Klaus A. Schröder: „Ich kritisiere die Denunziation des Touristen“
Klaus Albrecht Schröder eckt gerne an. Im August 2020 schlug er im KURIER vor, nicht am Premierenreigen festzuhalten – und lieber zuzuwarten, bis die Corona-Krise vorbei ist: „Wir werden die Zeit auch ohne das Lebensmittel Theater überleben. Und wenn wir konsequent die Maske tragen, verkürzen wir die Zeit, bis wir wieder ins Theater gehen können.“ Die Entwicklungen sollten seine Ansichten bestätigen.
Vor ein paar Wochen meldete sich Schröder wieder zu Wort – mit einer 20-minütigen Videobotschaft „über das Museum der Zukunft“, die auch auf YouTube abrufbar ist. Er konstatierte u. a. eine „Angst vor der Überfremdung“. Der KURIER fragte erstaunt nach.
KURIER: Sie kritisieren in Ihrem Video massiv das Feuilleton. Es verfalle dem „Provinzialismus“. Wie kommen Sie denn zu diesem Befund?
Klaus A. Schröder: Sie haben recht, das war zu harmlos ausgedrückt. Das österreichische Feuilleton verfällt nicht dem Provinzialismus, aber es läuft Gefahr, eine Position zu vertreten, die es ansonsten zu Recht kritisiert: die der Fremdenfeindlichkeit. Der Tourist rangiert in den Feuilletons weit oben unter den Feindbildern, verbunden mit dem Aufruf, dass sich unsere großen Museen endlich den Besuchern aus dem eigenen Land widmen mögen – und nicht den Anderen, den Fremden. So, als ob diese in Österreich einfielen wie die Hunnen ins Weströmische Reich. Ich habe daher diese Denunziation des Touristen kritisiert. Seiner Präsenz verdanken wir neben unserer eigenen Neugierde auf das Unbekannte, dass in Österreich Toleranz und Weltoffenheit herrschen. Das war nicht immer so.
Ich lese vielleicht andere Medien als Sie. Denn ich kann diesen Befund nicht teilen.
Dann müssen wir tatsächlich verschiedene Feuilletons lesen – oder die gleichen unterschiedlich interpretieren. Der hohe Anteil von internationalen Besuchern und die internationale Attraktivität der Wiener Museen werden pauschal mit „Overtourism“ gleichgesetzt. Manche Kunstkritiker sehen in der Pandemie die Chance, dass jetzt Museen wie die Albertina, das Belvedere und das KHM endlich gezwungen werden, sich auf das heimische Publikum zu konzentrieren. Das mutmaßliche Geschäftsmodell des auf den Touristen ausgerichteten Museums sei gescheitert. Als ob es das je so gegeben hätte!
Festgestellt wurde lediglich, dass die drei Bundesmuseen extrem vom Tourismus profitiert haben. Und dass darüber der heimische Besucher vielleicht vernachlässigt wurde.
Das ist falsch. Vor der Pandemie hatte die Albertina jährlich über eine Million Besucher, davon kamen 450.000 aus Österreich. Die Albertina verzeichnete mehr Österreicher, als jedes deutsche Kunstmuseum deutsche Besucher zählt. Diesem Vorurteil vom Museum als Massenbetrieb für Touristen wollte ich mit dem Video entgegentreten. Das zu Recht gegenüber Fremdenfeindlichkeit sensible Feuilleton ist offensichtlich blind gegenüber der Tatsache, dass nicht nur unsere Besucher, sondern auch der Großteil der Künstler unserer Sammlungen keine Österreicher sind: von Michelangelo bis Picasso. Deren Kunst gehört der Welt. Die internationale Geschichte, die Größe und Bedeutung unserer Sammlungen verlangen geradezu, dass wir uns nicht einigeln. Im Übrigen sind der Großteil unserer Vermittlungsangebote ebenso wie viele unserer Spezialausstellungen wie jene zu Rudolf von Alt auf ein österreichisches Publikum zugeschnitten. Sogar unsere Audioguides in elf Sprachen – von Englisch bis Serbokroatisch – bieten wir nicht nur unseren internationalen Gästen an. Sie kommen Tausenden in Wien lebenden Immigranten und Neo-Österreichern zugute. Und noch etwas: Weit über 80 Prozent unserer Besucher kommen aus der EU. Die will und kann ich nicht als Fremde markieren.
Wolfgang Muchitsch, Chef des Joanneums und Präsident des Museumsbunds, sagt in der Zeitschrift „neues museum“, dass die Verlockung, auf das internationale Publikum zu setzen, groß gewesen sei: „Die Eintrittserlöse sind ungleich höher. Unter den heimischen Besucherinnen und Besuchern gibt es wohl kaum jemanden, der den vollen Eintrittspreis zahlt. Denn fast jeder erhält eine Ermäßigung.“ Touristisches Publikum hingegen zahle den normalen Preis – und sei „daher sehr attraktiv“.
Diese Analyse kann ich nicht bestätigen. Der österreichische Besucher lässt wesentlich mehr Geld in der Albertina als der internationale Gast. Der Tourist kauft den Kurzführer, der Österreicher den Drei-Kilo-Ziegel einer fünfjährigen Forschungsarbeit. Der Österreicher besorgt vielfach auch seine Weihnachtsgeschenke im Albertina-Shop. Unsere Produkte sind auf den heimischen Markt ausgerichtet. Auch die Annahme, Österreicher zahlten mehrheitlich nicht den vollen Eintrittspreis, gilt nicht für die Albertina. Die Zahl der verkauften Tickets zum reduzierten Preis ist angesichts der Gesamtzahl irrelevant.
