Materialschlacht am Canal Grande im Fahrwasser der Venedig-Biennale
Wer in diesem Jahr zur Kunstbiennale nach Venedig anreist, wird sich wundern. War da nicht die Rede von einer neuen Herangehensweise der Kuratorin, einer Hauptausstellung mit 90 Prozent Frauenanteil und großteils unbekannten Namen?
Stattdessen sind die Vaporetti, ihre Haltestellen und zahllose Fassaden entlang des Canal Grande mit den großen Namen der zeitgenössischen Kunstwelt vollplakatiert: Von Georg Baselitz und Tony Cragg bis zu Marc Quinn, Antony Gormley, Anish Kapoor und Anselm Kiefer, dessen Mega-Gemälde heuer die Säle des Dogenpalasts füllen – die Riege jener Künstler (überwiegend Männer), deren millionenteure Arbeiten häufig in fabriksartigen Werkstätten entstehen, ist fast durchgehend vertreten.
Keine dieser Ausstellungen hat etwas mit der eigentlichen Biennale zu tun. Diese Veranstaltung ist wohl die Lokomotive, die alle zwei Jahre Kunstinsteressierte in großer Zahl nach Venedig bringt. Doch weil sie zunehmend mit Randpositionen beheizt wird, muss die sprichwörtliche Kohle anderswo abgebaut und gebunkert werden. Und so wird die „Sehschlacht am Canal Grande“, als die der KURIER-Kritiker und spätere Museumsdirektor Alfred Schmeller die Biennale einst charakterisierte, von einer Materialschlacht überlagert.
Finanziert werden die spektakulären Ausstellungen zum Großteil von den Galerien, die die Künstler unter Vertrag haben – und damit ein Interesse, deren Sichtbarkeit und Marktwert hoch zu halten. Gagosian, der Kunstkonzern mit 21 Standorten von New York bis Hongkong, präsentiert etwa die Anselm-Kiefer-Schau im Dogenpalast (die auch bei allen Drucksorten den Stilvorgaben der Galerie folgt), eine Schau der Malerin Mary Weatherford und einige mehr. Thaddaeus Ropac ist u. a. mit Joseph Beuys, Antony Gormley und Gemälden von Daniel Richter präsent – für Letztere wurden die Räume einer Bruderschaft neben dem Opernhaus la Fenice adaptiert. Auch die große Schau von Hermann Nitsch auf der Insel Giudecca dient nicht zuletzt dem Zweck, seine Repräsentanz durch die globale Galerie Pace bekannt zu geben.
Auf Galerien angewiesen
„Ausstellungen in Museumsqualität zu organisieren, ist heute ein Bereich des Galerien-Business“, sagt der Kurator Mario Codognato, der 2013 – ’16 für zeitgenössische Kunst am Belvedere zuständig war und heute in zahlreiche Projekte in der Lagunenstadt involviert ist. „Es ist vielleicht nicht ideal, aber man muss realistisch sein. Italiens Museen fehlt das Geld für internationale Ausstellungen, zugleich haben sie große, luxuriöse Räumlichkeiten instand zu halten. Und da habe ich lieber solche Ausstellungen als gar keine.“
Die Dualität der Venedig-Biennale und ihren zahlreichen Trittbrett-Events ist per se nichts Neues, sie hat sich aber in jüngerer Zeit ausdifferenziert und ein ganzes Biotop von Mischformen hervorgebracht. Das Pop-up-Modell-Modell – eine Galerie oder ein Verbund aus solchen mietet einen Palazzo und promotet dort eine Künstlerperson – ist da noch das Einfachste.
Um im offiziellen Rahmenprogramm der Biennale aufzuscheinen, muss eine Nonprofit-Organisation, oft eine Stiftung, als Veranstalter auftreten. Galerien „kooperieren“ daher eher mit Museen, die in Venedig teils der Kommune, teils dem Kulturministerium unterstehen. Dass diese ihre Räume bloß vermieten, ist laut Codognato jedoch nicht der Fall: „Meine persönliche Erfahrung ist, dass sie sehr wohl viel zu sagen haben, alles muss mit ihnen abgestimmt werden.“
Public Private Palazzo
Codognato kuratierte zuletzt eine Schau des Malers Georg Baselitz, die die Komplexität der Beziehungen veranschaulicht: Der Palazzo Grimani – ein öffentliches Museum mit bekannter Skulpturensammlung – brachte sich dabei als Schauraum für Zeitgenossen ins Spiel, um Mittel für seine Renovierung aufzustellen.
Baselitz spendete 12 Gemälde zur dauerhaften Installation und setzte eine temporäre Ausstellung (noch bis 27. 11.) obendrauf; seine Galerie Gagosian, die 2019 bereits die Malerin Helen Frankenthaler im Grimani-Palast gezeigt hatte, trat als Unterstützer der Renovierung auf – erleichtert von der italienisch-amerikanischen Stiftung „Venetian Heritage“, die (unter Vorsitz des bekannten Baritons Thomas Hampson) US-Mäzenen steuerlich absetzbare Spenden ermöglicht.
Der Milliardär Nicolas Berggruen gab erst kurz vor der diesjährigen Biennale-Eröffnung bekannt, den Palazzo Diedo, einen zuletzt als Verwaltungsgebäude genutzten Koloss im Cannaregio-Bezirk, bis 2024 zum Kunstzentrum umbauen zu wollen. Das Haus, das nun mit einer Installation des Künstlers Sterling Ruby markiert ist, wäre der zweite Standort für Berggruens Stiftung in Venedig.
Auch der indisch-britische Künstler Anish Kapoor beschloss, seine Kulturstiftung in Venedig zu verankern. Neben einer Ausstellung in der Galleria dell’ Accademia sind derzeit schon Einblicke in den Palazzo Manfrin möglich, dessen Renovierung ebenfalls bis 2024 abgeschlossen sein soll.
Der Chef vor Ort für Berggruen wie für Kapoor heißt übrigens: Mario Codognato. Er verspricht künftig viel Programm mit Ausstellungen, Führungen und Gesprächen für internationales Publikum – im Winter werden die Stiftungsgebäude vermutlich geschlossen bleiben. Und ja, ein Künstler wie Kapoor lebe auch vom Verkauf seiner Werke an reiche Klienten. „Aber so direkt läuft das nicht. Er investiert ja etwas in die Öffentlichkeit – in einer Weise gibt er also Geld zurück.“
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