The Kinks: Kantige Typen feiern ein rundes Jubiläum

The Kinks: Kantige Typen feiern ein rundes Jubiläum
Ein Valentinstag in London vor 60 Jahren gilt als Geburtsstunde der Band, die im Schatten der Beatles und Stones gestanden ist.

Der akustische Fleischwolf legt einen Lärmteppich in die gar nicht ausverkaufte Halle, erwürgt die Hoffnung auf die unvergessliche Begegnung mit einer Musiklegende. 1987, ein Dezemberabend in Linz. Die Kinks waren da. „You Really Got Me“ rumpelt als letzte Zugabe in die bleibende Erinnerung ...

... an eine Geschichte, die vor genau 60 Jahren beginnt. An das Konzert zum Valentinstag in der Hornsey Town Hall im Norden Londons. „Die wahre Geburtsstunde der Band“, stellt Mastermind Ray Davies später fest. „Ray Davies Quartet“ nennt sich die Combo, die künftig im langen Schatten der Beatles und Stones ihren eigenen Stil finden und ein neues Zeitalter der Pop- und Rockhistorie mitgestalten wird.

1963 beginnt die Suche nach Bandnamen und Besetzung – auch ein gewisser Rod Stewart versucht sich zwischenzeitlich als Sänger. „Kinky“ – bedeutet salopp übersetzt „verdreht bis pervers“. Damit entspringt der endgültige Bandname einem damaligen Erfolgsrezept: „Ruhm durch Empörung.“

The Kinks: Kantige Typen feiern ein rundes Jubiläum

„Sir“ Raymond Douglas Davies: Auch auf Solopfaden schafft er
respektable Werke

Tonangebend bleibt das in der Londoner Vorstadt mit sechs Schwestern aufgewachsene Duo Raymond Douglas Davis (geb. 1944) und sein Bruder Dave (1947). Der Geschichtenerzähler und sein Leadgitarrist, zwei komplizierte Charaktere, eine Zweckbeziehung im Dauerclinch. Dave’s Zitat in The Kinks, Die Story: „Ray war vermutlich drei Jahre lang glücklich. Die drei Jahre seines Lebens bevor ich geboren wurde.“ Einziger Zusammenhalt sei die Musik gewesen, sagt der Bruder.

24 Studioalben (’64 – ’93) sind das Produkt. Danach? Trennung auf Raten, keine offizielle Auflösung, Spekulationen, Soloprojekte und 1994 das verzichtbare Comeback in den Schlagzeilen: Dave erleidet einen Schlaganfall, Ray wird von einem Straßenräuber angeschossen.

Im August 1964 explodiert diese damals einzigartige Nummer. Harter Beat, dreckiges Gitarrenriff: „You Really Got Me“. Von Piratensendern gepusht, wird der Song am 19. September zur Nummer 1. Er sei Grundlage für den Hardrock und Punk gewesen, erkennen die Experten. Der berühmte „Green Amplifier“, der von Dave manipulierte Verstärker, prägt den rauen Kinks-Sound der Anfangszeit. Die Band wird Teil der „British Invasion“, fischt gemeinsam mit den Stones, Beatles und den Who im großen Teich ausrastender US-Teenager. Hitzig ist die Atmosphäre. Dave Davis tritt auf der Bühne gegen das Schlagzeug von Mick Avory, dessen Spiel er stets als zu lasch erachtet. Der Drummer schlägt ihn bewusstlos.

Ray Davies hat das Sagen und sowieso anderes im Sinn. Der aufmerksame Beobachter biegt ab von der härteren Gangart, gießt soziale Kommentare und Studien des typisch englischen Alltags in seine Songs. Die stilistische Aussaat für den Britpop, der in der Mitte der Neunziger seine Hochblüte erfährt.

Hitverdächtige Ironie

„Sunny Afternoon“ (1966) wird der Soundtrack des Sommers, „Waterloo Sunset“ (1967) ein melancholischer Klassiker, den Ray Davies auch bei der Schlussfeier der Olympischen Spiele 2012 singen wird. Londons heimliche Hymne beschreibt eine Momentaufnahme der Schauspieler-Romanze zwischen Julie Christie und Terence Stamp im Sonnenuntergang auf der Themse-Brücke. Ray Davis bestreitet das.

Er liebt die leise, manchmal bitterböse, in einigen Konzeptalben verpackte Ironie. The Kinks Are the Village Green Preservation Society (1968) gilt in späteren Bestandsaufnahmen als das vielleicht beste Album der Band. Musikalisch hintergründig gestaltet, offenbart sich das biedere englische Landleben als eine zu belächelnde Idylle. „God save strawberry jam“, und es muss natürlich erwähnt werden, dass Daisy den Sohn vom Greißler heiratet.

Provokateure

Zu diesem Zeitpunkt sind die Kinks von der American Federation of Musicians aus fadenscheinigen Gründen bereits zu einem vierjährigen Auftrittsverbot verdonnert und damit vom US-Markt ausgegrenzt. Man brauche diese „roten Schlappschwänze“ nicht, meint ein Gewerkschaftsfunktionär. Ray Davies erklärt 2018 in einem Spiegel-Interview: „Weil wir auf der Bühne oft rote Jacken trugen, hielt man uns in den USA für Kommunisten.“

Der Geschichtenerzähler hinterlässt offene Interpretationsspielräume, überhaupt wenn er sich an die Gesellschaftsränder bewegt. Lola (1970), ein Transvestit wird Inhalt einer Kinks-Erkennungsmelodie. Oder Art Lover (1981), ein lieblich anmutende Song, der vom durch den Park joggenden Typen handelt, der ein kleines Mädchen beobachtet.

„Come Dancing“ verhilft 1983 zur Wiederkehr auf internationalen Bestenlisten. Danach? Gute Erinnerung. „Thank You For The Days.“