Kunstverkauf im Auftrag der Nazis

In diesem Haus in München lagerte die immens wertvolle Kunst
Sensationsfund: Viele der Werke dürften keine Raubkunst sein. Jetzte wird über die Verbindung zu Linz spekuliert.

1.500 Kunstwerke, von Picasso, Beckmann, Marc, Klee, Munch, im bisher wohl eher ins Blaue hinein geschätzten Gesamtwert von einer Milliarde Euro. Gelagert in einer Münchner Wohnung, vom Sohn eines für die Nazis tätigen Kunsthändlers.

Der naheliegende Gedanke: Ein Depot versteckter Raubkunst.

Rechtlich gedeckt

Doch bei einem großen Teil der aufgefundenen Werke handelt es sich wohl nicht um NS-Raubkunst, erläuterte ein Experte gegenüber dem KURIER. Hildebrand Gurlitt, der Vater jenes Mannes, bei dem die Kunstwerke nun in München gefunden worden waren, hatte den offiziellen Auftrag des NS-Regimes, zahlreiche Bilder der klassischen Moderne aus deutschen Museen zu verkaufen.

Kunstverkauf im Auftrag der Nazis
Wolfgang Gurlitt 1917
Diese waren nicht enteignet worden, sondern noch vor der NS-Zeit von den Museen angekauft worden. Als die Nazis vieles dieser Kunst als „entartet“ zu brandmarken begannen, sollten die Werke verkauft werden, nicht zuletzt, um dringend benötigte Devisen zu verschaffen. Unter den damit beauftragten Kunsthändlern war Hildebrand Gurlitt, der bereits in den 1920ern ein anerkannter Kunsthändler der klassischen Moderne gewesen war, aber in der NS–Zeit auf Grund seiner jüdischen Vorfahren nicht mehr mit Kunst handeln durfte. Als die Nationalsozialisten für die Aktion „Entartete Kunst“ Händler mit internationalen Kontakten suchten, kamen sie u.a. auf Gurlitt. Ein großer Teil jener Werke, die nun in München gefunden wurden, dürften aus dieser Aktion stammen. Warum sie aber über das Kriegsende hinaus in Gurlitts Besitz verblieben, ist einer der Aspekte des Sensationsfundes, die noch geklärt werden müssen.
Kunstverkauf im Auftrag der Nazis
epa03483468 The painting 'Die Nacht' (The Night) by German artist Max Beckmann, which was possibly stolen by Nazis during the Third Reich, is presented at the Kunstsammlung Duesseldorf, Germany, 23 November 2012. After several years of research on possible Nazi looted art, questions on the origin of 33 works of the state art collection of North Rhine-Westphalia are yet unsolved, including 'The Night' painting. EPA/MARTIN GERTEN
Rechtlich spielt das aber keine Rolle, erklärt der Provenienzforscher Leonhard Weidinger im KURIER-Gespräch. Nach dem Krieg habe es in Deutschland – wie in Österreich – eine Melde- und Rückgabepflicht für Besitz gegeben, der aus Enteignungen stammt.

Gegen diese Meldepflicht haben die Gurlitts verstoßen, sie haben angegeben, dass die Werke verbrannt sind. Die entsprechenden Gesetze sind nicht mehr gültig, ihre Befristung ist einige Jahre nach dem Krieg abgelaufen. „Das hätte zurückgegeben werden müssen. Aber jetzt ist Gurlitt aus dem Schneider“, sagt Weidinger.

Linzer Verbindung

Aber Gurlitt war noch in einem weiteren Bereich aktiv, wo es sehr wohl um enteignete Kunst ging – und wo es einen klaren Bezug zu Linz gibt: Gurlitt war unter jenen Kunsthändlern, die für das geplante „Führer-Museum“ in Linz Kunst ankaufen sollten, insbesondere im damals besetzten Frankreich.

Dort kooperierte Gurlitt mit der NS-Kunstrauborganisation, dem berüchtigten Einsatzstab Reichsleiter Rosenberg.

Die Wahrscheinlichkeit sei „sehr hoch“, sagt Weidinger, dass aus diesem Umfeld auch jenes Frauenbild von Matisse stammt, das dem Großvater der französischen Journalistin Anne Sinclair gehört hat. Und das laut Focus nun in München gefunden wurde.

Neue Galerie

Die Ankäufe für das „Führer-Museum“ waren aber nicht die einzige Verbindung Hildebrand Gurlitts zu Linz. Sein Cousin, Wolfgang Gurlitt, hat die Neue Galerie der Stadt mitbegründet und von 1953 bis 1962 geleitet.

Kunstverkauf im Auftrag der Nazis
Cover
Stella Rollig, Direktorin des MuseumsLentos, sieht keinen Zusammenhang: „Die beiden haben keine Geschäfte miteinander gemacht. Wolfgang war eine viel kleinere Nummer.“ Für Weidinger ist dies nicht so eindeutig: „Es kann durchaus sein, dass es Verbindungen zu Wolfgang Gurlitt gibt, die aufgefundenen Unterlagen werden das zeigen. Warum auch nicht? Die kannten sich alle.“

Nach derzeitiger Beurteilung habe der Fund in München keine Auswirkungen auf das Lentos, sagt Rollig. Unabhängig davon überprüft das Lentos fünf Bilder, ob sie belastet seien und zurückgegeben werden müssten. Der Linzer Bürgermeister Franz Dobusch betont, wenn ein Verdacht bestehe, müsse man die Bilder zurückgeben.

