Bomben auf Michelangelo

Bomben auf Michelangelo
Ein neues Buch enträtselt die Rettung der einzigartigen Kunstschätze im Bergwerk von Altaussee am Ende des Zweiten Weltkriegs.

Vorsicht Marmor, nicht stürzen!“: Nicht nur die Aufschrift auf den Holzkisten, die an diesem Apriltag des Jahres 1945 hinauf auf den Salzberg geliefert wurden, kam den Bergleuten seltsam vor. Seit Wochen hatten sie die Transporte, die aus dem in sich zusammenstürzenden Dritten Reich in Altaussee eintrafen, in Empfang genommen. In Kisten, auf Paletten, manchmal nur notdürftig in Matratzen eingeschnürt schleppten sie Meisterwerke aus einem Jahrtausend europäischer Kunst in die Stollen: Bilder von Rembrandt, DaVinci, Vermeer Michelangelos Brügger Madonna, den Genter Altar der Brüder Van Eyck ...

Herzstück dieser einzigartigen Sammlung, die in diesen letzten Kriegswochen die Stollen des Salzbergwerks füllte, war Hitlers persönliches Museum. Eines Tages, so der Traum des Diktators sollte es in Linz, seiner Lieblingsstadt, entstehen.

Bomben auf Michelangelo
Jetzt aber wurde diese Sammlung, die Hitler und seine Kunstexperten in ganz Europa geraubt, gekauft, ihren jüdischen Eigentümern abgepresst hatten, unter Tag geschafft – auf der Flucht vor den Bomben der Alliierten, die auch Schlösser und Museen nicht verschonten.

Doch die Kisten, die ihnen an diesem Tag von einer schwer bewaffneten SS-Einheit übergeben wurden, enthielten keine Kunst, sondern Bomben. Insgesamt acht Stück – es waren nicht gezündete amerikanische Fliegerbomben – ließ August Eigruber, Gauleiter von Oberdonau, ins Bergwerk schaffen. Der fanatische Nazi war entschlossen, den Kunstschatz zu vernichten. Nichts, so meinte er Hitlers letzten großen Plan zu vollenden, sollte den Untergang des Dritten Reiches überleben und so dem „bolschewistischen“ Feind in die Hände fallen.

„Alles vernichten“

Was in den kommenden Tagen bis zum Kriegsende am 8. Mai geschah, wer wann genau und warum den Kunstschatz vor der Vernichtung bewahrte, das ist eine der spannendsten und dramatischsten Episoden aus den letzten Tagen des Dritten Reiches – und bis heute ein nicht zur Gänze aufgeklärtes Rätsel.

In seinem Buch „Mission Michelangelo“ nimmt KURIER-Autor Konrad Kramar die Spur dieses Dramas im Salzkammergut und seiner Hauptdarsteller auf. Aus Recherchen in Archiven zwischen Wien und Washington, persönlichen Nachlässen und Gesprächen mit Zeitzeugen und den Nachkommen der Akteure hat er die Ereignisse rekonstruiert, versucht der Wahrheit so nahe wie möglich zu kommen. Inmitten des Chaos der letzten Kriegstage entsteht so ein Thriller der Kunstgeschichte, voll von Zufällen, mutigen Einzelaktionen und einer Besetzungsliste, wie man sie wohl kaum hätte zusammenstellen können: NS-Verbrecher und ihre Handlanger, Partisanen, Bergwerksdirektoren und Kunst-Experten.

In ein paar Wochen wird Hollywood-Star George Clooney auf der Kinoleinwand die Hollywood-Version von der Bergung und Rettung der Nazi-Raubkunst im Kino erzählen. „The Monuments Men“ folgt jener alliierten Kunstschützer-Truppe, die nach einem abenteuerlichen Weg quer durch Europa schließlich wenige Tage nach Kriegsende im Salzkammergut eintraf. Der Schatz von Altaussee war da aber bereits gerettet. Die Bomben des Gauleiters lagen im Wald unterhalb der Mine. Sämtliche Eingänge zum Bergwerk waren zugesprengt.

