Die Kirche in Wien-Hernals hat eine bewegte Geschichte mit Wallfahrtstradition. Pilger können die „Türkenmadonna“ um Hilfe bitten und Jesus am Leidensweg begleiten.
Sollten Sie ein Problem mit Ihren Augen haben, könnte ein Besuch in der Kalvarienbergkirche in Wien-Hernals helfen. Vielleicht. Denn dort befindet sich am linken Seitenaltar die „Türken-Muttergottes“, die man – so die Sage – um Hilfe bitten kann. Speziell bei Augenleiden: Beten für weniger Dioptrien, ein Rosenkranz für bessere Sichtverhältnisse. Aber wie das mit Wundern so ist, kann alles, muss aber nichts sein. Vergessen Sie also bei einem Besuch der Kirche Ihre Brille nicht.
Zurück zur „Türken-Muttergottes“: Dieses Bild ist eine Kopie des Bildes aus der Mariahilfer Kirche (das wiederum eine Kopie des Originals sein soll). Es wurde 1683 nach der zweiten Wiener Türkenbelagerung im Lager der in die Flucht geschlagenen Osmanen gefunden, die das Kunstwerk offenbar als Schießscheibe verwendet haben: Die Einschüsse sind am besten an der Hand der Madonna und am rechten Bein des Jesuskindes zu sehen. Das Bild ist eines der wenigen Highlights in der Kirche. Erwähnenswert ist noch eine Pietà: Sie stammt aus der Barockzeit und steht etwas verloren auf einem Tisch.
Dass die Kirche im Innenbereich ungewöhnlich leer, fast nackt ausfällt (es gibt kaum Bilder, kaum Statuen von Heiligen), liegt daran, dass die Kirche im Jahr 1945 – bei einem der letzten Angriffe überhaupt – durch einen Bombentreffer schwer zerstört wurde. Das Dach stürzte ein und begrub vieles unter sich. Auch die Orgel, die im Zuge einer der zahlreichen Renovierungsarbeiten in den 1980er-Jahren durch eine neue ersetzt wurde.
„Von der damaligen Kirche standen nach dem Krieg nur noch die Außenmauern, die Empore und ein paar Bänke“, erklärt unsere Fremdenführerin Regina Engelmann beim Rundgang. Mit dem Pfarrer des Hauses, Karl Engelmann, sei sie übrigens nicht verwandt, so die Klosterneuburgerin.
Alle Fotos: Gerhard Deutsch
Familie Jörger
Die Führung im Innenbereich ist nach wenigen Minuten wieder beendet. Es gibt hier auch kaum etwas zu sehen. Was die dem heiligen Bartholomäus geweihte Kalvarienbergkirche aber so interessant macht, ist ihre bewegte Geschichte. Sie reicht bis ins Spätmittelalter zurück: 1301 erstmals urkundlich erwähnt und 1529 bei der ersten Wiener Türkenbelagerung zerstört, wurde sie Mitte des 16. Jahrhunderts zu einem evangelisch-lutherischen Zentrum, da innerhalb der Stadtmauern Wiens evangelische Gottesdienste verboten waren. So kam es zum sogenannten „Auslaufen“ der Wiener Protestanten in die Vorstadt. In und um die Hernalser Pfarrkirche und das Schloss Hernals (im Besitz der Familie Jörger) fanden sich zeitweise bis zu zehntausend Gläubige ein. Aber durch die gewaltsame Unterdrückung unter Kaiser Ferdinand II. wurde die Pfarrkirche 1625 wieder römisch-katholisch.
Im Zuge der Gegenreformation wurde zwischen Wien und Hernals ein Kreuzweg angelegt. Er nahm vom Stephansdom seinen Ausgang und führte durch das Schottentor aus der Stadt heraus. Endstation war der künstlich errichtete Kalvarienberg, wo nicht nur gebetet, sondern auch rauschende Fasten- und Pilgerfeste gefeiert wurden. Und noch immer gefeiert werden. Seit Jahren ist der am Osterwochenende im Umkreis der Kirche ausgetragene Markt mit den „Bamkraxlern“, der angebotenen Kulinarik, den Kinder- wie Senioren-Programmen, Workshops und Kunsthandwerk-Zelten sehr beliebt. Coronabedingt ist das Fest, das an diesem Wochenende stattfinden hätte sollen, natürlich längst abgesagt.
