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Kurz im Sommergespräch: "Ich wollt sie grad beantworten"

Kurz im Sommergespräch: "Ich wollt sie grad beantworten"
Ein TV-Tagebuch zu einem der denkwürdigsten Interviews dieses Sommers.

*Disclaimer: Das TV-Tagebuch ist eine streng subjektive Zusammenfassung des TV-Abends.*

Dass das "Sommergespräch" mit Sebastian Kurz interessant werden würde, war irgendwie klar. Wie speziell dieses Interview verlief, war dennoch überraschend. Eine protokollarische Annäherung. (Auf Grund der Länge von Sebastian Kurz' Antworten dauerte die Transkription bis zum späten Nachmittag).

Zu Beginn will Tarek Leitner wissen, wie lange es das Projekt Liste Sebastian Kurz schon gegeben habe, als Reinhold Mitterlehner nach wochenlangen Demütigungen und Spekulationen "überraschend" zurücktrat?

Kurz: „Ich geb zu, ich mach ihm auch keinen Vorwurf.“ Denn: „Ich hab in der Woche danach erlebt was es heißt, hunderte SMS zu bekommen, wenn dir jeder Tipps gibt, und du aber für dich allein eine Entscheidung treffen musst.“ Erstaunlich: In der Welt von Whatsapp und Twitter ist das SMS immer noch die politische Insiderwährung Nummer eins. Wahrscheinlich wurde auch das eine oder andere Fax mit guten Wünschen und Personalempfehlungen an Kurz‘ Büro gesandt.

Quoten im Vergleich: Kurz knackt Millionengrenze

Politfuchs Leitner nimmt jedenfalls Witterung auf: „Aber es war ja sehr vieles schon vorbereitet. Sie hatten sehr konkrete Vorstellungen, wie sie die Partei verändern wollen, wie das Listenwahlrecht ausschauen soll, personelle Weichen gestellt Ruckzuck war ein neues Layout da eine neue Parteifarbe, ein neues Logo.“

Alles easy, versichert Kurz: „Vieles, was jetzt als neu erscheint war für mich persönlich ja nicht neu, sondern das haben wir ja verwendet. Also im Außenauftritt zum Beispiel die Farbe türkis, das war etwas, mit dem ich schon jahrelang gearbeitet habe auch in meiner Wahlbewegung vor vier Jahren als ich Vorzugsstimmen gesammelt hab, haben wir in einer ähnlichen Farbenwelt gearbeitet, ich arbeite mit dem selben Team, mit dem ich die letzten zehn Jahre auch politisch zusammengearbeitet habe.“ Wir sehen: Die Machtübernahme in der Partei traf einen völlig unvorbereiteten jungen Mann. Hoffentlich war er durch mediale Spekulationen schon ein wenig auf diesen Schicksalsschlag vorbereitet.

Leitner: „Sie haben sich offenbar schon soviele Gedanken darüber gemacht, dass ein 250-seitiges Wahlprogramm auf dem Tisch liegt. Die Frage ist: Warum legen Sie uns das nicht zur Diskussion vor? Und zwar jetzt schon?“

An dieser Stelle beginnen Interviewer und Interviewgast das erste Mal spektakulär aneinander vorbeizureden.

Kurz: „Also das finde ich jetzt spannend. Ihre Vorfrage war gerade, ob schon alles vorbereitet und jetzt sozusagen hör ich da durch und in den letzten Wochen ist ja oft thematisiert worden „Warum gibt’s noch immer kein Programm also.“

Leitner: „Ich hab sie nur gefragt, warum es, obwohl es schon fertig sein soll, wie ÖVP-Politiker sagen…“

Kurz: „Es wird gerade fertiggestellt.“

Leitner: „…noch nicht zur Diskussion vorgelegt wird. Das war meine Frage. Und auch die Eingangsfrage hat nur darauf abgezielt, wie lang Sie sich auf das Projekt vorbereitet haben…“

Kurz (verfällt in jenen seltsam gönnerischen Sprech, den nur junge Leute verwenden, wenn Sie mit Respektspersonen reden, die sie nicht ganz für voll nehmen): „Is ja nicht, is ja nicht bös gemeint, ich nehme nur, ich nehme nur, also verstehe die Frage.“

