Mit Jahresende übergibt Sabine Haag den Posten als Generaldirektorin KHM-Museumsverband an Jonathan Fine. Ihre Amtszeit währte 16 Jahre: Zu drei regulären 5-Jahres-Verträgen kam das dazu, was Haag das „italienische Intermezzo“ nennt.
KURIER: Es ist der Eindruck entstanden, dass es in Ihrer Amtszeit einen Knick gegeben hat. Zuerst war da die erfolgreiche Wiedereröffnung der Kunstkammer, es gab Fundraising-Erfolge und viel beachtete Ausstellungen. Nachdem Eike Schmidt bestellt worden war und dann 2019 doch nicht nach Wien gekommen ist und Sie zugesagt haben, weiter Generaldirektorin zu sein, hatte man Eindruck, Ihre weitere Amtszeit war überschattet.
Sabine Haag: Definitiv. Für mich ist dieses Kapitel abgeschlossen und es beschäftigt mich auch nicht mehr. Aber es war eine Disruption. Es war für mich persönlich eine Zäsur, eine schwierige Zeit. Aber es war vor allem auch für unser Haus, für unseren Verband, eine sehr schwierige Zeit. Die erste Hälfte meiner Amtszeit war sehr schön, sehr kreativ, mit vielen Visionen und Zukunftsprojekten. Dann ist der Zug einfach weitergefahren, und ich blieb im Führerstand. Ich habe die Devise ausgegeben: Wir arbeiten weiter und wir zeigen das Beste, was wir können Aber natürlich hat das auch dazu geführt, dass ich nicht überall dieselbe Handlungsfähigkeit hatte, wie es rückblickend gesehen besser gewesen wäre.
Sonderausstellungen waren Gott sei Dank nicht betroffen. Was definitiv nicht so weiterverfolgt werden konnte, wie ich es mir gewünscht hätte und geplant hatte, war die Neuaufstellung der Schatzkammer, die ein lang gehegter Traum von mir war. Die Schatzkammer wurde 1987 zuletzt neu aufgestellt. Wir alle wissen, dass fast in jedem Aspekt seither viele Entwicklungen passiert sind. Und da hinken wir nach. Wir haben die wunderbarsten Objekte, bedeutende Objekte der europäischen Geschichte, des europäischen Welterbes. Aber in der Präsentation ist es nicht mehr angemessen.
Waren Sie damals vielleicht einfach zu entgegenkommend? Man hätte zur Kulturpolitik auch sagen können: Ihr habt diesen Scherbenhaufen angerichtet, das ist nicht mein Problem, sucht euch jemanden anderen, der da aufkehrt.
Das wäre für viele andere wahrscheinlich eine Option gewesen. Für mich war es keine. Da geht es um Verantwortung für die Institution. Und die habe ich von meinem ersten Tag im Museum als Kuratorin in der Kunstkammer und Schatzkammer bis zu meinem letzten Tag als Generaldirektorin immer prioritär gesehen. Ich habe es auch nicht bereut. Ich habe damals allerdings nicht geahnt, dass wenige Monate später die Pandemie sämtliche Planungen über den Haufen werfen und eine ganz andere Strategie Platz greifen musste.
Als Sie 2009 von Wilfried Seipel den KHM-Verband übernahmen, wurde das als neue Ära bezeichnet. Was zeichnete denn diese Ära rückblickend aus?
Ich würde das als Aufbruchszeit für unseren Verband bezeichnen. Mein damaliges Motto war "Öffnen und eröffnen". Das heißt, das Museum als Institution an allen Standorten grundsätzlich zu öffnen, physisch durch notwendige Baumaßnahmen, durch eine Erneuerung der ständigen Schausammlungen, aber auch einfach ganz grundsätzlich eine Aufbruchsstimmung, eine Einladung an unterschiedliche Publikumsschichten und Zielgruppen auszusprechen. Das vielzitierte Museum für alle. Das, denke ich, haben wir in den letzten 16 Jahren wirklich sehr konsequent betrieben - unsere Möglichkeiten ausschöpfend, sei es durch tatsächliche attraktive Sonderausstellungen, durch einen breiteren Fokus weg von nur dem Besuch der Gemäldegalerie auch auf die anderen Sammlungen, durch Einbringen und Erfinden und Entwickeln von neuen Formaten, die auch ein Öffnen der Sammlungen bewirken.
