Man nannte sie die wilden Tiere

Man nannte sie die wilden Tiere
Mit Henri Matisse und den Fauvisten begibt sich die Albertina in einen Farbrausch.

Les fauves“, das sind auf Französisch die wilden Tiere, die Raubkatzen, die fleischfressenden Bestien.

„Ce sont des fauves“ – „Das sind Wilde“, mag sich Kunstkritiker Louis Vauxelles gedacht haben, als er sah, was eine Handvoll junger Maler beim Pariser Herbstsalon 1905 zeigten: Purpurne Flüsse, rote Meere, türkisfarbene Landschaften – Spötter wähnten „Farbkübel über den Köpfen der Betrachter ausgeleert“.

Die Gruppe um Henri Matisse und seine Glaubensbrüder André Derain, Maurice de Vlaminck und Henri Manguin scherte sich nicht um die realistische Wiedergabe der pittoresken südfranzösischen Landschaften, in der ihre Bilder zunächst entstanden. Sie drückte exaltierte Subjektivität in grellen Farben aus, anstatt den Versuch zu unternehmen, die Wirklichkeit nachzuahmen.

Was Louis Vauxelles hier sah, war die totale Anarchie, die erste Avantgardekunst der Moderne.

Allein, für das Ausmaß dieser Erschütterung des Kosmos Kunst fiel dem Kritiker nur ein Ausdruck der Verhöhnung ein: Wilde Tiere, fauves. Dass einige unter ihnen autodidakt waren, die Malkunst also nicht einmal richtig erlernt hatten und stattdessen Berufen wie Boxer oder Nachtclub-Musiker nachgegangen waren, half dem Ruf der Gruppe nicht wesentlich weiter.

Impressionen der Ausstellung

Man nannte sie die wilden Tiere

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Spott und Häme

Der Spottname wurde zum Kunstbegriff: Der Fauvismus bezeichnet die erste und zugleich kürzeste Avantgardebewegung des 20. Jahrhunderts.

Die Albertina widmet dieser kaum drei Jahre, von 1905 bis 1908, dauernden Periode der französischen Malerei nun eine Ausstellung. Die von Heinz Widauer und Claudine Grammont kuratierte Ausstellung zeigt 160 Werke von mehr als 50 Leihgebern aus aller Welt. Eine Premiere: Eine derart umfassende Schau war in Österreich noch nicht zu sehen, denn die Vorreiter der französischen Avantgarde haben in Österreich keine Tradition.

Erst durch die Sammlung Batliner, die etliche Fauvisten beinhaltet, gelang es, auch internationale Leihgeber zu gewinnen.

Neben Bildern sind vor allem Skulpturen und deren Inspirationsquellen zu sehen: Die Ästhetik afrikanischer Kunst, die die Fauvisten sammelten, gab ihnen die Lizenz zur Loslösung von bekannter Ästhetik: Deformierte Körper, weit weg von traditioneller Bildhauerei.

In sieben Stationen gegliedert, beginnt die Ausstellung im Paris der Jahrhundertwende, als Henri Matisse, Marquet und Manguin, Schüler des Symbolisten Gustave Moreau, ihren Platz in der zeitgenössischen Avantgarde suchten. Die akademische Malerei lehnten sie ab und der Impressionismus schien ihnen zu oberflächlich, auch wenn sie sich von dessen flüchtiger Maltechnik inspirieren ließen.

Das südfranzösische Fischerdorf Collioure ist der eigentliche Geburtsort des Fauvismus. Zuvor hatte Matisse in Saint Tropez mit Pointillismus experimentiert und seine Frau Jeanne als badende Nymphe gemalt. In Collioure emanzipierte sich Matisse endgültig von Prinzip der Naturnachahmung.

Regelverstoß

Der junge, stürmische André Derain, ein Autodidakt und ehemaliger Boxer aus einem Pariser Vorort, folgte dem väterlichen Freund begeistert in den künstlerischen Regelverstoß. Weder die pittoreske Beschaulichkeit des Fischerdorfes noch die gut verkäufliche mediterrane Leichtigkeit interessierte die Fauvisten: Es ging um die Farbe als individuelles Ausdrucksmittel – Kunst hatte nicht das Sichtbare wiederzugeben, sondern die Befindlichkeit des Malers zu spiegeln. Matisse verlieh seinen Empfindungen mit der strahlenden Leuchtkraft des Komplementärfarbenpaars Rot-Grün Ausdruck.

Höhepunkte dieser Zeit und der Ausstellung sind das „Offene Fenster“ von Matisse und Porträts, die die beiden Künstler jeweils voneinander malten.

Doch nicht nur Südfrankreich feierte die grellbunte Revolution: In den Bann des glühenden Matisse geriet auch Georg Braque in Le Havre und in Antwerpen; in der Normandie malte Maurice de Vlaminck mit der selben Farbenpracht wie Matisse an der Côte d’Azur.

Während sich Derain und Braque schon nach drei Jahren von den Farbräuschen verabschiedeten und Picasso folgten, blieb Vlamick zeitlebens „Fauve“.

Mit George Rouault zeigt sie Ausstellung auch die düstere Seite der Fauvisten: Er malte das Elend derer, die am Rede der Gesellschaft leben. Wenig überraschend wandte sich Rouault nach dem Ende der Fauvisten der religiösen Malerei zu.

Henri Matisse blieb ein Einzelgänger: In Zeichnungen und Skulpturen verbindet er das Dekorative mit der Ästhetik der Hässlichkeit.

Was auch als Motto für diese Schau gelten könnte.

Die Fauvisten

Die Bewegung: Der Fauvismus ist die erste und zugleich kürzeste Avantgardebewegung des20. Jahrhunderts. Er dauerte kaum drei Jahre an – von 1905 bis 1907/’08. Der Begriff leitet sich von der Beschreibung seiner Werke in einer Kunstkritik über den legendären Pariser Herbstsalon 1905 ab.

Die Malerei: Henri Matisse und seine Freunde befreiten die Malerei vom Diktat der Nachahmung der Natur. Mit willkürlich gewählten und intensiven Farben und skizzenhaften Pinselstrichen hielten die Maler ihre Motivefest. Wichtige Impulse empfingen sie von Van Gogh, von Cézanne und von den wissenschaftlichen Farbtheorien Paul Signacs.

Die Ausstellung: 20. September 2013–12. Jänner 2014. Albertina. Albertinaplatz 1, 1010 Wien. Täglich von 10–18 Uhr. Mittwoch 10–21 Uhr. Erwachsene: 11 Euro. Der Katalog „Matisse und die Fauves“, herausgegeben von Heinz Widauer und Claudine Grammont, ist im Wienand Verlag erschienen. 39 Euro.

www.albertina.at

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