Albertina-Chef: "Wir kommen jetzt einmal ohne Theater aus"
Am 12. März hätte die Albertina modern, die Dependance im Künstlerhaus, feierlich eröffnet werden sollen. Doch Corona machte Albertina-Direktor Klaus Albrecht Schröder einen Strich durch die Rechnung.
KURIER: Die Pandemie traf alle unvorbereitet, auch die Albertina. Wie beurteilen Sie nun die Situation?
Klaus Albrecht Schröder: Die Albertina muss auf Feuer, Diebstähle und Hacker-Angriffe vorbereitet sein, aber nicht auf eine Pandemie. Die Regierung hätte vorbereitet sein müssen. Denn es gab klare Prognosen, dass es in den nächsten 30 oder 50 Jahren eine Pandemie geben wird. Doch nicht nur unsere Regierung, alle Regierungen waren völlig unvorbereitet. Daher hat man nach dem Ausbruch nur reagiert – wie im Mittelalter. Eben mit Quarantäne. Das ist die simpelste Form der Reaktion. So hat man das bereits im 15. Jahrhundert in Venedig gemacht – und bei uns, als die Pest war. Man hat in der Folge den Sicherheitsapparat aufgebläht, nicht aber im gleichen Maße den Gesundheitsapparat verstärkt. Die Pandemie wird nicht verschwinden. Ich kann allerdings nicht erkennen, wie man sich innovativ auf die Zukunft vorbereitet.
Ende Mai, als die Albertina wiedereröffnet wurde, sagten Sie: „Wir werden mit Corona leben müssen. Denn es werden weitere Wellen kommen.“ Sie bleiben dabei?
Ja, die Krise wird uns die nächsten zwei, drei bis zu fünf Jahren beschäftigen. Wir werden weit mehr Arbeitslose haben, die Kaufkraft wird nachlassen, das wird nicht nur den Automobilsektor und die Luftfahrtindustrie treffen, das trifft auch die Kulturindustrie, das trifft selbstverständlich auch die Theater und Museen. Wenn die Zahl der Sitzplätze stark reduziert werden muss, ist jede Eintrittskarte nicht mehr, wie bei manchen Opern-Produktionen, mit bis zu 500 Euro subventioniert, sondern mit noch höheren Beträgen. Und da stellt sich die Frage, ob man am bisherigen Premierenreigen festhält, oder ob man nicht lieber zuwartet, bis die Krise vorbei ist.
Die Theaterdirektoren argumentieren aber mit der gesellschaftlichen Relevanz. Und wollen spielen.
Wenn Menschen sterben oder auf Monate schwer erkranken: Wie kann man dann sagen, man könne ohne Theater nicht leben? Wie passt dieses Beharren mit Humanität zusammen? Ich kann diesen Satz nicht nachvollziehen: „Wir bestehen auf unser Recht, Theater zu spielen, weil es ein Lebensmittel ist.“ Ich habe einen anderen Begriff von Lebensmittel, einen handfesteren: Es sollen lieber mehr Menschen leben können – und wir kommen jetzt einmal ohne Theater aus. Denn vieles andere, darunter die Lektüre, wird ja nicht eingeschränkt. Wir werden die Zeit auch ohne das Lebensmittel Theater überleben. Und wenn wir konsequent die Maske tragen, verkürzen wir die Zeit, bis wir wieder ins Theater gehen können. Denn ich warne davor, auf die Segnung einer Impfung in nächster Zeit zu hoffen.
Sie plädieren für das Tragen des Mundnasenschutzes?
