Kulturstaatssekretärin Mayer: "Es gibt eine gewisse Liebe zum Skandal“
In Relation dazu, wie gemächlich die Kulturpolitik normalerweise mahlt, gab es zuletzt eine rasche Abfolge an Entscheidungen. Schließlich taucht die Neuwahl schon am Horizont auf. Was hat Andrea Mayer noch vor?
KURIER: Als verantwortungsbewusster und sparsamer Steuerzahler möchte ich Ihnen gerne etwas schenken.
Andrea Mayer: Jö, der Weihnachtsmann. Was bekomme ich denn?
Ich schenke Ihnen schon jetzt die Ergebnisse der Kulturstrategie des Bundes, die Sie bis 2024 erstellen lassen wollen. Darin wird stehen: Inklusion, Diversität, neues Publikum, faire Bezahlung der Kulturschaffenden und Klimaschutz sind die Ziele der Kulturstrategie des Bundes. Das können Sie gratis verwenden und sich so die Arbeit und das viele Geld ersparen.
Ich gebe Ihnen vollkommen recht, die Themen, die behandelt werden müssen, liegen auf dem Tisch. Das heißt aber nicht, dass man sie nicht bearbeiten muss. Es ist mir gelungen, verschiedene Baustellen, die jahre- oder jahrzehntelang offen waren, zu schließen. Über das Haus der Geschichte und Fair Pay ist ewig geredet worden, aber es ist nichts entstanden. Und es ist auch wichtig, mit den Kulturschaffenden in Diskurs zu treten. Nur so sind wir durch die Coronazeit gekommen. Mir war wichtig, diesen Schwung mitzunehmen in den Kunst- und Kulturstrategieprozess, den wir als Diskussionsforum aufgesetzt haben. Zuerst eine breite Themensammlung online, dann mit Dialogveranstaltungen. Das Forum Kultur im Volkstheater war das erste Mal, dass wir so ein Branchentreffen gemacht haben, nach dem so viele gerufen haben.
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Ja, die Veranstaltung wurde in Ihrer Zeitung kritisiert.
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Nicht nur dort!
Es hat auch sehr viele positive Rückmeldungen gegeben. Man kann immer etwas besser machen. Aus all dem erarbeite ich gerade Leitlinien für die Kultur im Bund, die wir gegen den Sommer hin präsentieren werden.
Lohnt sich das noch, nachdem im September gewählt wird und die nächste Regierung das wohl in die Schublade legt?
Ich bin jemand, der lieber gestaltet als abwartet.
Ein ganz grundlegendes Problem, das auch die Wiener Kulturstrategie hat, ist doch: Die Kulturschaffenden und das Kulturpublikum sind genau die, die man das alles nicht fragen sollte. Da kriegt man nur eingelernte Innensichten.
Zuerst zuzuhören, dann Schlüsse zu ziehen – und dann als Kulturpolitikerin Entscheidungen zu treffen: So geht dieser Prozess. Etwa beim Haus der Geschichte. Wir haben eine sehr passable Lösung an einem Ort mit viel Publikum. Aber es gibt die, die sagen: Das muss an der ersten Adresse der Republik stehen, am Heldenplatz. Das höre ich mir an, aber es ist unrealistisch, dass dort etwas gebaut wird. Das wird nicht gehen. Daher habe ich eine Lösung für ein größeres Haus mit toller Ausstellungsfläche gesucht.
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Warum ging es in der Hofburg nicht? Ursprünglich gab es dort eine Planung mit 3.000 m2.
Sie sind halt nicht frei. Und es hat keinen Sinn, ein Haus der Geschichte in einen Konflikt hineinzusetzen. Die Musikerinnen und Musiker sind aufgestanden, weil man die Sammlung Alter Musikinstrumente woanders hinbringen wollte.
Für diese Sammlung wäre das Museumsquartier doch auch toll!
Es ist jetzt so, wie es ist. Wir haben jetzt endlich eine Lösung. Und zwar eine gute!
Zurück zur Kulturstrategie: Warum fragt man nicht eher jenen wachsenden Anteil der Bevölkerung, der sich nicht für vom Bund geförderte Kultur interessiert, was ihm fehlt?
Ich habe das Publikumsverhalten wissenschaftlich untersuchen lassen. 22 Prozent der Bevölkerung gehen regelmäßig zu Kulturveranstaltungen, das heißt: mehrmals monatlich. Insgesamt 81 Prozent gehen gelegentlich. 19 Prozent erreichen wir nicht. Das ist keine schlechte Ausgangsbasis. Interessant war auch, dass die migrantische Bevölkerung in zweiter Generation überdurchschnittlich oft in Kunst- und Kulturveranstaltungen geht.
Also kein Handlungsbedarf?
