Sturminger über Netrebko: "Nicht von außen Heldenmut einfordern"
Mit reichlich Verspätung kommt „Die Unschuldsvermutung“ nun im ORF an (27. April, 20.15 Uhr, ORF2). Die ARD zeigte die Koproduktion schon vergangenen Herbst, nach den verlängerten Jubiläumsfeierlichkeiten der Salzburger Festspiele, wo der Film auch angesiedelt ist.
„Jedermann“-Regisseur Michael Sturminger verschaltet hier mehrere Konflikte miteinander. Als liebestoller Maestro Marius Atterson brilliert Ulrich Tukur. Weil seiner neuen „Don Giovanni“-Produktion durch einen Probenauszucker der Regisseur (Simon Schwarz) abhanden kommt, engagieren Festspielpräsidentin (Michou Friesz) und Intendant (August Zirner) als Ersatz ausgerechnet Attersons temperamentvolle Ex-Frau Beate Zierau (Catrin Striebeck).
Noch dazu findet ein Frauen-Trio zusammen, das den Star-Dirigenten aus verschiedenen Interessen heraus in einen Skandal schlittern sehen will: seine Agentin (Daniela Golpashin), eine Journalistin (Marie-Christine Friedrich) und seine Meisterschülerin Karina Samus (Laura de Boer).
Sie stellen ihm eine MeToo-Videofalle. Als sie zuschnappt, kommt Atterson (nicht nur) mit einem blauen Auge davon.
KURIER: Wie haben die Festspiele die Idee zu "Die Unschuldsvermutung" aufgenommen?
Michael Sturminger: Sehr kooperativ und freundlich. Wir durften an allen Originalschauplätzen drehen und da ich Salzburg mittlerweile ganz gut kenne, ist es ein wahrhaftiger, komödiantisch zugespitzter, aber doch liebevoller Blick. Man könnte auch einen boshafteren Film zu den Festspielen machen. Aber wir haben jegliche Unterstützung gekriegt und viel Vertrauen. Dafür bin ich dankbar.
Der Film ist am Ende erstaunlich optimistisch.
Ich habe versucht, eine leichte Komödie zu machen. Der Gedanke war, zu den pathologischen Widerlichkeiten, die es da gibt, auch einmal einen Schritt zurück zu machen. Mit einem gewissen Humor zeigen wir diese Realität als etwas, was jetzt vorbei sein muss. Im gesellschaftlichen Kontext hat die MeToo-Debatte sehr viel erreicht. Und man kann jetzt über dieses Phänomen Gott sei Dank auch lachen. Das ist vielleicht gerade ein Zeichen dafür, dass da was erreicht ist. Als ich das Drehbuch geschrieben habe, hatte ich die Vorstellung, dass zum 100. Geburtstag der Festspiele zum ersten Mal eine Frau eine Oper dirigieren wird. Und dann ist es spät aber doch wirklich so gekommen (lacht).
Joana Mallwitz dirigierte 2020 Mozarts „Così fan tutte“; Anm.
Besteht bei Ihrem Maestro Verwechslungsgefahr?
Es geht nicht darum, irgendwelche Leute persönlich herauszuholen, obwohl natürlich Zitate vorkommen, bei denen ich weiß, wer die Menschen sind, die das gesagt oder getan haben. Aber darum geht es ja hier gar nicht. Es geht um die Klassikwelt und wie sie sich verändert. Und auch, wie pragmatisch diese Welt ist, weil: Der Vorhang muss aufgehen.
Der eitle Star-Dirigent gibt dann ziemlich leicht klein bei.
Ich fand wichtig, dass Ulrich Tukur keinen hassenswerten Menschen zeigt, sondern einen, der Charme hat. Und trotzdem geht das nicht, was er macht. Weil das einfach vorbei ist. Dieser Maestro muss die Zeichen der Zeit wohl oder übel zur Kenntnis nehmen.
Man denkt bei der Videofalle auch ein bisschen an Ibiza: Kann man für allenfalls lautere Zwecke illegale Mittel einsetzen?
Das ist natürlich ein komödiantisches Mittel. Diese Falle ist aber auch ein lauteres Mittel. Es müsste sich ja niemand so verhalten, dass das nachher schlecht für ihn ausgeht. Man muss sich jetzt halt besser anschnallen (lacht). Wir haben uns in den letzten 30, 40 Jahren viel zu langsam, aber doch Schritt für Schritt, weiterentwickelt, was den Umgang zwischen den Geschlechtern betrifft. Und die Welt wird besser, wenn Frauen mehr zu sagen haben. Was wir in der Ukraine erleben, ist eine steinzeitliche Barbarei. In Ländern, die von Frauen gelenkt werden, wäre das völlig undenkbar.
Sie vertreten eine prononcierte Meinung in der Debatte um Künstler wie Anna Netrebko.
Auch Menschen wie Netrebko haben Verwandte, und die leben vielleicht in Russland. Wir haben nicht das Recht, deren Heldenmut einzufordern. Menschen verschwinden in Gefängnissen, oder sie werden bedroht, finden „Z“-Zeichen an der Tür. Es ist für jemanden, der außerhalb dieser Gesellschaft lebt, total unangebracht, den Menschen in Russland zu sagen, wie sie sich zu verhalten hätten, und binnen drei Tagen sollten sie sich von etwas distanzieren. Ich finde, da ist eine gewisse Demut angebracht. Und dann gibt es Leute, die sich moralisch entrüsten und noch drauf treten, wenn jemand am Boden liegt. Diese sagen: Na, die Netrebko hat eh schon stimmliche Probleme gehabt. Das ist echt nicht die feine Art.
Netrebko hat sich mittlerweile distanziert, Valery Gergiev hat das noch immer nicht getan.
Wovon soll er sich in drei Tagen distanzieren? Von seinem Leben? Er fühlt sich verantwortlich für sein Theater. Ich finde es grauenvoll, was in der Ukraine passiert und ich bin mir ganz sicher, dass Valery es auch grauenvoll findet. Und ich weiß auch, dass man ihn nicht einladen kann. Aber man muss nicht von außen sagen, wie man sich zu benehmen hat.
Regisseur
Michael Sturminger ist Regisseur in Film, Theater und Oper. Am Theater an der Wien erarbeitete er ab 2008 mit Martin Haselböck und John Malkovich die Musiktheaterproduktionen „The Infernal Comedy“ und „The Giacomo Variations“
Salzburg, St. Petersburg
Bei den Salzburger Festspielen inszenierte er 2017 den „Jedermann“ neu, zunächst mit Tobias Moretti, dann mit Lars Eidinger. 2021 wurde seine Osterfestspiel-Inszenierung von Puccinis „Tosca“ mit Anna Netrebko bei den Sommerfestspielen wiederaufgenommen. Immer wieder arbeitete der Wiener in Russland, u. a. mit Dirigent Valery Gergiev. 2009 und 2011 inszenierte er an dessen Mariinski-Theater in St. Petersburg
Intendant
Seit 2014 ist Sturminger Intendant bei den Sommerspielen Perchtoldsdorf (NÖ). Ab 30. 6. wird dort „Molière oder Der Heiligenschein der Scheinheiligen“ nach Michail Bulgakow zu sehen sein
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