Klassik-Business: Über die Tricks und Nöte der Agenten
Vor vier Wochen konnten Sie an dieser Stelle lesen, wie sich junge Sängerinnen und Sänger erniedrigen beziehungsweise ausbeuten lassen – nur um auftreten zu können. Es gab viel Zustimmung, auch von der österreichischen Mezzosopranistin Elisabeth Kulman, die sich für faire Arbeitsbedingungen einsetzt: Ja, genau so sei die Situation. Und gut sei es, dass endlich einmal über die Abzocke der Agenturen geschrieben wird.
Damit Sie eine Ahnung haben, wie findig manche sind, hier ein paar Beispiele:
Ein Unternehmen ist bereit, sich gegen Geld über Zoom zwei Arien vorsingen zu lassen. Es ist ein rein informatives Vorsingen. Das heißt, dass es um kein konkretes Engagement geht. Und über Zoom bedeutet, dass man als Kandidat Raum, Pianist, Kamera, exzellente Mikrofone und eine stabile Internetverbindung bereitstellen muss. Trotzdem wird sich das Unternehmen nur schwer ein realistisches Bild von der Qualität der Kandidaten machen können. Aber es ist ohnedies zu nichts verpflichtet.
Oder: Eine Agentur bekundet aktiv Interesse an einer Zusammenarbeit. Der Künstler freut sich riesig. Bis er den Vertrag studiert hat. Denn er habe monatlich zu zahlen – und die Agentur würde sich bloß verpflichten, bei Veranstaltern anzufragen, ob vielleicht Interesse bestehe. Es ist also für die Agentur irrelevant, ob der Künstler engagiert wird oder nicht. Denn sie wird sowieso bezahlt.
Zehn-Minuten-Slot
Oder: Man reist zu einem Vorsingen in eine Metropole und bekommt einen Zehn-Minuten-Slot. Bei der Audition wird man gelobt und gefragt, ob man ein paar Tage später an einem – natürlich kostspieligen – Workshop teilnehmen möchte. Wenn man allerdings nicht bleiben kann, können sich die Agenten später leider, leider nicht mehr an den Teilnehmer erinnern.
Oder: Es gibt auch internationale Agenturen, die ein Vorsingen in Wien organisieren. Das ist praktisch, denn dann spart sich der junge Sänger die Reisekosten. Selbstverständlich muss man dafür zahlen, singen zu dürfen. Der Gag aber ist: Die von der Agentur eingeladenen Besetzungschefs hören nicht als offizielle Vertreter eines Theaters zu, sondern als Privatpersonen, die sich ein paar schöne Tage in Wien machen. Sie sind zu nichts verpflichtet.
Österreichische Agenten fanden den Text, der vor vier Wochen erschienen ist, allerdings nicht so super. Franz Tscherne, der unter anderem Anna Princeva (steht vor ihrem Debüt im Covent Garden als Mimi), Magdalena Anna Hofmann und Jürgen Sacher unter Vertrag hat, gibt zwar zu, dass es, wie in jeder Branche, schwarze Schafe gebe, aber generell könne er nur mit einem Wort des Herrn Bundespräsidenten antworten: „So sind wir nicht.“
„Ich verlange kein Geld“
Denn: „Der Großteil der österreichischen Agenturen arbeitet mit hohem ethisch-moralischem Anspruch. Ich verlange kein Geld, dass ein Sänger oder eine Sängerin auf meiner Liste aufscheint, ich verlange kein Geld, wenn ich ein Vorsingen organisiere, ich verlange auch keine monatliche Zahlung, wie es zweifelsohne leider ein paar machen. Ich verlange nur meine Provision für zustande gekommene Engagements.“
Die junge Sängerin, die Ihrem Tratsch-Partner das Herz ausgeschüttet hatte, pflichtet teilweise bei: „Es stimmt wohl, dass mächtige – pardon: seriöse – Agenturen kein Geld fürs Vorsingen verlangen, aber das liegt vielleicht auch daran, dass sie – meines Wissens – keine Vorsingen veranstalten, zumindest keine, zu denen man als junger Sänger Zugang hätte.“
Die einflussreichen Agenturen könnten zudem getrost auf die Sänger warten, die sich durchsetzen, und diese dann an- oder abwerben. „Würden sie sich ernsthaft mit dem Aufbau der Karriere von Anfängern befassen, hätten die schwarzen Schafe es wahrscheinlich schwerer, Kundschaft zu gewinnen“, so die Leidgeprüfte. „Da man aber als junger Sänger im Normalfall nicht an die einflussreichen und natürlich seriösen Agenten herankommt, aber trotzdem eine Vertretung braucht, um ans Theater zu kommen, ist man irgendwann schon froh, für ein Vorsingen bezahlen zu dürfen.“
Tscherne widerspricht vehement. „Mit großer Leidenschaft und Empathie berate ich ,meine Kinder‘, wie ich sie nenne. Man bespricht das Repertoire, ich bastle an deren Karrieren und warne vor zu früh gesungenen, zu schweren Rollen. So sehe ich meine Aufgabe, und der Erfolg gibt mir recht.“ Und wenn er schon eingesteht, dass es in seiner Branche einige schwarze Schafe gibt, so lässt er auch die Opernhäuser nicht ungeschoren: „Es gibt leider – wiederum – einige, die die derzeitige Situation der Sänger ausnützen und die Gagen drücken. So unter dem Motto: ,Die sind eh froh, wenn sie singen dürfen ...‘.“
„Ich verdiene kein Geld“
Die Agenturen seien laut Tscherne derzeit in einer ziemlich schwierigen Situation: Einerseits erwarten die Sänger annehmbare Gagen, da sie gerade nach dem Corona-Jahr dringend Geld brauchen. „Und andererseits will man es sich ja nicht mit den Intendanten verscherzen.“
Aber nicht nur für die Künstler sei die Situation schlimm, auch für die Agenten. „Ich verdiene heute kein Geld für die Arbeit, die ich bereits vor zwei Jahren gemacht habe.“ Denn damals waren die Auditions und Vertragsverhandlungen. „Und jetzt kann ich aufgrund der Pandemie nicht die Arbeit tun, um in zwei Jahren Geld zu verdienen. Das ist die Krux.“
In diesem Punkt stimmt die junge Sängerin zu: „Ja, die Agenturen haben es jetzt auch schwer. Noch dazu sind sie es nicht gewohnt, das Risiko eines ausbleibenden Engagements mit ihren Sängern mitzutragen, denn im Normalbetrieb kann ein Sänger, der nicht (oder nicht mehr) gut funktioniert, leicht gegen ein neues Modell ausgetauscht werden. Dass alle gleichermaßen betroffen sind, gibt es erst seit dem Beginn der Pandemie.“
Kommentare