Der Kalvarienberg, also der Kreuzweg rund um die Kirche, ist hingegen noch bis Ostersonntag frei zugänglich. Danach muss man sich wieder ein Jahr gedulden, bis man die über 300 Jahre alten holzgeschnitzten Skulpturen, von denen man nicht weiß, wer sie geschaffen hat, betrachten kann. Sie überlebten auch den besagten Bombentreffer im Zweiten Weltkrieg unbeschadet, da man sie rechtzeitig aus der Stadt und nach Klein-Mariazell brachte.
„Körberljud“
Die „Via Dolorosa“ erzählt in den ersten sieben Stationen den Leidensweg Christi – dargestellt mit den Holzschnitzereien. Stilistisch betrachtet sind diese Arbeiten keine hohe Kunst – das Einfache sollte dabei auch im Mittelpunkt stehen. Dann kommt die Kreuzigungskapelle. Und danach lehrt einem Maria die Tugenden Sanftmut, Freigiebigkeit, Keuschheit, Demut, Mäßigkeit, Eifer und Liebe.
Am Ende begegnet man dem sogenannten „Körberljud“, der immer wieder antisemitischen Anfeindungen und Hässlichkeiten ausgesetzt war. Dabei handelt es sich um eine Figur, die die Nägel und liegen gebliebenen Werkzeuge nach Jesus Kreuzigung einsammelt.
Der „Körberljud“ wurde angespuckt, beschimpft und beschädigt: Zuerst wurde ihm die Nase abgeschlagen, dann der halbe Kopf. Dieser wurde daraufhin durch Metall ersetzt. „Das war hier ein Angriffsobjekt des antisemitischen Hasses von Katholiken. Er beruht auf dem Stereotyp: Der Jude als Christusmörder“, sagt Regina Engelmann.
Diese Zeiten sind zum Glück vorbei. An die antisemitischen Übergriffe mahnt hier aber leider nichts. Dafür erinnert man sich an Franz Schubert, der die Kirche mehrmals besucht haben soll. Angeblich war sie auch einer der letzten Orte, die er vor seinem Tod aufgesucht hat. Zumindest steht das auf einer Gedenktafel, die 1928 zu Schuberts 100. Todestag an der Kirchenfassade aufgehängt wurde. Darauf steht geschrieben: „In diesem Gotteshaus hörte der Unsterbliche am 3. November 1828 die letzte Musik vor seinem Tode, das lateinische Requiem seines Bruders Ferdinand.“
Wer das ohne Brille aus zwei Metern Entfernung nicht lesen kann, sollte die „Türken-Muttergottes“ um Hilfe bitten. Oder einfach zum Augenarzt gehen.
Die Kalvarienbergkirche liegt am Sankt-Bartholomäus-Platz in 1170 Wien.
Die Fremdenführerin: Regina Engelmann ist eine „Spezialistin für alles“, wie sie sagt. Die Klosterneuburgerin arbeitet seit 22 Jahren als Fremdenführerin und macht nicht gerne das Gleiche, sondern sucht die Abwechslung. Die 61-Jährige, die auch fließend Englisch und Französisch spricht, ist noch immer oder schon wieder in Zwangspause – Führungen sind aufgrund der Corona-Maßnahmen keine möglich.
Für die Zeit danach gäbe es aber zahlreiche Möglichkeiten für eine sichere Führung. „Wir warten nur noch auf das Okay. Natürlich sind wir auf ausländische Touristen angewiesen, aber es würde schon helfen, wenn wir Einheimische durch Wien führen könnten. Es wäre eine Win-win-Situation“, so Engelmann.
Kommentare