Natürlich sind alle Institutionen angehalten, sich um neues Publikum zu bemühen, da aufgrund der Überalterung in Österreich mehr älteres Publikum wegfällt, als junges nachkommt. Und Kulturverhalten wird in Österreich vererbt, ähnlich wie Bildung. Der Bildungsminister und ich werden daher bei den 10- bis 14-Jährigen Initiativen setzen, mit denen wir Kunst und Kultur für die Schülerinnen und Schüler attraktiver machen können.
Man geht also davon aus, dass sich der Anteil der Bevölkerung, die Kulturveranstaltungen besuchen, sonst senken würde?
Man muss schauen, dass sich der nicht senkt, ja.
Es gibt dafür neue Initiativen und auch viele andere. Muss man da nicht überlegen, anderes nicht mehr zu fördern, damit sich das ausgeht, oder traut man sich das als Kulturpolitiker nicht?
Ich bin zu einer Zeit angetreten, als keine einzige Kulturinstitution in Österreich offen war. Es hat nichts stattgefunden. Künstler haben gesagt, wir können unsere Miete nicht zahlen, wir müssen zu Amazon gehen und dort Packerln einpacken. Mir war wichtig, dass wir die Künstlerinnen und Künstler nicht verlieren. Österreich steht dafür, dass wir eine so tolle Kulturlandschaft haben. Ich bin nicht für ein Sparprogramm zu haben.
Um Sparen ging es ja nicht. Aber in Österreich sind ja nicht nur Bildung und Kulturinteresse vererbt, sondern auch die Förderungswürdigkeit. Manche Institutionen wurden vor Jahrzehnten als förderwürdig erkannt. Müsste man da nicht bei dem einen oder anderen nachdenken, ob diese Einschätzung noch gültig ist?
Förderentscheidungen beruhen auf den Vorschlägen der Jurys und Beiräte und werden daher grundsätzlich ständig neu bewertet. Dabei gibt es auch Feedback zur Weiterentwicklung. Ich bin schon lange in dem Geschäft. Irgendetwas abzudrehen, ist selten der richtige Weg.
Bei den sicher divers und breit besetzten Findungskommissionen für hohe Kulturmanagementjobs kam zuletzt immer ein Mann heraus. Was können denn Männer besser bei der Leitung von Kulturinstitutionen?
Sie sind viel zu jung, um so ein kurzfristiges Gedächtnis zu haben. Ich habe zum Beispiel Lotte de Beer besetzt, Lilli Hollein, Petra Höfinger.
Mit Verlaub, aber Volksoper, MAK und Art for Art gegen zuletzt Albertina, Kunsthistorisches Museum und Burgtheater, wo es jetzt nur Männer gibt und die Frauenquote gesunken ist.
Es ist immer noch eine tolle Frauenquote bei den Bundesmuseen. Ich habe Frauen in hohe Positionen besetzt, diesmal waren es Männer. Ich suche immer die Beste oder den Besten für das jeweilige Haus. Mir ist es bewusst, aber in dem Fall waren die Entscheidungen halt so.
Der langjährige Wiener Kulturstadtrat Andreas Mailath-Pokorny hat kürzlich im KURIER gesagt, dass ihn sorgt, dass die Kultur aus der öffentlichen Debatte gefallen ist – und dass die Politik irgendwann sagen könnte: Dann fördern wir das halt nicht mehr.
Die öffentliche Debatte über Kultur ist ganz entscheidend. Der Kulturjournalismus ist ein wichtiges Gegenüber für Kunst und Kultur. Medien haben es heute wahnsinnig schwer. Daher hat die Regierung ein Paket für Qualitätsjournalismus geschürt, darunter ist auch Kulturjournalismus zu verstehen, der für die Kulturpolitik und die Institutionen ein ganz wichtiges Vis-a-vis ist. Ich hoffe, dass dieses Paket hilft. Es ist von großer Bedeutung, dass über Kunst und Kultur berichtet wird, geschrieben und gesprochen.
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Und wer soll das Volkstheater leiten?
Mir ist wichtig, dass man das Volkstheater gut positioniert zwischen Burgtheater und Josefstadt. Und modernes Theater macht, das das Publikum anspricht. Der Anspruch ist schon, dass das Haus voll sein soll.
Über Kultur gesprochen wird hauptsächlich, wenn es einen Aufreger gibt – wie um das vor die Tür gesetzte „Jedermann“-Team bei den Salzburger Festspielen.
Es gibt eine gewisse Liebe zum Skandal. Die Salzburger waren so viele Jahre künstlerisch und an der Kassa erfolgreich. Ich finde es nicht gut, dass man mit Künstlern so umgeht – und das habe ich dem Direktorium auch gesagt. Das werden sie schon wieder geradebiegen. Aber es stimmt: Wie kommt man mit etwas Positivem durch?
So etwas wie die Neuordnung des Denkmalschutzes, die wichtig, aber fad ist.
Es würde uns generell helfen, mehr auf das Positive als auf das Negative zu schauen. Es ist schwer durchzudringen, wir versuchen es. Aber das Letzte sind larmoyante Politiker. In diese Gasse möchte ich nicht kommen, dafür ist auch viel zu viel gelungen.
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