Medienpaket: Wiens Bürgermeister Ludwig fordert Realismus von Verhandlern ein
Der Medien- und Werbestandort Österreich steht unter enormem Druck globaler Konkurrenz. 2023 lagen die hiesigen Digital-Werbeausgaben bei über 2 Mrd. Euro. Die flossen zum größten Teil zu Google, Amazon, Facebook, Tiktok und Co. Sie hatten damit erstmals höhere Werbeeinnahmen in Österreich als klassische Medien. Für 2024 werden noch größere Summen erwartet. Wichtig sind deshalb entsprechende Weichenstellungen der nächsten Regierung.
Das machte auch Wiens Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ) am Freitag in der ORF-Sendung „Wien heute“ deutlich: „Es geht darum, Lösungen zu finden und wirtschaftliche Rahmenbedingungen zu schaffen, dass elektronische, aber auch Printmedien in Zukunft funktionieren. Weil die Vielfalt der Medien ist auch Garant dafür, dass es eine gut funktionierende Demokratie gibt.“
Er mache sich große Sorgen, dass in Zukunft bis zu 2,5 Mrd. Euro in Richtung internationale Internetgiganten abfließen, so der Bürgermeister. Für ihn ist es daher „ganz wichtig, dass eine kommende Bundesregierung sich besonders auch den wirtschaftlichen Rahmenbedingungen des Medien- und Wirtschaftsstandortes widmet“ - ein Appell an den Realismus der Verhandler.
Enorme Geldabflüsse im Werbemarkt
Wien sei ein wichtiger Medienstandort mit sehr vielen qualifizierten Arbeitsplätzen. Ludwig fordert deshalb von den Koalitionsverhandlern von ÖVP, SPÖ und Neos, die am Montag erneut fürs Medienkapitel zusammentreffen, „dass im journalistischen, aber auch im technischen Bereich diese hohe Qualität erhalten bleibt“. Daher seien die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen im Auge zu behalten.
Der Befund des Wiener Bürgermeisters deckt sich mit dem der Praktiker des Medien- und Werbegeschäfts. „Es sind enorme Summen, die aus Österreich hinausfließen, ohne dass hier Wertschöpfung generiert wird. Das Geld ist einfach weg“, sagt Peter Lammerhuber, der als Gründer der Agentur MediaCom und CEO der GroupM Austria über Jahrzehnte die österreichische Werbewirtschaft geprägt hat.
Allein auf den Markt zu vertrauen, sei zu wenig. „Sorry, dafür ist Österreich zu klein. Ich bin ein großer Anhänger der freien Marktwirtschaft. Aber insbesondere das Ausfinanzieren und das Marktpotenzial für qualitative Medien oder qualitativen Journalismus ist nicht gegeben.“ Lammerhuber schwebt deshalb eine Art Wertschöpfungsförderung vor, die aus einer adaptierten Haushaltsabgabe, die nicht mehr beim ORF, sondern bei der Medienbehörde angesiedelt ist, finanziert werden könnte.
Kein Genierer wegen „ein bisschen Protektionismus"
„Es geht hier darum, wer wie viel in Österreich produziert, wer wie viele Journalisten beschäftigt und Inhalte schafft, und das beinhaltet auch Produktions- und Kreativleistungen im z. B. digitalen oder TV-Bereich“, erläutert Lammerhuber. Dieser Ansatz könnte, wie schon im Film- und Serienbereich, Investitionen nach Österreich ziehen und damit Steuergelder bringen. „Warum sollten RTL oder ProSieben nicht Shows oder Infosendungen, statt in München oder Köln, in Österreich produzieren?“
Sein Ansatz sei zwar „ein bisschen protektionistisch. Dafür genieren sich andere europäische Länder oder gar ein Trump aber auch nicht“, meint der Werbeprofi. Für ihn steht fest: „Wenn man so etwas wie einen österreichischen Medienstandort und damit, in einem gewissen Sinn, österreichisches Kulturgut bewahren will, dann bedarf es Schutz- und Fördermaßnahmen.“ Neben Arbeitsplätzen drohten auch das österreichische Idiom, österreichische Kreativität, Literatur, Musik und Schmäh in der modernen Medienwelt verloren zu gehen. „Der Gedanke ist mir das erste Mal gekommen, als meine Tochter, schon vor einiger Zeit, zu mir gesagt hat: ,Guck mal, Papi.‘“
Wird das Geld knapp, kehren gewisse Themen in Branchenkreisen wieder. Eines ist die Abschaffung der Abgabe auf Werbung. „Es wird aber deshalb kein Cent mehr in die Werbung oder Werbeindustrie reinvestiert, das wird vom CFO einbehalten“, meint Lammerhuber.
Markt funktioniert anders
Auch von mehr Werbebeschränkungen für den ORF oder dessen Werbefreiheit hält Lammerhuber nichts. „Wo soll die werbetreibende Wirtschaft hin? Im Fernsehen fließt dann ein bisschen Budget zur ProSieben-Gruppe und ein Teil zu RTL und somit nach Deutschland. Für heimische Wertschöpfung bringt das gar nichts.“ Und eine weitere Beschränkung oder gar das Abdrehen der sogenannten blauen Seite orf.at würde keinem Printmedium online mehr Werbung bringen. „So funktioniert der Markt nicht“, sagt Lammerhuber, der sich als KURIER-Abonnent outet. Beim Hörfunk leiste Ö3 derzeit durch die aktuelle Reichweitenschwäche einen Beitrag, der von heimischen Privatsendern zum Teil aufgenommen werden kann.
Im Digital-Bereich oder bei Social Media sieht Lammerhuber indes schwarz: „In der Schweiz oder Tschechien gibt es immerhin alternative, heimische Suchmaschinen. In Österreich hat Google einen höheren Marktanteil bei den Usern als in den USA. Da liegen die Versäumnisse 20 Jahre zurück. Dieser Zug ist abgefahren.“
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