Gut. In Ihrem Video-Statement sagen Sie, dass Sie den Begriff „Blockbuster-Ausstellung“ verabscheuen würden.
Der Begriff des Blockbusters leitet sich von den flächendeckenden Bombardements im Zweiten Weltkrieg ab. In den 1970er-Jahren hat der Begriff seinen traurigen Weg ins Museumswesen gefunden – für Ausstellungen mit über 1.000 Objekten. Mit den mehrbändigen Katalogen konnte man jemanden erschlagen. Erst seit den 1990er-Jahren wurden auch kleinere Ausstellungen, die Besuchermagnete waren, als „Blockbuster“ bezeichnet.
Sie sagen, dass die „Nazi-Sprache ungebrochen ihre Fortsetzung gefunden“ habe. Der Begriff stammt aber von den Alliierten, die Deutschland und Österreich bombardierten.
Da ist einiges durcheinandergeraten. Mir ging es um das Martialische des Ausdrucks. Mir widerstrebt es, eine Ausstellung über Munch oder Modigliani mit einem so zerstörerischen Begriff zu verbinden.
Diesen Begriff hörte ich das erste Mal aus Ihrem Mund – Anfang der 1990er. Damals leiteten Sie das Kunstforum.
Sollte ich den Begriff früher selbst verwendet haben, so war das gedankenlos.
Den Ansatz, mit einer Ausstellung ein möglichst großes Publikum anzulocken, gibt es aber nach wie vor?
Kunst soll doch immer von möglichst vielen Menschen gesehen werden. Aber die Besucherzahl als solche ist mit Sicherheit nicht der Anlass und Zweck unserer Ausstellungen. Die Vermutung, wir wollen nur ein großes Publikum bedienen, ist falsch. Wenn ich das wollte, würde ich den Musikantenstadl moderieren.
Eine Ausstellung etwa zur italienischen Vorlagengrafik des 15. Jahrhunderts, die nur ein Spezialpublikum interessieren würde, gibt es aber nicht.
Sie sollten sich als nächster Direktor der Albertina bewerben. Dann können Sie ja die Vorlagengrafik unter besonderer Berücksichtigung spätbarocker Freskenmalerei im Südburgenland in den Mittelpunkt Ihres Programms rücken. Unser Publikum erwartet zu Recht, dass wir Dürer, Michelangelo, Raffael, Rembrandt, Rubens, Monet, Schiele, Picasso oder Matisse präsentieren. Daneben bieten wir unzählige Studienausstellungen an. Kein Museum der Welt zeigt so viele Ausstellungen zur Kunst der Zeichnung und Druckgrafik wie die Albertina.
Aus Ihrer Video-Botschaft lese ich die Hoffnung heraus, dass es nach der Pandemie so weitergehen solle wie vor ihr.
Die Pandemie wird Folgen haben, auch positive! Virtuelle Eröffnungen für tausende Besucher zum Beispiel werden wir beibehalten und neben unseren physischen Eröffnungen anbieten. Reisebeschränkungen aber werden hoffentlich bald fallen. Das heißt nicht, dass man für ein paar Euro zum Shoppen nach London jetten können muss. Aber ich kann mir nicht vorstellen, dass Menschen nicht mehr reisen wollen. Heuer musste ich pandemiebedingt aus budgetären Gründen auf einige sehr teure Modigliani-Leihgaben aus Madrid, Palm Beach und Sao Paulo verzichten. Das wird sich wieder ändern: Es wird für Museen wie die Albertina auch in Zukunft internationale Leihgaben brauchen.
Was ist Ihr Ziel?
Wir wollen ab Herbst wieder auf Schiene sein. Das Umplanen, Adaptieren, Neuplanen, das Verschieben von Projekten und kurzfristige Ersetzen durch eigene Ausstellungen war enorm arbeitsaufwendig und findet hoffentlich mit einer hohen Durchimpfungsrate bald ein Ende. Wir wollen wieder der verlässliche Partner der Vergangenheit sein – und unsere Dreijahrespläne einhalten. In der Albertina modern zeigen wir im Herbst „Egon Schiele und die Folgen“ und eine große Ausstellung über die 80er-Jahre, im Frühjahr 2022 Ai Weiwei. Und in der Albertina im kommenden Jahr Edvard Munchs Einfluss auf die Kunst unserer Zeit sowie eine Jean-Michel Basquiat-Retrospektive.
Österreicher
Klaus A. Schröder sagte am 23. März 2020 im „Standard“: „Auch wenn jährlich etwa 350.000 Österreicher die Albertina besuchen, benötigen wir weitere 700.000 internationale Besucher, um unseren allgemeinen Museumsbetrieb finanzieren zu können“
Ermäßigter Eintritt
Laut Kunst- und Kulturbericht des Bundes hatte die Albertina 1.001.294 Besucher im Jahr 2019. Von den 764.274 Menschen, die Eintritt zahlten, entrichteten nur 370.811 den vollen Preis. Einen ermäßigten Preis zahlten 393.463
Blockbuster
Christian Bauer, Chef der Landesgalerie NÖ, arbeitete ab 1993 für Schröder. Er schreibt, dass dieser „mit zahlreichen Blockbuster-Ausstellungen“ neue Maßstäbe gesetzt hätte. Der ORF berichtete 2011, dass die Albertina „weiter auf Blockbuster-Schauen“ setze: Sie plane für 2013 eine Matisse-Ausstellung, deren Versicherungswert sich „im zweistelligen Milliardenbereich“ bewegen werde. Das hätte Schröder angekündigt. 2012 sagte er gegenüber „Format“: „Große Blockbuster sind kaum noch zu organisieren, da die Kosten im Vergleich zu den Erträgen überdurchschnittlich hoch sind“
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