Klaus Albrecht Schröder: Der Orgelbauer der Museumswelt verlässt das Haus
KURIER: Sie haben die Albertina zu einem großen Reich gemacht, mit Sammlungen und Dependancen, die es vorher nicht gegeben hat. Haben Sie Sorge, dass sich dieses Reich wieder auflösen könnte?
Klaus Albrecht Schröder: Nein. Natürlich braucht eine große Orgel, die man baut, auch jemanden, der sie bespielt. Und es gibt sicher Zeiten, in denen solche Orgeln restauriert und erneuert werden müssen. Aber im Prinzip existiert die Orgel – und man wird sie jetzt vielleicht ganz anders bespielen, als ich es getan habe. Ich habe jedoch keinen Zweifel daran, dass das Palais in seiner renovierten Form erhalten bleiben wird. Es war mir wichtig, neue Sammlungen zu gründen. Die zwei zusätzlichen Standorte – die Albertina Modern und Klosterneuburg – haben wir unbefristet gemietet. Da habe ich keine Sorge, dass da jemand große Orgelpfeifen aus diesem Museum herausbricht, um nur noch in hohen Flötentönen zu spielen.
Hatten Sie, als Sie 1999 angetreten sind, diese Vielgestalt schon im Hinterkopf?
Es wäre vermessen gewesen, hätte ich damals den Plan gehabt, dass die Albertina nach 25 Jahren das sein wird, was sie heute ist. Aber eine frühe Entscheidung war tatsächlich wichtig: Nämlich, die Kunst der Zeichnung und Druckgrafik nicht länger zu isolieren von anderen Medien wie Malerei oder Skulptur. Am Ende musste es auch in den Sammlungen diese Mehrsprachigkeit geben. Diese Diversifikation hat 2007 mit der Übernahme der Sammlung Batliner einen Schub bekommen, die aus der Albertina ein neues Museum gemacht hat. Bis dahin war ich der 15. Direktor der 1776 gegründeten Graphischen Sammlung. Mit der Etablierung der ersten Schausammlung in der Geschichte dieses Hauses – Malerei der klassischen Moderne von Monet bis Picasso – wurde ich der erste Direktor der neuen Albertina.
Damals standen die Sterne auf eine besondere Art. Der Rückenwind von Politik und Geldgebern, den Sie damals hatten, würde sich heute in einem Bundesmuseum vielleicht anders darstellen.
Sie haben vollkommen recht, ohne die Ausgliederung der Bundesmuseen aus der Ministerialverwaltung wäre diese tiefgreifende Transformation nicht möglich gewesen. Ich war vom 1. Jänner 2000 an 17 Jahre lang der Alleingeschäftsführer und hatte über mir einen Aufsichtsrat, der sehr kompetent besetzt war und unterstützt hat, wie ich große Räder drehe. Der Auftrag von Ministerin Elisabeth Gehrer und Bundeskanzler Viktor Klima war aber klar: Mach bitte aus der Albertina etwas, sonst müssen wir sie dem Kunsthistorischen Museum geben. Und dort wird sie eine Nebensammlung werden. Meinem Charakter ist dieser Auftrag natürlich entgegengekommen. Müsste ich heute eine Autobiografie schreiben, dann wäre ihr Titel: „Mein glückliches Leben“. Mir liegt es nun mal, zu gestalten.
Die Albertina hat in die Spielfelder der anderen Museen deutlich hineingekickt. Würden Sie das im Rückblick noch einmal machen?
Ich bin bis in die Knochen hinein Marktwirtschaftler und halte Wettbewerb für die Voraussetzung, dass Qualität und Effizienz gesteigert werden. Es gab ein Problem, und das gibt es bis heute. Wir haben ein „Museum moderner Kunst“, weil das 1961 vom Inhalt her so angelegt war. Der Gründungsdirektor war damals Werner Hofmann, hat aber nach einigen Jahren sein Scheitern bekennen müssen. Es fand lange Zeit in Wien keine Matisse-Ausstellung statt, Picasso nicht und nicht Magritte, Max Ernst nicht und nicht Van Gogh, Monet. Diese Lücke wurde nicht nur mit großen Ausstellungen zu den Bahnbrechern der Moderne in der Albertina gefüllt, es wurde sogar jene Sammlung moderner Kunst etabliert, die sich Werner Hofmann immer erträumt hat: „Ein Lehrpfad der Moderne.“ Das ist in einem wettbewerbskritischen Klima nicht von allen gern gesehen worden. Heute ist das gegessen.