Ja. Ich war 14 Tage auf Urlaub in der Toskana. Zuvor empfand ich die Maske, wie wohl viele Österreicher, als unangenehm. Aber in Italien hat sie mich überhaupt nicht gestört. Denn dort ist eine Kleinigkeit anders: Es gibt keine Ausnahmen. Man lebt also mit der Maske. Und auf einmal ist sie einfach ein Utensil. Bei uns fragt man sich hingegen: Brauche ich sie jetzt? Oder eh nicht? Ich finde, die Österreicher könnten diese kleine Einschränkung auf sich nehmen – und mit der konsequenten Verwendung der Maske unter Umständen vielen Menschen eine schwere Erkrankung ersparen. Mein Weltbild ist: Wenn drei unhöflich sind, dann sind drei unhöflich; aber wenn 1000 unhöflich ist, stimmt die Struktur nicht. Bei uns stimmt die Struktur nicht. Man hantelt sich von Ausnahme zu Ausnahme – und jeder stellt dann eigene Regeln auf. Je nach der Stärke der Lobby. Das geht einfach nicht.
Also eine Maskentragepflicht?
Ich halte nichts von Freiwilligkeit beim Maskentragen. Wenn sich viele fehlverhalten, sind nicht sie schuld, sondern die Politik. Egal, wie die Regeln sein werden: Bei uns im Haus gibt es bereits eine Maskenpflicht. Mir erscheint diese Maßnahme notwendig, obwohl unsere Besucherzahlen meilenweit von früheren entfernt sind. Das hat nicht nur mit dem Zusammenbruch des Städtetourismus zu tun, sondern auch mit der Verunsicherung innerhalb der österreichischen Bevölkerung.
Das heißt, dass die Verluste der Albertina kontinuierlich steigen?
Wir konnten trotz der vergleichsweise niedrigen Basisdotierung, die nicht einmal die Personalkosten deckt, in der Vergangenheit eine respektable Deckungsvorsorge aufbauen. Und diese wird bis Ende des Jahres weg sein.
Vizekanzler Werner Kogler gab im Juni in einer Anfragebeantwortung bekannt, dass die Albertina einen Einnahmenausfall von 10,3 Millionen Euro erwartet. Diese Summe erscheint plausibel, denn Sie hatten 2019 Einnahmen in der Höhe von über 18 Millionen Euro.
Ich habe daher für heuer mit 18 Millionen an Einnahmen gerechnet. Jetzt gehe ich von acht Millionen aus. Vielleicht werden es auch nur sieben Millionen sein. Um ehrlich zu sein: Die bisher bekannt gegebenen Zahlen waren keine seriösen Prognosen, sondern Ratespiele. Eine Prognose basiert, auch wenn sie sich als falsch herausstellen sollte, auf Erfahrungswerten. Aber wir haben keine. Wir wissen nicht, wie sich unser Publikum verhalten wird. Die Ausstellung „Van Gogh, Cézanne, Matisse. Die Sammlung Hahnloser“, die wir ab 27. August zeigen, wird ein Gradmesser sein. Unter normalen Umständen hätten wir 350.000 bis 400.000 Besuche. Werden wir auf die Hälfte kommen? Oder gar nur auf 100.000? Erst aufgrund dieses Ergebnisses können wir Rückschlüsse ziehen. Wenn der Zulauf nicht groß sein sollte, müssen wir uns die Frage stellen, ob wir teure Ausstellungen wie „Munch und die Folgen“, die ab 18. Februar zu sehen sein soll, oder „Modigliani – Picasso. Revolution des Primitivismus“ im Herbst 2021 finanzieren können.
Konkret: Sie erwägen eine Absage?
Ein Schuft, der mehr ausgibt, als er hat. Wir haben bereits zehn Ausstellungsprojekte mit internationalen Leihgaben für die Jahre 2021 und 2022 abgesagt. Abgesehen von den beiden erwähnten Projekten werden wir auf absehbare Zeit ausschließlich Ausstellungen aus den eigenen Sammlungen bestücken. Ich habe bereits zu Beginn der Pandemie gesagt, dass diese Krise keine Chance ist. Und das sehe ich auch jetzt so. Aber man muss damit leben. Und man kann auch damit leben. Denn die Albertina hat reichhaltige Sammlungen – und daher beste Voraussetzungen, um exzellente Ausstellungen aus den Beständen anbieten zu können. Welches Museum kann das noch?
