Es ist keine politisierte, aktuelle oder gar trendige Schau, die Alemani da im Pavillon und in den lang gezogenen Arsenale-Hallen arrangiert hat – sie leistet sich den Luxus poetischer Distanz und kommuniziert vor allem über Formen und ästhetische Verwandtschaften. Das Basisvokabular ist dabei jenes des Surrealismus: Traumartige Szenarien, irrationale Konstellationen und Körper, die die Fähigkeit besitzen, eine völlig andere Gestalt anzunehmen, begegnen in der Schau immer wieder.
Sehr klug ist dabei Alemanis Strategie, den Rundgang durch sogenannte „Zeitkapseln“ zu erden und zu rhythmisieren: In Räumen mit Vitrinen und in musealer Anmutung sind ältere Werke zu sehen, die wie eine Ahnengalerie für die zeitgenössischen Positionen rundum funktionieren. Künstlerinnen wie Meret Oppenheim oder Leonor Fini geben da etwa den Ton an – Frauen, die die Macho-Attitüden der Surrealisten ablehnten, aber ähnliche Bildstrategien oft in anderen Medien verfolgten. Der Titel „The Milk of Dreams“ stammt etwa von einem Kinderbuch, das Leonora Carrington, zeitweilig Frau des Surrealisten Max Ernst, publizierte.
Dass das Sammeln und Synthetisieren, das Urbarmachen von Träumen und Mythen bei Weitem nicht auf ein Kapitel westlicher Kunstgeschichte nach dem 1. Weltkrieg beschränkt blieb, ist eine zentrale Botschaft: Spiritistisch und alchemistisch inspirierte Kunstpraktiken (Milly Canavero, Candice Lin) bekommen bei Alemani einen Auftritt, vor allem aber Künstlerinnen und (zu geringerem Anteil) Künstler, die indigenen Gruppen oder einer Diaspora entstammen. Die Chilenin Cecilia Vicuña, ebenfalls mit dem Lebenswerk-Löwen geehrt, ist hier exemplarisch: Sie malt wundersame Mischwesen wie eine Leopardin mit Vulva und einem Fell, aus dem lauter Augen die Betrachter anstarren.
Die in der Kunstwelt aktuell stark rezipierte Science-Fiction-Autorin Ursula Le Guin sagte einmal, dass man nur indigene Gruppen anschauen müsse, wenn man wissen wolle, wie es ist, in einer zerstörten Welt zu leben: Sie würden das seit langem tun.
Mit dieser Idee wird der in der Biennale-Schau gezeigte (Neo-)Surrealismus auch als Überlebensstrategie kenntlich. Nichtwestliche Positionen erscheinen auch längst nicht mehr unter dem gönnerhaften Banner der Einbindung bisher marginalisierter Kulturen – es sind individuelle Hervorbringungen, die im Kunstkontext funktionieren.
Als Werkzeug des Überlebens gesellt sich in der Schau zur Magie dann noch die Technik dazu. Alemani holt hier zu italienischen Computerkunst der 1960er aus, zu Sexpuppen (in einer Doku von Sidsel Meineche Hansen), aber auch zu feministischen „Cyborgs“, die sich gegen jene Machos wehrten, deren Technikvisionen in unterwürfigen Gehilfinnen endeten: Kiki Kogelnik hat hier auf einer Doppelwand im Arsenale einen großen Auftritt mit Bildern, die um 1965 entstanden, aber völlig aktuell wirken.
Die Zwischenwelt von Prothesen, Puppen und Automaten, die auch schon die Surrealisten der 1920er faszinierte, verbindet Magie und Technik in der Schau – von den gruseligen Puppen der Portugiesin Paula Rego bis zu jenem faszinierenden Video von Lynn Hershman Leeson im Arsenale, in dem eine Asiatin über Überwachung und algorithmenbasierte Gewalt referiert. Die Frau ist selbst ein Cyborg, ihr Gesicht ein Konstrukt künstlicher Intelligenz – und sie hat Gewissensbisse, weil die Technologie, die sie erschaffen hat, militärischen Ursprungs ist und der Zerstörung dient.
Das müsse nicht sein, sagt die Cyborgin – die Werkzeuge könnten zum Überleben dienen, „wir stecken da gemeinsam drin.“ Und dann hat die Frau aus dem Computer noch einen Wunsch: Sie will träumen können.
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