Trotzdem ist das KHM heute nach dem Belvedere nur das zweitbestbesuchte Bundesmuseum. Müsste es nicht ganz selbstverständlich Nummer eins sein?
Selbstverständlich muss der KHM-Museumsverband an der Nummer eins der Bundesmuseen stehen. Wir sind definitiv das bedeutendste, das vielfältigste, der größte Museumsverband. Das ist überhaupt keine Frage. Das heißt aber natürlich auch, dass wir an allen unseren Standorten Angebote für unser Publikum machen müssen und dort Mittel hineinstecken. Da tun sich Museen, die weniger Standorte haben, sicherlich leichter. Es tun sich Museen leichter, die keine baulichen Verbesserungsmaßnahmen mehr treffen müssen. Denn wir wissen natürlich, dass wir an unseren Standorten, allesamt in historischen Gebäuden, schlichtweg benachteiligt sind und derzeit noch nicht bieten können, was der moderne Museumsbesucher erwartet.
Ja, natürlich. Ich bin einem sehr guten Austausch mit der Generaldirektion des Belvedere. Ich gönne allen immer jeden Erfolg. Aber wir fragen uns natürlich auch immer: Was macht das Obere Belvedere um so viel attraktiver als zum Beispiel das Haupthaus hier im Maria-Theresien-Platz? Wir haben den Schluss gezogen: Klimt ist momentan beliebter als Bruegel. Wir wären alle dankbar für eine differenziertere mögliche Schlussfolgerung. Aber wir wissen es derzeit nicht. Alle machen interessante Programme.
Einer, der immer weiß, wie es richtiger gehen würde, ist ihr Albertina-Kollege Klaus Albrecht Schröder. Der sagte, er hätte für das KHM „eine klare Vision gehabt“, wie man aus dem Museum etwas machen kann, das einen „noch höheren Stellenwert hat als den, den es in den letzten 25 Jahren hatte“. Was kann er meinen?
In dem Fall kann ich eigentlich nur bedauern, dass er jetzt wirklich in Pension geht und sich nicht um meine Nachfolge beworben hat.
Es gab jedenfalls für das KHM viele auch bauliche Ideen – insbesondere die Unterkellerung des Maria-Theresien-Platzes und einen neuen Eingangsbereich -, die nicht verwirklicht wurden. Warum?
Alle diese Überlegungen hatten ein grundlegendes Desiderat zum Ausgangspunkt, nämlich die Erneuerung der nicht zeitgemäßen Infrastruktur des bedeutendsten Museums in Österreich. Was wir behoben haben, war das Desiderat eines Depots für unsere Bestände. Da beneiden uns alle anderen Bundesmuseen, die das nicht geschafft haben. Den barrierefreien Eingang konnte ich noch auf den Weg bringen. Was uns nach wie vor noch fehlt, sind eigens gewidmete Sonderausstellungsflächen hier am Maria-Theresien-Platz. Die werden hoffentlich umgesetzt. Unser großer Wunsch war der nach einer Generalsanierung des Standorts. Wir haben immer postuliert: Der nächste Ringstraßenbau nach der Generalsanierung des Parlaments muss das Kunsthistorische Museum sein. Dieses Bekenntnis seitens der Politik, und da sind ja viele Ministerien eingebunden, haben wir nicht bekommen. Wir haben daher fünf Module für den Standort Maria-Theresien-Platz entwickelt, die nach und nach umgesetzt werden können.
Die Unterkellerung ist da aber nicht dabei?
Die Unterkellerung ist vom Tisch, dafür haben wir kein Gehör gefunden. Das mussten wir zur Kenntnis nehmen. Es gab damals nicht die Bereitschaft, dem Verband für mehrere Standorte oder für mehrere Projekte gleichzeitig Geld zuzusprechen. Das ist vielleicht ein bisschen der Nachteil unseres Verbands: Wir sind so etwas wie eine Museumsholding. Daher hat es immer geheißen, dass wenn an einem Standort Maria-Theresien-Platz etwas finanziert wird, kommt kein Geld für einen anderen Standort. Das halte ich wirklich für eine vollkommene Fehleinschätzung.
Aber diese interne Konkurrenz der Standorte – Weltmuseum, Theatermuseum usw. – um die Besucher, die Subventionen und auch die internen Ressourcen legt schon den Schluss nahe, dass der Verband einfach zu groß ist und vielleicht besser zerschlagen werden sollte.
