Kunst, Gerechtigkeit und sauberes Wasser
„Man kommt im Kulturbereich um das Thema Nachhaltigkeit nicht mehr herum“, sagt Bettina Leidl.
Als die Kulturmanagerin 2015 das KunstHaus Wien übernahm, galt Leidl noch als Vorreiterin: Sie begann, den Öko-Gedanken sowohl im Programm als auch im Betrieb zu verankern und arrangierte, dass die Institution als erstes Ausstellungshaus das Österreichische Umweltzeichen erhielt. 2019 aber hätten der „Greta-Effekt“, und Initiativen anderer Kunsthäuser die Wertigkeit verändert, sagt Leidl, die im Dezember 2019 auch den Vorsitz des Österreich-Ablegers des internationalen Museumsverbands ICOM übernahm.
Mit diesem hat Leidl nun 17 Museen aufgerufen, Projekte für je eines der 17 von den Vereinten Nationen definierten Zielen nachhaltiger Entwicklung (Sustainable Development Goals, kurz SDGs) zu entwickeln. „Die Krise hat die Verwerfungen, die zuvor vielleicht nicht so sichtbar waren, stärker vor Augen gebracht“, erklärt Leidl. „Aus dem heraus haben wir uns gefragt: Wie können wir den Beitrag, den Museen für den Zusammenhalt einer Gesellschaft und für das Verständnis von Gemeinschaft leisten, verständlich machen?“
„Agenda 2030“
Als Agenda für das Vorhaben, bis 2030 eine Transformation der Gesellschaft zu erwirken, umfassen die SDGs auch Ziele, die für Kulturbetriebe nicht unbedingt naheliegend sind. Weil den teilnehmenden Institutionen per Los Themenbereiche zugeteilt wurden, hat sich nun etwa das städtische Graz Museum mit dem Entwicklungsziel „Leben unter Wasser“ zu beschäftigen. Doch gerade in der Diskrepanz entstünden „ganz großartige Ideen“, beteuert Leidl. „In Graz ist etwa die Mur mit ihrer Geschichte und Gegenwart ein Thema. Die Römerstadt Carnuntum war begeistert, mit ihren Artefakten zum Thema ,reduzierte Ungleichheit’ arbeiten zu können. Es geht auch darum, neue Blicke auf die Sammlung zu werfen. Es entstehen Workshops, Diskussionen, Vermittlungsformate und vielleicht die eine oder andere Ausstellung 2022/’23.“
Ab Herbst sollen die Projekte auf Konferenzen präsentiert werden und der Museumswelt Anregungen geben. Leidl verweist auf ähnlich gelagerte Initiativen in Deutschland: Dort veröffentlichte der Kulturrat ein Positionspapier, das Nachhaltige Entwicklung (auch) als kulturelle Aufgabe definierte. „Es gilt auch zu sehen, welche Chancen es für eine gesellschaftsgestaltende und nachhaltige Kulturpolitik im New Green Deal der EU geben kann und wo die Kulturbetriebe somit zum Vorreiter im Klimaschutz werden können“, sagt die ICOM-Österreich-Chefin.
Abseits der Gremien ist das Bewusstsein, warum gerade Museen die Fahne des Umweltschutzes und der sozialen Gerechtigkeit hochhalten sollen, noch nicht sehr ausgeprägt. Dabei gibt es nicht viele Orte, an denen sich die Auswirkungen gesellschaftlichen Handelns auf Mensch und Umwelt eingehender studieren lassen.
Aufklärungsarbeit
„Die Idee, Museen für die Allgemeinheit zu öffnen, kommt ja aus der Aufklärung“, sagt Leidl. „Es geht auch darum, Demokratie zu vermitteln, die Menschen darauf vorzubereiten, ihre Menschen- und Bürgerrechte einzunehmen, und Kunst oder die Auseinandersetzung damit nicht Eliten zu überlassen. Heute, wo die Gesellschaft immer stärker fragmentiert und die Idee von Demokratie hinterfragt wird, ist es relevanter denn je, dem etwas entgegenzusetzen.“
Die UN-Nachhaltigkeitsziele umfassen folglich nicht nur Klimaschutz und sauberes Wasser, sondern auch Armutsreduktion und „hochwertige Bildung“. „Da gilt es, Museen als Lernorte hervorzuheben“, sagt Leidl. „Für Schulen schwinden aber die Möglichkeiten, die Vermittlungsangebote der Museen zu nutzen, musische Fächer wurden zu Freifächern. Kunst verkörpert eine Haltung und liefert den Raum, in dem Narrative der Nachhaltigkeit entstehen können.“
Dass Museen verstärkt auf das heimische Publikum eingehen und versuchen, Barrieren zu bildungsferneren Schichten, aber auch zu Menschen mit Einschränkungen wie Blinden oder dementen Personen abzubauen, gehöre jedenfalls auch zum Programm einer nachhaltigen Entwicklung – zumal viele Häuser ihre Rolle als Tourismusmagneten infolge der Pandemie nicht mehr erfüllen können. „Das ist viel Kommunikationsarbeit, die man da leisten muss. Aber wir sehen die Situation als Chance.“
Originale sollen bleiben
Die Idee, dass Museen in Hinkunft verstärkt auf Kopien und Faksimiles setzen könnten, um den Leihverkehr zu bremsen, kann Leidl indes nichts abgewinnen. „Es kann nicht sein, dass Kunstwerke nicht mehr reisen dürfen, das würde unserer Arbeit und unserem Verständnis nicht gerecht“, sagt sie. „Es ist aber zu hinterfragen, ob bei Transporten immer Kuriere mitfliegen müssen.“ Sammeltransporte, die nach Art einer Mitfahrzentrale die Zahl der Transporte reduzieren, seien da schon ein erster Schritt in Richtung Nachhaltigkeit.
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