Leitner: „… kurzfristig oder langfristig, wie auch immer…“

Kurz: „Na Na. Ich verstehe die Frage ja voll und ganz. Ich muss nur manchmal schmunzeln, wenn die Kritik von beiden Seiten kommt. Zum einen wird gesagt: Da war aber schon viel vorbereitet und dann heißt es, warum ists noch nicht fertig. Das finde ich manchmal etwas unterhaltsam.“

Leitner, der mit der Kurz’schen Gönnung herzlich wenig anfangen kann, setzt fort: „Herr Kurz, aber: das ist ja keine Kritik. Meine Frage war ja: Warum legen Sie es nicht zur Gänze auf den Tisch, sondern veröffentlichen es Teil für Teil.“

Kurz: „Jaja. Das beantworte ich gern. Also zum einen: Wie haben wir es erstellt. Bewusst anders als das früher gemacht wurde. Also wir haben normalerweise – Sie wissen das wahrscheinlich – so ein Parteiprogramm wird in der Parteizentrale normalerweise von ein paar Mitarbeitern geschrieben, dann wird’s layoutiert und dann wird’s präsentiert.“ So trivial hatte man das von einer Volkspartei eigentlich nicht erwartet.

Der erste furchtbare Einspieler aus dem ORF-Unterhaltungsregal für Dauerware kommt. Er ist so witzlos und deplatziert wie alle anderen bisherigen Einspieler bei den ORF-"Sommergesprächen".

Kurz: „Also, nachdem ich die Szene lustig find, vielleicht ein paar Worte dazu.“ (Lieber Sebastian Kurz: Bei allem, was recht ist: Nein.)

Leitner fragt: „Was hat die Beziehung zur SPÖ so tief zerrüttet, dass sie nicht einmal als Vizekanzler in die Regierung gegangen sind?“

Kurz: „Ganz ehrlich: der Glaube war bei mir nicht da.“ Außerdem: „Ich bin schon der Meinung als überzeugter Demokrat, dass eine Regierungsspitze gewählt sein sollte." Und wir Anfänger wählen bloß den Nationalrat! „Und jetzt kann man sagen, was man will und natürlich gibt’s Mehrheiten im Parlament und die stützen dann die Regierung. Aber die letzten Regierungspolitiker, die wirklich in ihre Spitzenfunktion gewählt wurden, waren Werner Faymann und Michael Spindelegger." Wenn man es so betrachtet, wirkt das wirklich schon sehr lange her. Nur Peter Pilz und Heinz Christian Strache waren damals schon live dabei.

Ein Exkurs über große Spender und wie man seine politische Willensbildung von ihnen unabhängig hält, führt uns direkt in biblische Gefilde.

Leitner: „Es ist mehr Geld zustande gekommen, als sich auch so mancher Spender erwartet hat. Vielleicht denken Sie da manchmal auch ans Matthäus-Evangelium: Wer hat, dem wird gegeben. Das führt uns jetzt nämlich dazu, wieviel Christentum in der ÖVP steckt.“ (Lieber Gott, bitte jetzt keinen Einspieler!) „Gibt es für Sie christliche Werte, von denen Sie der Ansicht sind, die machen die ÖVP aus? Und das sind Werte, die in gleicher Form nicht auch woanders zu finden sind.“

Kurz: "Ja sehr stark. Also zum einen dass jeder seine Talente einbringen soll – nicht nur für sich selbst, sondern für die ganze Gesellschaft. Dass jeder auch den Auftrag hat, einen Beitrag zu leisten (zum Beispiel Großspender), dass man das auch von jedem Individuum erwarten kann (zum Beispiel Kleinspender). Und gleichzeitig, dass es notwendig ist, sich in einem Land zu unterstützen, füreinander da zu sein, nicht immer nur auf den Staat zu warten (damit spielt Kurz auf einen bisher eher unbekannten Teil der Bergpredigt an), sondern auch im direkten Umfeld füreinander einzutreten.“

Leitner: „Nicht zuletzt wegen der Flüchtlingskrise ist das Christliche in der ÖVP immer wieder thematisiert worden.“ (Die Regie quält uns mit einem weiteren Filmausschnitt.)

