Mark Dion: Der Biologieprofessor der kritischen Kunst
Der Glassturz, den Mark Dion im Foyer des neuen Biologiezentrums der Universität Wien in St. Marx installiert hat, erinnert nicht zufällig an Schneewittchens Sarg aus Grimms Märchen.
„In meiner ersten Arbeit dieser Art, die ich in Düsseldorf realisierte, war diese Verbindung noch offensichtlicher“, erzählt der US-amerikanische Künstler. Auch in Wien, wo eine gefällte Pappel im Inneren des Glashauses nach und nach überwuchert und von Tieren und Mikroorganismen zersetzt wird, geht es um die Idee, dass der Tod nicht das Ende ist.
„Wenn ein Baum stirbt, ist sein Leben erst zur Hälfte vorbei“, sagt Dion. „Er gibt seine gespeicherte Energie für die nächste Stufe in der Entwicklung des Waldes frei. Die Idee ist, dieses Prinzip hier zu illustrieren und Natur als Prozess zu begreifen.“
Wissenschaft und Kunst
Der Künstler, der seit mehr als 30 Jahren Projekte in aller Welt umsetzt, arbeitet oft mit Naturwissenschaftern zusammen – für das Werk im Biologiezentrum, das die Kunstabteilung der Bundesimmobiliengesellschaft BIG in Auftrag gab und finanzierte, kooperierte er etwa mit Botanikern der Uni Wien. Im Kern ist der 59-Jährige, der mit dick umrandeter Brille und Wollweste durchaus als Biologieprofessor durchgehen könnte, aber ein scharfsinniger Kritiker, der das Instrumentarium von Schaukästen, Schautafeln oder Präparaten nutzt, um dem Komplex aus Wissen und Macht einen (Eulen-)Spiegel vorzuhalten.
Zu Österreich hat Dion eine spezielle Verbindung, seit ihn der Galerist Georg Kargl Anfang der 1990er nach Wien holte. Dions aktuelle Schau in Kargls Galerie ist zum Teil eine Hommage an den 2018 verstorbenen Galeristen, der ihn u. a. auf ausgedehnte Erkundungstouren auf den nahe der Galerie gelegenen, derzeit wieder heiß umkämpften Naschmarkt-Flohmarkt mitnahm.
Die medizinischen und naturwissenschaftlichen Sammlungen Wiens – das Anatomiemuseum im „Narrenturm“, das Josephinum oder das Naturhistorische Museum – sollten sich dazu als prägend für das Werk Dions erweisen. „Anfang der 1990er konnte man da noch wirkliche Zeitreisen machen und erfahren, was die Prioritäten und Sensibilitäten der Leute waren, die diese Sammlungen angelegt hatten“, sagt Dion, der insbesondere das historische Arrangement des Naturhistorischen Museums (NHM) am liebsten unter Schutz gestellt hätte.
Modernisierung ja, aber
„Ich verstehe natürlich, dass man kein Wissenschaftsmuseum haben kann, das die Wissenschaft nicht mehr akkurat repräsentiert“, sagt Dion. „Aber das originale NHM war eines der großartigsten Werkzeuge, um die Geisteshaltung des 19. Jahrhunderts zu verstehen: Es zeigte, wie die Taxonomie (systematische Einteilung der Lebewesen, Anm.) auf der klassischen Idee einer ,Stufenleiter der Natur’ aufbaute, die eine der giftigsten Ideen der westlichen Tradition ist.“
In Dions neuen Zeichnungen – im Lockdown wagte er sich an größere Formate von Schul-Schautafeln – wird das Museumsvokabular zweckentfremdet: So sind etwa Merkmale autoritärer Staaten an einem „Baum der Tyrannei“ übersichtlich aufbereitet.
Das Umpflügen von Hierarchien, das gegenwärtig die gesamte Kulturlandschaft erfasst, sieht Dion, selbst ein Vorreiter der Entwicklung, dennoch kritisch. „Ich habe meine Arbeit stets als postkoloniale Kritik empfunden“, sagt er. „Aber sie sollte stets subtil und anspruchsvoll sein. Heute ist sie das oft nicht mehr. Und so sehr ich mich mit den Zielen identifiziere, sehe ich die Gefahr, das Kind mit dem Bad auszuschütten. Denn wenn wir von Museen verlangen, sich sofort radikal zu ändern, können wir vielleicht nicht mehr die Geschichte dieser Institutionen lesen. Es ist aber wichtig, die Geisteshaltungen vergangener Zeiten zu verstehen, um sie kritisieren zu können. Wenn man dieses Orte keimfrei macht, tut man fast so, als wäre da nie etwas passiert.“
Spuren sichtbar zu machen, ist auch ein Motiv in Dions „Vivarium“ in St. Marx: Denn die Pappel im Glaskasten stammt von eben dem Grundstück, auf dem das nunmehrige Gebäude errichtet wurde. In die Wurzeln eingewachsene Asphaltreste erzählen von der einstigen „Gstätt’n“, in der sich der Baum gegen alle Widrigkeiten durchgesetzt hat. „In jeder Stadt, die sich erweitert, verschwinden heute diese Flächen, die aber wichtig für die Biodiversität sind“, sagt Dion, der erst während der Projektentwicklung merkte, dass die Zivilisationsspuren am Baum kein Makel, sondern eine zusätzliche Bedeutungsebene sein würden.
„Alle Mann an Deck!“
Als Öko-Aktivist sieht sich der Künstler, dessen Werk auch in anderen Kontexten zum Thema Artenvielfalt oder Klimawandel auftaucht (siehe oben), nicht direkt. „Aber wir sind in einer Situation, wo es heißt: Alle Mann an Deck!“, sagt Dion. „Wir brauchen jede einzelne Person: Ob das Leute sind, die schöne Tierfilme drehen und damit Empathie erzeugen, ob es politische Aktivisten sind oder Ingenieure und Wissenschafter, die an konkreten Lösungen arbeiten. Mein Ansatz, der sich mit der Geschichte der Wissenschaft befasst, ist auch nötig, aber er ist nicht der einzige. Es gibt viele Arten, an dem Prozess mitzuwirken, und es wäre eine Katastrophe, wenn wir untereinander darüber streiten würden, welche Strategie nun die beste oder passendste ist. Wir brauchen sie alle.“
Das Biologiezentrum der Uni Wien, in dem Mark Dions „Vivarium“ zu sehen ist, wird mit dem Wintersemester 2021 den Betrieb aufnehmen, Infos zum Projekt bietet die Website www.big-art.at. Dions Ausstellung in der Galerie Georg Kargl – mit neuen Zeichnungen und einer Hommage an seinen langjährigen Wiener Galeristen – ist bis 31. Juli zu sehen (Mi – Fr 13 – 19 Uhr, Sa 11 – 16 Uhr, georgkargl.com).
Zudem ist Dion bei der Vienna Biennale im MAK präsent: Die Hauptausstellung „Climate Care – Stellen wir uns vor, unser Planet hat Zukunft“ zeigt ein Werk, in der es u. a. um Widerstandsfähigkeit geht (bis 3. 10., www.viennabiennale.org).
Die Schau „Fragile Schöpfung“ im Dom Museum Wien präsentiert ein Werk der Serie „The Tar Museum“ (bis 3. 10.; www.dommuseum.at).
Auch das mumok zeigt in seiner neuen Sammlungspräsentation (ab 19. 6.) Werke Dions. Und im Schlosspark Grafenegg/NÖ steht seit 2007 der „Buchsbaum-Turm“, eine künstliche Ruine, in deren Inneren der Künstler ein scheinbar verwesendes Reh platzierte.
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