Nein! Denn was ist durch den Verband gewonnen worden ist: der KHM-Museumsverband besteht aus einer Vielzahl von historisch gewachsenen Sammlungen, die auf verschiedene Standorte aufgeteilt sind. Das ist ein Reichtum, der unerschöpflich ist, und wo wir auch in jeder Sammlung die entsprechenden Fachwissenschaftler, die Experten haben. Was noch besser zusammenwachsen muss, ist diese Zusammenarbeit zwischen den einzelnen Museen.
Kooperation wäre ja auch nicht verboten, wenn diese Sammlungen alle einzelne, schlanke Strukturen wären. Man weiß aus der Wirtschaft, dass sich die Kolosse viel schwerer tun, sich etwa zeitgemäße Entscheidungsstrukturen und Hierarchien zu geben, als kleine Unternehmen – was die Museen nach der Ausgliederung ja hätten tun sollen.
Sie haben mit einem Recht: Bis zur Ausgliederung waren wir Dienststelle des Bundes, wo es nur um Wissenschaft, Forschung und den Betrieb des Museums ging. Aber alle diese betriebswirtschaftlichen, unternehmerischen Fragen, Themen und auch Herausforderungen und Chancen haben sich erst durch die Vollrechtsfähigkeit ergeben. Ich halte das nach wie vor für eine große Erfolgsgeschichte der Bundesmuseen, denn dadurch ist dieses Feuerwerk eines Kulturstandorts überhaupt möglich geworden. Diese Synergien sind wichtig. Die andere Seite, eigentlich die Mutter des Erfolges ist die wissenschaftliche Seite des Hauses. Wir sind quasi eine kleine Universität mit Wissenschaftern aus den unterschiedlichsten Bereichen. Die sind die Basis dessen, was nach Außen dann zum Erfolg wird. Daher würde ich die Zerschlagung dieser Strukturen nicht als Allheilmittel sehen.
Aber es scheint, dass Menschen wie Jasper Sharp, der viele erfolgreiche Zeitgenossen-Ausstellungen für das KHM kuratiert hat, letztlich an den Strukturen scheitern.
Ich bin überzeugt, dass es in einem Haus der historischen Kunst wichtig ist, die Brücke zur modernen und zeitgenössischen Kunst zu schaffen. Ich habe ihn gebeten, hier etwas für uns zu entwickeln und zu schauen, was passt für uns und was können wir davon umsetzen. Das war höchst erfolgreich. Aber dass er das während der Pandemie nicht mehr weiterverfolgen konnte, das hat nichts mit den Strukturen zu tun, das hat ganz andere Hintergründe gehabt.
Aber warum wurde seither nicht eine fixe Stelle eines Kurators oder eine eigene Abteilung für zeitgenössische Kunst geschaffen? Die Ausstellungen waren ja sehr erfolgreich.
Das ist eine sehr gute Frage. Ich bin überzeugt davon, dass es große Namen braucht, weil die für eine gewisse Aufmerksamkeit beim Publikum sorgen. Das kann man jetzt toll oder nicht toll, kunsthistorisch richtig oder falsch finden: Die großen Namen spielen eine Rolle. Themenausstellungen sind immer schwieriger zu vermitteln. Mir war es immer wichtig, seriös zu arbeiten, auf Wissenschaft zu setzen, auf Forschung zu setzen und immer aus den Sammlungen des Hauses zu schöpfen. Und so gesehen war es eine ganz klare Entscheidung, dass wir keinen Kurator, keine Kuratorin für moderne und zeitgenössische Kunst hier bei uns etablieren können, weil wir diesen Sammlungsbestand nicht haben. Bewährt hat sich die neu geschaffene Stelle für Sammlungen und Forschung, die wird inzwischen nicht mehr in Frage gestellt. Jetzt wäre es an der Zeit, eine Person zu etablieren, die sich um die übergreifende Programmierung im gesamten Verband kümmert – und um die Einbindung der zeitgenössischen Kunst in diese Programmierung.
Man könnte meinen: Es lagen immer die Wissenschafterin Sabine Haag und die Generaldirektorin Sabine Haag ein bisschen im Seriositäts-Clinch – und gewonnen hat meist die Wissenschafterin. Hätte man vielleicht in Bezug auf die Wissenschaftlichkeit mal ein Auge zudrücken müssen, um im Gegenzug vermarktbarere Ausstellungen zu haben?
