Wenn viele Jahre lang Kulturpositionen in Wien vorrangig an jene Leute vergeben werden, die im Zuge dieses Prozesses informiert über Inklusion, neue Publikumsschichten und Nachhaltigkeit reden, und man fragt diese Menschen dann, was für Themen die nächsten sieben Jahre in der Kultur wichtig sein werden, was sagen die dann? Genau: Inklusion, neue Publikumsschichten und Nachhaltigkeit. Man bekommt einen Diskurs zurückgemeldet, den man selbst mitgeformt hat.
Und wenn man dann noch einen offenen Beteiligungsprozess macht, bei dem Menschen ihr Interesse an Kultur bekunden können, welche Menschen machen da mit? Genau, Menschen, die Interesse an Kultur haben. Die, die sich die Mühe machten, sind dann gebildeter als die Bevölkerung, mit übermäßig hohem Frauenanteil und zu 37 Prozent im Kulturbereich tätig gewesen. Und diese übermäßig gebildeten, vorwiegend weiblichen Menschen, die zu einem Drittel aus dem Kulturbereich kamen, sagten, dass faire Bezahlung im Kulturbereich und soziale Sicherheit der Kulturschaffenden und leistbare Kultur das wichtigste sind. Also, sie sagten das nicht von selbst, sie bekamen jene acht Themenbereiche zur Reihung, die aus der vorhergehenden Befragung von Kulturmenschen, siehe oben, von diesen als wichtig erachtet wurden. Befragt, was diese übermäßig gebildeten, vorwiegend weiblichen Menschen, die zu einem Drittel aus dem Kulturbereich kamen, sonst noch für wichtig hielten, war mehr Angebote für Kinder und mehr Diversität.
An dieser Stelle gab es eine gewaltige Überraschung: "Insgesamt bestätigen die Ergebnisse des Partizipationsprozesses die in der Kulturstrategie behandelten Handlungsfelder sowie die seit 2018 gesetzten kulturpolitischen Schwerpunkte." Menschen, die im Kulturbereich arbeiten, finden die aktuellen Diskurse im Kulturbereich also wichtig. Das Ergebnis ist ungefähr so überraschend wie jenes, das man damit erzielt, FPÖ-Wähler zu fragen, ob sie für mehr Migration sind.
Und dann gab es noch eine repräsentative Umfrage unter 1005 Wienerinnen und Wienern. Die bestätigte, was jeder weiß: Gebildetere Menschen mit mehr Geld besuchen häufiger Kulturveranstaltungen. Und, erstaunlich: "Für rund drei Viertel (76%) der Wiener*innen ist ein interessantes Angebot der ausschlaggebende Grund, bestimmte Kunst- oder Kulturveranstaltungen zu besuchen."
Das alles zusammen ergab dann die Kulturstrategie 2030, die Veronica Kaup-Hasler nun präsentierte (nachzulesen gibt es das alles hier: https://www.wien.gv.at/spezial/kulturstrategie2030/). Vielleicht hat man ein falsches Bild davon, was eine solche Strategie leisten kann und soll. Man kann sich aber des Eindrucks nicht erwehren, dass, wenn man vor einem Jahr mitten in der Nacht von der Kulturstadträtin angerufen, aufgeweckt und aufgefordert worden wäre, die allerbekanntesten, allertrivialsten Konsens-Schlagwörter zur Kulturpolitik in Wien aufzuzählen, man auf genau jene gekommen wäre, die nun, nach einem langen Prozess, als neue Strategie präsentiert wurden. Man blieb in der Mitte der roten Wohlfühlzone in Kulturfragen, die praktischerweise als soziale Fragen gelesen werden und so soziale Antworten bekommen können. Dazu noch Klima, Digitalisierung und Gedenken, das Dreigestirn der Gegenwartsbewusstseinsignalisierung. Ist das echt alles?
2024 folgt die Kulturstrategie des Bundes. Man ist bereit für den nächtlichen Anruf von Andrea Mayer mit der Aufforderung, auch hier die entsprechenden Schlagwörter herauszurufen, die alsbald als Erkenntnis aus einem langen Prozess präsentiert werden.
Die wirklich entscheidenden Fragen werden, ein Jammer, nicht einmal berührt.
- Gerade in Wien müsste die Frage, wer hier in Zukunft das Kulturpublikum sein kann, nicht hinter dem schwammigen Begriff der Inklusion versteckt werden: Die Kulturstadt bietet traditionelle und Intellektuellen-Kultur für die Kulturinteressierten; was aber ist mit jenen, die aus anderen Traditionen kommen oder sich nicht von vornherein für Kultur interessieren?
- Wie, auch, wird mit dem Wegbrechen der Öffentlichkeit für Kultur umgegangen, die längst in der öffentlichen Debatte keine Rolle mehr spielt und der in naher Zukunft auch die mediale Begleitung vollständig wegzubrechen droht?
- Wer, wenn nicht Kulturjournalisten, soll sich dann noch mit Kulturstrategien auseinandersetzen? Wie kann sich die Kultur in einer völlig veränderten Aufmerksamkeitslandschaft positionieren?
- Wie schließt man die größer werdende Kluft zwischen dem, was Kulturschaffende gern so machen, und dem, was das bisher interessierte Kulturpublikum gern sehen würde?
- Warum fremdelt die Kulturpolitik immer noch mit zeitgemäßen Ausdrucksformen abseits der Hochkultur?
Diese Fragen hätte man gerne beantwortet gehabt. Aber dafür wurden wohl die falschen Menschen mit den falschen Fragen konfrontiert.
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