer: Wo ich mit anderen Freundeskreisleitern der Stiftungsräte eines Sinnes bin, ist, dass man immer schauen soll, wo es im ORF die Möglichkeit zur Optimierung gibt, um den ohnehin laufenden Sparkurs einzuhalten – was ja geschieht. Wovor ich aber warne, ist eine erneute Ankündigung weiterer kurzfristiger Maßnahmen.

Was ist Ihr Problem dabei?

Diese Maßnahmen treffen, wie schon das Vorjahr zeigte, stets die Bereiche Programm und Personal, weil es kurzfristig anders gar nicht geht. Das hat dazu geführt, dass etwa in der Information, einem Asset des Öffentlich-Rechtlichen, der Personalstand das absolute Limit nach unten erreicht hat. Mit allen Konsequenzen, die eine solche Belastung für Mitarbeiter und Qualität der Sendungen auf Dauer bringt. Und das ist nur ein Beispiel.

Die Werbekonjunktur kühlt ab, die ORF1-Probleme senken die Einnahmen noch stärker.

Es  gibt dort gewichtige Probleme. Der Countdown für ORF1 läuft. Deshalb ist an die Adresse von Sender- und Sendungsverantwortlichen zu sagen: Es gehört rascher agiert und reagiert. Da muss jeder das Seine beitragen. Die Uhr, die da abläuft, lässt sich nicht stoppen, deshalb ist abwarten und hoffen zu wenig. Welche wirtschaftlichen Konsequenzen die ORF1-Probleme nach sich ziehen, wird man im Sonderfinanzausschuss erörtern.

Programm-Highlights besser nutzen

Spekuliert wird über Mindereinnahmen aus Werbung von 20 Millionen im kommenden Jahr – ein Gutteil davon wegen ORF1.

Wie gesagt, das wird am Montag diskutiert. Ich weise aber gleich darauf hin, dass man an dem Punkt Ursache und Wirkung nicht vermischt. Was die Mitarbeiter der Werbetochter Enterprise mit Oliver Böhm hier leisten, ist bemerkenswert. Da werden wirklich Klinken geputzt.

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Welche Erwartungen haben Sie in dieser Situation an ORF1?

Ich werde mich als Aufsichtsrat hüten, ins operative Geschäft einzugreifen. Das mach ich nicht. Aber man kann auch nicht einfach wegschauen. Was mir hier fehlt, ist Tempo, Mut und Flexibilität bei den Verantwortlichen. Es gehören Reformen rasch umgesetzt und wenn man erkennt, dass man falsche Wege beschritten hat, was in diesem Geschäft ja vorkommen kann, gehören rasch notwendige Änderungen durchgeführt. Und nicht zuletzt muss man die Highlights, die man hat, entsprechend nutzen.

Was meinen Sie damit?

Dass man sich ewig lang ziert, Sport-Events, die von breitem Interesse sind, ins ORF1-Programm zu hieven, ist unverständlich. Das sind Chancen beim Publikum, die vergeben werden. Der Sport ist ein Quotenbringer und ebenso ein öffentlich-rechtliches Asset. Dass man weiters monatelang ein Vorabend-Quiz entwickelt, während das von ORFIII bis ServusTV wesentlich schneller umgesetzt wird und auch noch funktioniert, macht nachdenklich. Natürlich braucht es Sorgfalt und kann ein ORF nicht nach dem Prinzip "quick and dirty" agieren. Aber entweder man glaubt an die Grundidee oder nicht. An fehlendem Geld liegt es nicht, wobei schon gesagt sei, dass Effizienz auch bei öffentlich-rechtlichen Inhalten wie etwa Reportagen gefordert ist.

Es gibt auch Befürchtungen, dass 2020 die Produktion eigen- und co-produzierter Serien und Filme reduziert wird, um Gelder umzuleiten.

Details zum Budget werden wir erstmals im Sonderstiftungsrat hören. Klar ist aber, dass man hier sehr mit Bedacht agieren muss. Da geht es um eingeführte Marken, langjährige Partner und Publikumslieblinge. Jetzt ihnen die zum Atmen notwendige Luft zu nehmen, geht gar nicht. Man kann in diesem Bereich, der gegenseitiges Vertrauen voraussetzt, keine Stop-and-Go-Strategie fahren.

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Welche Schritte sind zu setzen?

Ich will mich, wie gesagt, nicht auf die operative Ebene begeben. Nur so viel: Ich finde jedenfalls den Vorstoß von ORF-Generaldirektor Alexander Wrabetz, "Dancing Stars" aufs Frühjahr vorzuziehen, absolut richtig. Das ist ein Signal an die Seher wie an die Werbewirtschaft. Ich hoffe zudem auf eine Erholung der ORF1-Vorabend-Quoten durch das neue Quizformat. Und natürlich muss das Sport-Angebot auch künftig passen.

Den ORF-Quoten helfen 2020 Fußball-EM und Olympische Spiele - die Rechte daran sind längst kein Selbstläufer mehr, wie das deutsche Beispiel zeigt. In Normaljahren hat der ORF aber weder Fußball-Bundesliga noch Europa oder Champions League. Eine Situation, an die wir uns gewöhnen müssen?

Es ist erstaunlich, was Sport-Chef Trost trotz steigender Rechtekosten immer noch schafft. Man darf hier ja nicht vergessen, da geht es auch um die Akzeptanz der Gebührenzahler. Das gilt übrigens auch für Neu-Entwicklungen in anderen Bereichen – wenn im Programm etwas nicht abhebt, sind Konsequenzen zu ziehen, niemand lässt sich mehr zwangsbeglücken. Und Sportrechte-Budgets für Eigenentwicklungen umzuwidmen, bei denen das Gefühl herrscht, man kommt nicht weiter, das würde kein Gebührenzahler verstehen. Dem Rechnung zu tragen, dafür sind Channel-Manager, Chefredakteure und Programmierer verantwortlich.

Frauen in Top-Jobs

Für die ORF-Zukunft sehr wichtig ist, wie auf die Streaming-Herausforderung reagiert wird. Stichwort: ORF-Player. Dafür, wie auch für die GIS, ist ein Geschäftsführer-Job ausgeschrieben.

Die Entwicklung des Players ist von existenzieller Bedeutung für den ORF. Ich erwarte mir deshalb, dass für so eine entscheidende Besetzung sowohl im ORF als auch im gesamten In- und im Ausland gescoutet wird. Wie auch bei der GIS wäre eine Besetzung der Player-Geschäftsführung mit einer Fachfrau sehr wünschenswert, weil ein moderner ORF auch in diese Richtung gerade jüngeren Menschen Entwicklungspotenziale offerieren muss. Sie sind es, an die sich der Player zu allererst richtet. Es wäre deshalb zielführend, wenn auf Anbieterseite, dem ORF, jemand steht, der Lebenswelten und Affinitäten der Zielgruppe versteht und im besten Fall selbst lebt.

Vielen Dank für das Gespräch.

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