Im Schlachthof sahen die Reisenden nur lachende Gesichter

foto kostet 50 euro (bildredaktion weiß bescheid)
Kann man so blind sein, dass man in Pol Pots Kambodscha nur glückliche Menschen sieht?

Zwei Wochen fuhren vier schwedische Intellektuelle durchs Land.
Zu diesem Zeitpunkt, August 1978, waren in Kambodscha laut Schätzungen schon 1,3 Millionen Menschen hingerichtet worden bzw. waren verhungert. Bis zum Ende des kommunistischen Massenmordes 1979 sollten noch 300.000, 400.000 folgen.

Sabotage

Längst gab es über den Genozid Berichte von Flüchtlingen, in der Art:
Verkaufen war verboten, Tauschen und Jammern waren verboten, es gab kein geistiges Eigentum mehr, Bücher wurden verbrannt, niemand hatte mehr einen individuellen Vornamen, alle hatten denselben Haarschnitt ... und platzte einem der Bauernsklaven ein Sack Reis, so galt das als konterrevolutionäre Sabotage, und der Mann wurde erschossen.
Wie die Arbeiterin, der ihre Nähnadel abbrach.
Aber die Schweden fuhren durchs Land, es winkten glückliche Bauern, Kinder riefen „Langnasen!“ und lachten und plantschten vergnügt im Teich.

Das in ein Konzentrationslager verwandelte Kambodscha zeigte den Polittouristen eine 1000 Kilometer lange Potemkin’sche Kulisse.
Daheim berichteten die Schweden vom Volk, das ihren Anführer Pol Pot verehre und sich von den 2,7 Millionen Tonnen US-Bomben, die im Vietnam-Krieg auf Kambodscha geworfen worden waren, erhole.
Andere Meldungen seien Propaganda des Westens. Kann man so blind sein? Im Schlachthof stehen und kein Blut riechen?
Als der schwedische Journalist Fröberg Idling Anfang 2000 die Reise nachzuzeichnen begann, hätte er laut geantwortet: „Nein!“
Am Ende seiner bedeutsamen, nämlich universell bedeutsamen Reportage „Pol Pots Lächeln“ ist er sich nicht mehr sicher.
Wenn man haben will, dass alles gut ist – stellt man da Fragen? Schaut man da genau hin? Jetzt verhungern in der Welt täglich 50.000 Menschen. Hinterfragt man es, während man altes Brot in den Mist wirft?

Pol Pots Lächeln“ hat eine ungeheure Kraft, weil das Buch nicht allein Bericht ist. Weil es zwar Geschichte unterrichtet, Zeitungsartikel verarbeitet, ideologische Parolen, Briefe und viel in Kambodscha unterwegs ist.
Aber die Kraft kommt aus Fröberg Idlings literarischem Vermögen, Worte zu findet für den Wahnsinn und für das heutige Schweigen in Asien ebenso wie in Schweden. Und man lässt uns allein mit der Erkenntnis, dass Wahrheit nicht gleich Wirklichkeit ist; und dass nichts eindeutig ist, bestenfalls zweideutig, oft mehrdeutig.

KURIER-Wertung: ***** von *****

Info: Peter Fröberg Idling: „Pol Pots Lächeln“. Übersetzt von Andrea Fredriksson-Zederbauer. EditionBüchergilde. 351 Seiten. 23,60 Euro.

Soeben bringt die Post „Auslöschung“ (Hoffmann und Campe, 20,60 Euro) des kambodschanischen Filmregisseurs Rithy Panh auf den Tisch: Ein Überlebender der Roten Khmer berichtet. Er war 13, als er innerhalb von Wochen seine gesamte Familie verlor.
Der Ton ähnelt „Pol Pots Lächeln“; und der Gedanke pflanzt sich fort:

Das sind wir, die Blinden.

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