Leitner bleibt katholisch: „Heilig gilt den Christen auch der Sonntag. Da ist interessant, dass die ÖVP teils dafür eintritt, dass die Sonntagsöffnung anderes bewertet sein soll.“

Kurz: „Gerade in Tourismuszonen braucht‘s da natürlich eine gewisse Offenheit.“

Leitner, etwas ungeduldig: „Ja das wissen wir. Die ÖVP Wien tritt ja dafür ein, dass man ganz Wien zur Tourismuszone macht.“

Kurz: „Aber ich nehme an sie wollten mich nach meiner Meinung fragen.“

Leitner (wird sehr kalt): „Ja. Genau.“

Kurz (fröhlich): „Okay, dann führ ich die aus…“

Wir wechseln thematisch zur Wirtschaft.

Leitner: „Sie wollen die Abgabenquote in Österreich von 43,5 Prozent in etwa auf 40 drücken. Heute haben Sie noch nachgelegt und gesagt: Die Schuldenquote, also das, was Österreich bisher an Schulden aufgehäuft hat und im Verhältnis zur jährlichen Wirtschaftsleistung steht, von 85 Prozent auf 60 Prozent reduzieren. Wo sind die großen Bereiche, wo man nicht mehr Geld ausgeben soll?“

Kurz (fasst noch einmal die Großwetterlage zusammen): „Zunächst einmal: Die Schuldenquote….. Ein sehr langfristiger Prozess, das wird dauern, das geht nicht von heute auf morgen. Aber wir erleben ja in anderen Ländern… dass Überschuldung …. Riesenproblem darstellt: …. .Insofern ein klares Bekenntnis …. dazu, dass ein Staat genauso wie ein Privater ordentlich wirtschaften muss. Wir geben in Österreich immer zuviel aus… Also da eine Veränderung anzustreben, ist glaube ich sinnvoll.“

Leitner: „Das wissen wir. Das habe ich in meine Frage alles schon hineingepackt, was Sie wollen. Meine Frage war: Wo soll man dieses Geld nicht mehr ausgeben?“

Kurz: „Komm ich dazu, wenn ich darf.“

Leitner: „Bitte.“

Kurz: „Zum ersten ist ein stärkeres Wirtschaftswachstum einmal die beste Möglichkeit, dass wir auch mehr Steuerreinahmen generieren, also wenn wir es schaffen so zu wachsen wie die Deutschen . Vor zehn Jahren waren wir noch das bessere Deutschland, jetzt sind wir zurückgefahren. Wenn wir so wachsen wie die Deutschen, bringt das zum Ende der Legislaturperiode einige Milliarden pro Jahr."

Leitner: „Da muss ich jetzt kurz einhaken, weil das Wirtschaftswachstum in der Prognose momentan über Deutschland liegt.“

Kurz: „Es hat sich positiv entwickelt. Aber wenn Sie sich die letzten Jahre anschauen…“

Leitner: „Aber momentan liegt Österreich davor. Nur dass Vollständigkeit herrscht.“

Kurz: „Schauen wir mal wie es wird.“

Kürzen will Kurz etwa bei den Förderungen. Leitner wendet ein, dass etwa drei Viertel davon über Steuererleichterungen erfolgen, Kurz aber ja keine Steuern erhöhen will. „Bleibt noch ein Viertel über, das zum größten Teil Agrarförderungen sind. Und ich hätte mir jetzt erwartet, dass sie…“

Kurz (fröhlich): „Aber wenn Sie mir nur eine Minute schenken!“

Leitner (schon langsam schwer beleidigt): „Herr Kurz: ich habe ihnen bereits 36 Minuten geschenkt, wo wir das alles besprechen könnten und ich würde gerne ein bißchen konkreter werden in dem Zusammenhang."

Kurz (fröhlich): „Ich darf weitermachen.“

Leitner (gibt auf): „Ich bitte Sie darum.“

Kurz (nimmt wieder Fahrt auf): „Nur damit wir nicht den Überblick verlieren. Wir haben gesprochen von einem Drittel, das man durch Wirtschaftswachstum erzielen kann, einem zweiten Drittel [….] gibt es hier auch sehr viel Potenzial. Alle Wirtschaftsforscher, mit denen wir gesprochen haben, sagen: Es ist ambitioniert, aber schaffbar.“ (Weniger schaffbar ist die Antwort darauf, wo jetzt konkret gespart werden soll, aber das sehen wir möglicherweise noch früh genug.) „Und das zweite, was mich bestärkt darin, andere Staaten schaffen das auch.“

Leitner schnauft ungeduldig.