In der Kirche sammelt man oft mit dem Klingelbeutel, um die Restaurierung der Orgel zu finanzieren. Weil die Albertina dem Wesen nach ein öffentlich gefördertes Museum ist, entsteht die Frage: Wer wird das in Zukunft alles erhalten?
Also dem Wesen nach ist die Albertina ein Museum, das glücklicherweise auch beträchtlich subventioniert wird, das sich aber im Wesentlichen durch andere Quellen finanziert. In erster Linie durch seine Besucher. 1,3 Millionen Besuche erwirtschaften ein Mehrfaches dessen, was wir an Subvention erhalten. Und dazu kommen noch die Leistungen von Mäzenen und Schenkungen. Ich würde jetzt keinem Unternehmen ins Stammbuch schreiben: Versuchen Sie, immer müde CEOs zu haben, damit es einem Nachfolger nicht passiert, dass er am Vorgänger scheitert. Mein Nachfolger wird ganz sicher nicht scheitern. Er hat den notwendigen Ehrgeiz und eine klare Vorstellung, wie er diese Orgel bespielt.
Ein Vierteljahrhundert vergeht nicht ohne Krisen. Es gab Kritik an der restauratorischen Bleichung von Schiele-Blättern, am Verleih des Dürer-Hasen, für den 2005 keine Ausfuhrgenehmigung bestand; es gab 2009 einen Wassereinbruch und zuletzt die Covid-Pandemie. Wie ist der Macher Schröder mit dem eigenen Krisenmanagement zufrieden?
Mein Ziel war, meinem Nachfolger 20 Millionen Euro an Reserven zu übergeben. Durch die Pandemie hat sich das um acht Millionen reduziert. Aber sei’s drum: Es war am Ende eine Episode wie die anderen Beispiele, die Sie genannt haben. Man hat manchmal Zahnschmerzen, die einen tagelang fast um den Verstand bringen. Und wenn 20 Jahre später jemand fragt, was man im letzten Vierteljahrhundert so gemacht hat, fällt einem vieles ein, aber diese Zahnschmerzen nicht. Sie waren eine Episode. Ich habe gesagt, dass meine Autobiografie „Mein glückliches Leben“ heißen müsste, was nicht bedeutet, dass ich nicht auch persönliche Schicksalsschläge erlitten habe. Aber wie man mit wirklichen Tragödien umgeht, ist eine sehr persönliche Frage.
Aber gibt es Entscheidungen, die man im Rückblick revidiert?
Ich hätte die Albertina Klosterneuburg – wie ursprünglich beabsichtigt – fünf Jahre früher eröffnen sollen. Dann würde auch Klosterneuburg inhaltlich bereits auf Schienen fahren und einige Stationen schon hinter sich gebracht haben. Jetzt muss diesen Standort mein Nachfolger in Bewegung bringen.
In einer Presseunterlage steht, dass 2014 die Sammlung Gegenwartskunst auch mit dem Ziel gegründet wurde, die Sammlung Essl zu übernehmen. Das Museum in Klosterneuburg hat aber erst 2016 geschlossen, die Übernahme erfolgte 2017. Wie lange hatten Sie tatsächlich schon die Idee, die Essl-Sammlung an die Albertina zu bringen?
2014 wussten wir bereits, dass die Sammlung gefährdet ist, von den Banken für die Abtragung der Baumax-Schulden verkauft zu werden. Ich habe damals mit einem deutschen Käufer verhandelt, der die Sammlung für 25 Jahre lang im Essl Museum und das Museum durch die Albertina betreiben lassen wollte. Das ist aus verschiedenen Gründen nicht zustande gekommen. Ich habe mich dann sehr dafür eingesetzt, dass die Republik Österreich diese Sammlung erwirbt. Wie Sie wissen, haben drei Minister, beraten von anderen Direktorinnen und Direktoren, dagegen entschieden. Und dann hat Gott sei Dank Hans Peter Haselsteiner die Sammlung vor ihrer Zerschlagung gesichert. Selten hat der Staat schlechter entschieden als damals, als er den Ankauf dieser Sammlung abgelehnt hat. Gab es dennoch einen Gewinner? Ja, die Albertina. Denn hätte der Staat diese grandiose Sammlung damals gekauft, hätten viele, die sich insgeheim über die Schwierigkeiten Essls gefreut haben, geschrien: Aber die Sammlung wollen jetzt schon. Tempi passati.
