Wer von „Kunst in der Kirche“ spricht, erzählt eigentlich nur die halbe Geschichte. Denn viele der Bilder, die in Kirchen hängen, haben mit „Kunst“ im heutigen Sinn wenig zu tun: Sie sind für Gläubige Kommunikationsmedien, haben ein Eigenleben und mitunter Zauberkräfte.
In der Johann-Nepomuk-Kirche auf der Wiener Praterstraße trifft sich der alte Kult- mit dem neueren Kunst-Begriff – beherbergt das Gotteshaus doch zwei außergewöhnliche Bild-Schätze mit internationaler Strahlkraft.
Als einer der ersten historistischen Bauten Wiens ist das Haus auch ein Bindeglied zwischen dem alten und dem neueren Wien – zwischen 1841 und 1846 nach Plänen von Carl Rösner erbaut, bestand es schon, als die Praterstraße noch Jägerzeile hieß und nicht der Boulevard war, den wir heute kennen. Die Architektur zitiert Stilelemente der Romanik und der Frührenaissance, mit seiner ungewöhnlichen Raumaufteilung wirkt der Innenraum nie überwältigend.
„Deswegen geht meine Oma auch so gern her“, sagt die Fremdenführerin Anna Geisler. Wiewohl in München geboren, verbrachte sie schon als Kind viel Zeit bei der Wiener Großmutter und war dabei auch regelmäßig in der Nepomuk-Kirche zu Besuch; nun erzählt sie auf Grätzeltouren gern deren außergewöhnliche Geschichte.
Die „Rosa Mystica“
„In der Jägerzeile besaß einst ein Mann ein Gnadenbild, die eine Kopie der sogenannten Maria Pötsch“, erklärt sie. Aus diesem Madonnenbild, das im Original in Ungarn beheimatet war und heute im Stephansdom hängt, sollen einst Tränen geflossen sein; sie erhielt den Beinamen „Rosa Mystica“.
Die Praxis, mit genauen Kopien auch die Wundertätigkeit eines Bildes zu vervielfältigen, ist in der Ikonentradition gang und gäbe. Das Exemplar in der Jägerzeile soll einen Hausbrand unbeschadet überstanden und die Bewohner der Jägerzeile 1713 vor der Pest bewahrt haben.
Das Bildprogramm der im 19. Jahrhundert erbauten Kirche sollte an die mystische Intensität solcher Glaubensbilder herankommen. Verantwortlich dafür waren zwei Künstler, die dem Bund der „Nazarener“ angehörten: Selbst erzkatholisch, trachteten diese danach, in ihren Werken höchste Emotionalität zu erreichen.
Leopold Kupelwieser, der das Hochaltarbild mit der „Apotheose des Hl. Johannes Nepomuk“ schuf, war dabei aber noch eher schaumgebremst. Richtig auf die Emotionstube drückte Joseph Führich, der die 14 Kreuzwegbilder im Umgang der Kirche in altmeisterlicher Fresko-Technik – also direkt mit in feuchten Putz eingebrachter Farbe – ausführte.
„Man nannte Führich auch den ,Theologen mit dem Stifte‘“, weiß Anna Geisler, die durch ihre fortwährende Betrachtung einige „Lieblingsdetails“ aus den virtuos gemalten Fresken herausgefiltert hat. So fiel ihr schon als Kind auf, dass der Menschensohn in der 10. Station („Jesus wird seiner Kleider beraubt“) ungewöhnlich muskulös dargestellt ist – auch in der 11. Station („Jesus wird ans Kreuz geschlagen“) sieht man sein wohldefiniertes Sixpack, mit dem Führich wohl die Stärke des Heilands hervorstreichen wollte. In der dritten Station, in der Jesus zum ersten Mal unter der Last fällt, malte Führich einen Hund auf seine Augenhöhe, um die Niedertracht des Geschehens zu unterstreichen.
Bewegte Bildgeschichte
Jedes Bild im Führich-Kreuzweg ist extrem bewegt, von Gesten und Grimassen bis hin zu den Faltenwürfen der Gewänder wird jedes Element benutzt, um Drama zu erzeugen. Der Raum des Bildgeschehens ist nicht tief, wodurch die Personen dem Betrachter förmlich entgegenzukommen scheinen.
Als Maler wird Führich der Epoche der Romantik zugeordnet – seine Formensprache verdankt sich aber den Erkenntnissen aus Renaissance und Barock, die er auch als Professor an der Kunstakademie weitergab. 1861 wurde Führich in den Ritterstand erhoben, die Führichgasse nahe der Albertina ist nach ihm benannt. Der Kreuzweg in der Johannes-Nepomuk-Kirche aber hatte ein langes Nachleben: In der Pfarrgemeinde weiß man von mehr als 700 Reproduktionen der Bildfolge in aller Welt. In den USA wurden ab 1873 Kopien im Katalogversand angeboten, Exemplare finden sich etwa in Wichita/Kansas oder in Sioux Falls/South Dakota. Dass die Kirche in der Praterstraße damit auf gewisse Art ein frühes globales Medienzentrum war, ahnt heute kaum noch jemand, der auf der zum Boulevard gewandelten „Jägerzeile“ an ihr vorbeispaziert.
Zur Person
Streng genommen ist Anna Geisler (*1986) „halbe“ Wienerin: Ihre Mutter stammt aus Bayern, wo die heutige Fremdenführerin auch aufwuchs. Durch Familienbesuche wuchs ihr Wien früh ans Herz, sodass sie für ein Dolmetsch-Studium in die Stadt übersiedelte. Seit 2013 leitet Geisler Touren auf Deutsch, Englisch, Französisch und Italienisch. Dazu bietet sie Touren zu kulinarischen Attraktionen in einzelnen Bezirken an. Sie ist dabei Wien-Partnerin des Anbieters „Eat the World“, der diese Art Rundgang in vielen Städten etabliert hat. www.annalovesvienna.at
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