Kurz: „Vielleicht, Herr Leitner, könn' ma Sie ja auch in ein paar Jahren davon überzeugen, dass es geklappt hat.“

Leitner: „In dem Fall bin ich jetzt nicht schlauer geworden, wie Sie diese große Summe von 10 bis 14 Milliarden einsparen wollen.“

Kurz (fröhlich): "Einen Punkt!"

Leitner (der auch irgendwann heimgehen will): „Sagen Sie mir noch einen Punkt.“

Kurz (unbeirrt fröhlich): „Erstens Mal ist es mal ein großer Unterschied, ob man das zum Ende schafft, oder zum Beginn. Sie sagen: ich habe es Ihnen nicht gesagt. Ich sage es noch einmal: Drei Bereiche, Wachstum, …"

Leitner (schon sehr grantig): „Das haben wir alles gehört. Tu ma‘ da das nicht wiederholen jetzt.“

Kurz: „Naja aber, dann tu ich mir schwer, wenn Sie mir sagen, ich hab’s Ihnen nicht gesagt.“

Leitner (bereut diese Abendeinladung schon langsam): „Sie haben es mir konkret trotzdem nicht gesagt. Weil die drei Bereiche, die kannten wir ja bereits. Also das hätt‘ I a schon g’wusst.“

Kurz (fröhlich, denn er hat eine gute Idee): „Aber darf ich Ihnen eine Frage stellen?“

Leitner: „Ich wollte jetzt ein paar Punkte wissen, wo ich mir vorstellen kann, dass große Brocken eingespart werden können. Irgendwann muss man es ja konkret benennen. Es liegt natürlich an Ihnen, es konkret zu benennen oder nicht. Kommen wir jetzt zur Europäischen Union, nachdem Sie ja auch Europaminister sind.“

Kurz (unbeirrt): „Darf ich Ihnen eine Frage stellen.“

Leitner (irritiert): "Herr Kurz: Ich möchte wirklich gerne zu Europa kommen, wir haben jetzt nur mehr sieben Minuten Zeit."

Kurz (fröhlich): „Ganz schnell. Eine Frage: Mehrere Parteien haben das in ihrem Programm. Die Masse der europäische Staaten schafft eine niedrigere Steuern- und Abgabenquote. Die Deutschen schaffen es, die Schweizer haben noch viel weniger. Warum glauben Sie so sehr, dass es nicht gehen kann?“

Leitner (fassungslos): „Ich glaube gar nichts. Ich habe erstens nicht gesagt, dass ich es nicht glaube, sondern habe, und das ist meine Aufgabe hier - Ihnen die Fragen dazu gestellt, wie Sie es schaffen wollen.“

Kurz (fröhlich): „Aber wir können gerne noch ein bißchen ins Detail gehen.“

Leitner (hat jetzt absolute Sicherheit, dass er gerollt wird): „Das versuche ich seit zehn Minuten. Ich möchte aber auch ein bißchen über Europa sprechen mit Ihnen.“

Kurz (gönnerhaft): Na gut.

Leitner: „…und ich möchte daran erinnern, dass einst deutsche Bundeskanzler Helmut Kohl die Osterweiterung damit begründet hat, dass man in diesen Ländern die Demokratie stabilisiert und unumkehrbar macht. Jetzt gibt es doch die Sorge, dass das vielleicht nicht gelungen ist. Haben Sie die?“
Kurz: "Demokratie ist eine hohe Errungenschaft. Wir müssen immer daran arbeiten, dass wir weiterhin eine lebendige und funktionierende Demokratie bleiben „Und, wenn Sie mich fragen: ,Hat die Osterweiterung einen Sinn gemacht...´“

Leitner (bestimmt): „Nein, aber das hab ich nicht gefragt. Da müss ma schon bei meiner Frage bleiben.“

Kurz (unschuldig): „Ich wollt sie grad beantworten.“

Leitner: „Nein, Sie wollten mir hier jetzt eine Frage in den Mund legen. Meine Frage war nicht, ob die Osterweiterung einen Sinn gemacht hat, sondern ob die Demokratie in ganz konkreten Staaten umkehrbar ist oder nicht.“

Kurz, etwas später: „Ich bleibe mir selbst treu und vertrete das, was ich früher schon vertreten habe.“

Ende der Geschichte.

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