Wann wollen Sie entscheiden?
Im Oktober. Denn erst, wenn der Finanzminister seine Budgetrede gehalten hat, werden wir wissen, wie hoch die Mittel für 2021 sein werden. Ich hoffe, dass Kulturminister Werner Kogler in den Verhandlungen erfolgreich ist. Und ich erwarte eine gerechte Verteilung.
Weil die Albertina einen sehr hohen Eigendeckungsgrad hatte – wie auch das Belvedere und das KHM. Die großen Drei sind daher vom Besucherrückgang weit stärker betroffen als etwa das Museum moderner Kunst oder das MAK.
Richtig, es gibt Bundesinstitutionen, deren Fixkosten zu 98 Prozent mit der Basisabgeltung gedeckt sind. Sie haben daher vermutlich keine großen Liquiditätsprobleme. Wir hingegen haben immer sehr hohe Beträge erwirtschaftet. Ich will jetzt nicht klagen, aber es war so: Wir haben nicht mehr Steuergeld gebraucht und daher die anderen mehr oder weniger querfinanziert. Aber jetzt braucht es einen gerechten Verteilungsschlüssel! Es kann nicht sein, dass gerade die Museen, die einen erfolgreichen Weg der Präsentation beschritten haben, unter die Räder kommen.
Was könnte im Oktober schlimmstenfalls drohen?
Ich kann nicht 34 Mitarbeiter für die Kunstvermittlung und zwölf Mitarbeiter im Shop haben, wenn es statt einer Million nur 300.000 Besucher geben dürfte. Ja, das werden schwierige Gespräche mit dem Vizekanzler werden. Ich verstehe, dass er Arbeitslosigkeit vermeiden möchte. Aber aus betriebswirtschaftlicher Sicht muss ich die finanzielle Stabilität der Albertina garantieren. Ich darf nicht gegen die Betonwand rasen – in der Hoffnung, dass sie nachgibt. Denn das wird sie nicht.
Was halten Sie von Rabattaktionen? Das Belvedere bot Tickets um nur vier Euro an.
Ich bin strikt gegen solche Maßnahmen. Generell ist es so, dass die Politik Staatsschulden weginflationieren will. Aber gleichzeitig reagieren viele Marktteilnehmer auf die nachlassende Nachfrage mit Preisreduktionen. Es droht daher eine Deflation – und das ist das Schlimmste, was volkswirtschaftlich passieren kann. Denn das mündet in hoher Arbeitslosigkeit. Ermäßigte Tickets waren ein legitimer Versuch, der vermutlich außer Einnahmenverluste nichts gebracht hat.
Wieso soll man für den Albertina-Eintritt 16,90 zahlen, wenn die Bundesmuseen-Card, mit der man die acht Häuser je einmal besuchen kann, nur 19 Euro kostet?
17 Euro sind für das, was wir anbieten, durchaus vertretbar. Zumal der Eintritt für Kulturpass-Inhaber, also jene, die leider nicht auf die Butterseite gefallen sind, ohnedies gratis ist. Ich halte die Verbilligung der Bundesmuseen-Card von 59 auf 19 Euro für falsch. Das habe ich auch Staatssekretärin Andrea Mayer gesagt. Sie wollte es trotzdem. Ich konnte zumindest eine Befristung bis 15. September erwirken.
Sammlungen
Klaus Albrecht Schröder (64), Direktor seit 2000, ergänzte die Grafische Sammlung des Bundes (mit dem Dürer-Hasen!) u. a. um die Sammlungen Batliner und Essl. Das Museum ist daher – zum Missfallen der Konkurrenz – breit aufgestellt.
Ausstellungen
„The Beginning. Kunst in Österreich 1945 bis 1980“ bis 8.11. im Künstlerhaus. Im Palais: „Monet bis Picasso“ und „Warhol bis Richter“ sowie frühe Radierungen und Fotos von Michael Horowitz. Am 27.8. folgt „Van Gogh, Cézanne, Matisse“
Kommentare