Die Albertina zeigt Spitzenkunst und lebt von Ausstellungen mit großen Namen. Man hat aber international den Eindruck, dass Museen sich umorientieren. Sie setzen darauf, dass sie Aufenthaltsorte sind und die Leute niederschwellig einladen. Ist das etwas, das der DNA der Albertina widerspricht?
Ich glaube, gerade weil wir das Museum als einen ganzheitlichen Klangkörper führen, sind wir erfolgreich. Bis vor Kurzem haben viele Kolleginnen und Kollegen geglaubt, das Museum definiert sich nur durch das, was im Raum steht oder an der Wand hängt: eine Skulptur, ein Bild. Tatsächlich besteht ein Museumsbesuch aus viel mehr. Sie haben gar keine Vorstellungen, wie mannigfaltig Kunst auf Menschen wirkt. Diese Frage stellt sich im Theater, im Konzertsaal, dem Kino oder der Oper nicht. Dort erwarten wir, dass uns das Stück, die Musik, der Film bewegt oder gar überwältigt. Nur in der bildenden Kunst haben wir einen seltsamen bildungsbürgerlichen Anspruch und diktieren, was den Besucher gefälligst an Kunst interessieren soll: Datierungs- und Zuschreibungsfragen, eine kunsthistorische Einordnung, thematische Ableitungen. Der Museumsbesucher holt sich bei uns genauso seine Gefühle und Gedanken, die er im Alltag nicht hat, wie er sich seine Gefühle im Musikverein, im Konzerthaus oder in der Staatsoper holt.
Welche Pläne haben Sie nach Ihrer Amtszeit?
Ich möchte vielleicht die eine oder andere Sammlung betreuen. Ich würde gerne ein Talent, das man mir nachsagt, rhetorisch nicht vollkommen auf den Mund gefallen zu sein, ausnützen und für interessierte Menschen Reisen machen, um ihnen Kunst und Architektur durch meine Augen und mein Wissen zu zeigen. Und vielleicht kann ich meine Erfahrung einbringen, wenn es um die Transformation eines krisengeschüttelten Unternehmens geht: in der Lehre wie in der Praxis. Wir werden sehen.
Gibt es konkrete Pläne für den 31. 12. oder für den letzten Arbeitstag, wenn Sie hier hinausgehen?
Der Wechsel findet seit vielen Monaten statt. Es ist eine frühe Berufung meines Nachfolgers erfolgt, und ich werde das Büro vor dem 31.12. geräumt haben. Silvester verbringe ich mit meiner Frau, Familie und Freunden. Nicht in der Albertina.
Als Klaus Albrecht Schröder 1999 zum Direktor der Albertina berufen wurde, befand sich Österreichs Museumslandschaft im Umbruch: Die Bundesmuseen wurden eigenständig, der Staat tätigte bauliche Investitionen („Museumsmilliarde“).
Mithilfe massiver Beteiligung privater Förderer konnte Schröder jedoch die Albertina, die bis dahin ihre Grafische Sammlung von Weltrang in einem maroden Palais verwahrte, in ein völlig neues Museum verwandeln. Bis 2003 wurden die historischen Prunkräume renoviert, ein Tiefspeicher und ein Eingangsbereich mit Flugdach geschaffen. Die Ausstellungsfläche wurde in dieser Phase bereits von 150m² auf über 5.000m² erweitert.
Nach Einrichtung eigener Sammlungen für Fotografie (1999) und Architektur (2001) ließ Schröder nach Übernahme der Sammlung Batliner 2007 eine Dauerausstellung Moderner Kunst ("Monet bis Picasso") einrichten. Gegenwartskunst firmiert seit 2014 als eigener Sammlungsbereich.
Durch Schröders Akquise von Schenkungen und Dauerleihgaben ist der Bestand der Albertina enorm gewachsen – die Übernahme der Sammlung Essl mit über 7.000 Werken war 2017 ein Paukenschlag. Mit der Albertina Modern im Künstlerhaus (ab 2020) und dem als „Albertina Klosterneuburg“ 2024 wieder eröffneten ehemaligen Essl Museum verfügt die Albertina heute über 15.000m² Ausstellungsfläche.
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