München

Zwischen Getränkepackungen und Konserven lagerte in einem Mehrfamilienhaus Kunst im Milliardenwert, berichtet das Magazin Focus. Die 1500 Werke von so bekannten Künstlern wie Picasso, Munch, Beckmann und Kokoschka stammen offenbar aus dem Besitz des Kunsthändlers Hildebrand Gurlitt, der während der NS-Zeit aktiv war. Sein Sohn habe diese seither versteckt und vom Verkauf einzelner Werke gelebt, berichtet „Focus“. Gegen ihn wird nun wegen Steuervergehen ermittelt.

Offizielle Reaktion

Kritik gibt es nun daran, dass dieser Fund bereits 2011 erfolgte, die Öffentlichkeit aber seither nicht informiert wurde. Am heutigen Dienstag wollen die Ermittler in München erstmals offiziell Details zu dem Fund preisgeben.

Im Zweiten Weltkrieg gingen zahlreiche Kunstwerke verloren - sie wurden geraubt, beschlagnahmt und verkauft. Im Jahr 1937 landeten Zehntausende Werke in einer diffamierenden Ausstellung in München. Nach dem Krieg gab es immer wieder Verhandlungen und langwierige Diskussionen über die Rückgabe von Kunst. Ein Glossar:

NS-Raubkunst

Die Nationalsozialisten enteigneten etwa jüdische Sammler und zwangen sie, ihre Schätze unter Wert zu verkaufen. Nach dem Zweiten Weltkrieg regelten zwar Gesetze der Alliierten (1947) und der Bundesrepublik von 1957 die Rückgabe, hatten aber in der DDR keine Gültigkeit. Auch im Westen wurde nur ein Teil der Raubkunst an die Besitzer oder Erben zurückgegeben. 1998 trafen sich 44 Länder, auch Deutschland, auf der "Washingtoner Konferenz über Vermögenswerte aus der Zeit des Holocaust". Die Teilnehmer verständigten sich auf "nicht bindende Grundsätze" zum Umgang mit Raubkunst. Die Länder sollten "im Rahmen ihrer eigenen Rechtsvorschriften" handeln.

Beutekunst

Im Zweiten Weltkrieg raubten deutsche und sowjetische Einheiten in großem Ausmaß Kunstwerke und Bücher aus den von ihnen besetzten Gebieten. Die von deutscher Seite erbeuteten Objekte wurden kurz nach Kriegsende größtenteils zurückgegeben. Russland sieht Beutekunst als Wiedergutmachung für Schäden aus dem Krieg. Erst seit 1990 wird auf der Basis von deutsch-russischen Verträgen über einen Austausch verhandelt. Experten schätzen, dass in russischen Depots noch mehr als eine Million Kunstobjekte und Bücher lagern.

Restitution

Damit ist die Rückgabe oder die Entschädigung des in der Nazi-Zeit eingezogenen Vermögens von Verfolgten gemeint. Ende 1999 verabschiedeten Bundesregierung, Länder und kommunale Spitzenverbände eine gemeinsame Erklärung. Danach sollen sich Museen, Archive und Bibliotheken stärker bemühen, Raubkunst aufzuspüren und den legitimen Eigentümern zurückzugeben. Die Restitution kann sich nach Experten- Schätzungen noch über Jahrzehnte hinziehen. Die Datenbank "Lost Art Internet Database" ist die zentrale deutsche Internet-Datenbank zur Erfassung von NS-Raubkunst und Beutekunst.

Entartete Kunst

Als "entartet" diffamierte das NS-Regime Kunstwerke, deren Ästhetik nicht in das von den Nationalsozialisten propagierte Menschenbild passte: unter anderem Expressionismus, Surrealismus und Kubismus. Der Begriff "entartet" stammt aus der Nazi-Rassenlehre. Zu den betroffenen Künstlern gehörten etwa Otto Dix, Ernst Barlach und Angehörige der Gruppe "Brücke". 1937 zeigten die Nazis in München die Propaganda-Schau "Entartete Kunst" mit zuvor beschlagnahmten Werken.

Ursprünglich stammt der Begriff "entartet" aus der Rassenlehre der Nazis - in der Euthanasie-Bewegung des Dritten Reiches wurde er für erbkranke und behinderte Menschen verwendet. Die Übertragung der Bedeutung ins kulturelle Leben sollte den angeblich minderwertigen Charakter moderner "Verfallskunst" anprangern. Betroffen waren in erster Linie Vertreter des deutschen Expressionismus, deren abstrakte, kontrastreiche und oft fratzenhafte Darstellungen vom NS-Idealbild des "starken" Menschen abwichen.

Ins Visier der faschistischen Kulturwächter geriet zum Beispiel die Dresdner Künstlergemeinschaft "Die Brücke" mit Ernst Ludwig Kirchner, Erich Heckel, Karl Schmidt-Rottluff, Max Pechstein und Emil Nolde. Auch die Neue Sachlichkeit von Otto Dix und die Bauhaus-Schule aus der Zeit der Weimarer Republik erregten den Unmut der Nazis. 1938 wurde ein Gesetz zur Enteignung von Museen erlassen, die die Entfernung solcher Werke verweigerten. Die Künstler wurden mit Mal- und Ausstellungsverboten unterdrückt, viele kamen ins Gefängnis oder Konzentrationslager.

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