Ich bin die erste, die Selbstkritik übt oder die eigene Arbeit kritisch hinterfragt. Aber: nein. Ich habe immer Wert darauf gelegt, solide zu arbeiten, authentisch zu arbeiten. Ich bin ausgebildete Kunsthistorikerin. Diese Expertise ist für die Funktion der Generaldirektorin meines Erachtens unentbehrlich. Ich habe mich immer bemüht, den wissenschaftlichen Aspekt als ein Qualitätskriterium zu sehen. Das sind wir den Sammlungen schuldig. Und das sind wir auch unserem Publikum schuldig.
Aber Ihr Vorgänger hat beispielsweise schwer zu vermittelnde Themenausstellungen einfach mit dem Stempel „Das Gold der…“ versehen, um mehr Interesse zu wecken, als das Gezeigte vielleicht sonst bekommen hätte.
Es liegt mir absolut fern, hier andere Beispiele oder andere Museen zu nennen, die andere Strategien mit anderen Werbemaßnahmen verwenden. Es ist Platz für alle. Wichtig ist, den Reichtum, den das Haus in seinen Sammlungen, in den Objekten hat, immer wieder neu zu erzählen, immer wieder neu zusammenzusetzen, neuen Fragestellungen an ein auch sich immer wieder neu darstellendes Publikum zu vermitteln.
Ist das Vermitteln Alter Meister schwieriger geworden? Die stehen im Interesse und am Kunstmarkt nicht mehr an vorderster Stelle.
Ich habe natürlich mit Bedauern beobachtet, dass die Alten Meister zugunsten der modernen und zeitgenössischen Kunst an Beliebtheit verloren haben - beim breiten Publikum, wahrscheinlich auch bei den Sammlern. Ich glaube aber auch fest daran, dass auch da das Pendel wieder in eine andere Richtung umschlagen wird. Denn was die Alten Meister letzten Endes so wichtig und bedeutend macht, ist eben ihre Beständigkeit. Es wird noch ein Weilchen brauchen, aber ich glaube fest daran, dass die Alten Meister uns noch lange Freude machen und uns noch lange auf alle Fragen, die wir haben, gute Antworten geben werden.
Welche Pläne haben Sie nach dem Ende Ihrer Amtszeit?
Ich will mal ausschlafen, und dann werde ich mich ein Stück weit neu erfinden müssen. Ich bin ausgebildete Kunsthistorikerin und ich bin seit 16 Jahren im Kulturmanagement tätig. Ich will das Beste dieser zwei Welten für mich verbinden. Ich werde Kunstberatung und Sammlungsberatung machen. Ich werde publizieren und Vorträge halten. Und schauen, was sich noch eröffnet. Ich freue mich unglaublich darauf, meinen Kalender selbst bestimmen zu können.
Sabine Haag, 1962 in Bregenz geboren, trat 2009 den Posten der Generaldirektorin des KHM-Museumsverbands an. Zu diesem gehören insgesamt sieben Standorte – neben dem Haupthaus und den Sammlungen in der Neuen Burg auch das Theatermuseum, die Wagenburg Schönbrunn und Schloss Ambras in Innsbruck.
Haag hatte 1990 als Mitarbeiterin in der KHM-Kunstkammer begonnen, zu deren Direktorin sie später aufstieg.
Die Neueinrichtung der Kunstkammer (Eröffnung 2013) war das Leuchtturmprojekt ihrer ersten Amtszeit. 2017 eröffnete auch das neu gestaltete Weltmuseum. Dazu initiierte sie die Bespielung des Theseustempels und ein Ausstellungsprogramm moderner Meister wie Lucian Freud.
2017 wurde Haags Vertrag dennoch nicht verlängert, sondern Eike Schmidt als Nachfolger designiert. Als dieser sich 2019 kurzfristig entschied, doch an den Uffizien in Florenz zu bleiben, führte Haag zunächst interimistisch das Haus und wurde ab 2020 formell neu bestellt. In der Corona-Pandemie brachen die Besucherzahlen des KHM-Verbands ein, 2023 wurde mit 1,68 Millionen Besuchen wieder das Vorkrisenniveau erreicht.
Kommentare