Falsche Helden

Die Geschichte, dieser entscheidenden Tage davor, die sich in „Mission Michelangelo“ herauskristallisiert, straft viele, die sich als Retter der Kunstschätze präsentierten, Lügen. Sie entlarvt das falsche Heldentum sogenannter Widerstandskämpfer und rückt jene in den Mittelpunkt, die im richtigen Augenblick handelten, allen vor an die Bergleute von Altaussee.

Wirklich gedankt hat ihnen ihren Einsatz niemand. Die US-Besatzer, die nach Kriegsende nach Altaussee kamen, und auch das wiedererstandene Österreich hielten sich lieber an die falschen Helden.

Der Bergmann Alois Raudaschl jedenfalls, der in einer Nacht die Bomben im Berg entdeckt und in einer waghalsigen Einzelaktion SS-Chef Ernst Kaltenbrunner von der Rettung überzeugt hatte, meinte noch als alter Mann bitter: „Ich würde das nie wieder tun.“

Beginn in Wien Mit dem Einmarsch in Wien 1938 begann die umfassende Arisierung von Kunst in jüdischem Besitz. Sammlungen wie jene der Rothschilds oder der Ephrussis, aber auch Bilder und Kunsthandwerk bürgerlicher Familien wurden teils brutal enteignet, teils unter massivem Druck den Besitzern abgekauft und versteigert.

Raubzug Mit dem Siegeszug der Wehrmacht wurde auch der Kunstraub überall in Europa fortgesetzt. Brennpunkte der Enteignung jüdischer Sammlungen waren vor allem die Niederlande und Frankreich.

Führervorbehalt Schon nach dem Einmarsch in Wien sicherte sich Hitler das Vorrecht auf Kunstwerke aus jüdischem Besitz. Unter der Leitung seines Kunstexperten Hans Posse wurde so das „Führermuseum“ zusammengestellt: Eine bedeutende Sammlung europäischer Kunst, die eines Tages in Linz ein Museum erhalten sollte.

Der Historiker Helmut Kalss, selbst Altausseer, befasst sich seit Jahren mit der Erforschung des Widerstands im Salzkammergut. Mit dem KURIER sprach er über ...

... die Rolle der Bergleute bei der Rettung der Kunstschätze „Die Gerüchte von den Bomben haben sehr rasch die Runde gemacht unter den Bergleuten. Da gab es den Willen, etwas zu tun. Die Bergarbeiter im Salzkammergut sind ja traditionell sehr selbstbewusste und oft auch gebildete Leute. Denen ist es nicht nur um ihr Bergwerk, sondern auch um die Kunst gegangen. Sie haben sie ja mit eigenen Händen in den Berg getragen.“

... politische Einstellungen in der Nazi-Zeit „Es gibt ja im Ausseerland eine Tradition des Widerstandes gegen alles, was von oben kommt, und das seit dem Mittelalter. Also ist die Stimmung damals auch bei jenen, die anfangs für die Nazis waren, rasch gekippt. So ist etwa der Hitlergruß nach Berichten sehr bald verschwunden.“

... die Triebfeder für den Widerstand „Viele haben sich nicht aus ideologischen Gründen im Widerstand engagiert, sondern einfach aus Menschlichkeit, vor allem die Frauen, die sich um die Partisanen im Gebirge gekümmert haben. Der Widerstand ist nach dem Krieg verklärt worden. Militärisch hat er keine Rolle gespielt.“

... Solidarität unter der Diktatur „Im Ausseerland verschwimmen oft die politischen Grenzen, weil die Leute über so viele Generationen auf so engem Raum wohnen. Da hat sich ein spezifisches Gefühl des Miteinander entwickelt: Das Gefühl, dass man zusammenhalten muss, egal, was kommt.“

... Verhalten lokaler Behörden „Suchaktionen nach Widerstandskämpfern waren oft wie ein Kirtag. Die Polizei war absichtlich so laut, damit die Bauern gewarnt waren. Wenn einer schwarz geschlachtet hat, haben sie den Suchhund am Hof vorbeigezogen.“

... Formen des Widerstands „Es war weniger aktiver Widerstand als Resistenz. Ausseer etwa, die sich geweigert haben, Jugendliche für die Front auszubilden und sie versteckt haben, haben ihre Aktionen nicht als Widerstand begriffen. Sie wollten einfach anständig bleiben.“

Kommentare