Handkes Heimat: Kleine Gemeinde feiert ihren großen Sohn
Er wollte nur ganz kurz unter die Dusche springen und die Nachricht ein paar Minuten lang verdauen. Doch das beständige Läuten seines Handys holte Josef Müller, Landwirt und Bürgermeister von Griffen, wieder heraus. Es war Donnerstagmittag, die Marktgemeinde hatte nun einen Nobelpreisträger und Müller, von allen (sogar wenn er dabei ist) nur „der Bürgermeister“ genannt, musste seines Amtes walten.
Mehr als 80 Telefonate führte er in den folgenden 30 Stunden, beantwortete unzählige eMails aus aller Welt und gab den mit einem Mal in der 3450-Einwohner-Gemeinde einfallenden Journalistenschwärmen Interviews.
Peter Handke, der große Sohn der kleinen Kärntner Gemeinde, hatte ihr ihre große Stunde beschert.
Ein Achterl mit Freunden
Dass der einzige Ehrenbürger des Ortes den Großteil seines Lebens gar nicht in Griffen verbracht hat, ist hier Nebensache. Immerhin: Griffen ist in Handkes Werk nicht immer konkret, aber regelmäßig präsent. Von seinem ersten Roman „Die Hornissen“ (1966) bis zu „Immer noch Sturm“ (2010) taucht der Ort als Sinnbild für ein typisch österreichisches Landdorf immer wieder auf.
Drei bis fünf Mal im Jahr reist Handke von Paris in seine Heimat. Dann bezieht er im Gasthof König „Zum Hirschen“ das immer gleiche Zimmer und setzt sich mit seinen Freunden „auf ein gutes Achterl“, wie Wirt Josef König sagt.
Wiener Walzer in Kärnten
Handkes Griffener Freunde, das sind der Bürgermeister und Valentin Hauser. Mit Letzterem verbindet den Autor ein besonderes Vertrauensverhältnis. „Wir telefonieren fast täglich“, sagt Hauser. Er kennt Handke, seit dieser in den 70er-Jahren bei einem Auftritt von Hausers Musikgruppe, den „Griffner Buam“, dabei war und sich im Anschluss wünschte, sie mögen einen Wiener Walzer spielen.
Unzählige Anekdoten können Hauser und der Bürgermeister aus den langen Jahren ihrer Freundschaft mit Handke erzählen. Da ist etwa die Geschichte, als Handke in jenem schwarzen Anzug mit ihnen zum Schwammerlsuchen aufbrach, in dem er am Abend einen Preis entgegennahm – sogar dieselben Schuhe soll er anbehalten haben. Oder die Erzählung, dass Handke bei slowenischen Arbeitern des Bauhofs für Begeisterung sorgte, als er, der Sohn einer Kärntnerin mit slowenischen Wurzeln, laut in ihrer Sprache zu fluchen begann.
Das alles erzählen Hauser und der Bürgermeister erfüllt von einem tiefen Stolz auf den berühmten Freund. Ein Stolz, der sich an diesen Tagen im ganzen Ort breitgemacht hat. Wen immer man auf der Straße trifft – jeder erzählt freimütig, wann und wo er Handke zuletzt gesehen habe, wen er wann wie und warum aus der Familie Handke kennengelernt habe und natürlich von Handkes Kindheit in Griffen.
Gefragt, was man denn von Handke gelesen habe, stockt der Erzählfluss etwas. „Wunschloses Unglück“, sagen dann die meisten. „Natürlich.“ Dieses, sein meistgelesenes Werk aus dem Jahr 1972, ist es auch, das Handke bei einigen Griffnern unbeliebt gemacht hat. Er verarbeitet darin den Selbstmord seiner Mutter Maria, die im Familiengrab am Friedhof der Stiftskirche begraben liegt. Griffen wird in der Erzählung wie ein Ort aus einem lange verblassten Traum geschildert, die Grenzen des Gewesenen, des Realen und der Zukunft verschwimmen dabei zusehends.
Die provinzielle Dorfidylle verliert im Dunkel der Umstände ihren charmanten Charakter. „Einige Einheimische sind der Meinung, da ist Griffen nicht richtig dargestellt worden“, sagt Mimi Ferstl, Leiterin der Gemeindebücherei. Schwer wiegt auch in Griffen noch Handkes proserbische Position im Jugoslawien-Krieg, die viele verstört hat. Handke habe Griffen lange nicht seine „Heimat“ genannt, erzählt sein Freund Valentin Hauser. Er nannte es seinen „Herkunftsort“. Erst viel später, im Alter, habe er sich auf seine Wurzeln besonnen und das Wort „Heimat“ verwendet.
Das in der Erzählung beschriebene Elternhaus Handkes steht heute noch. Passanten weisen bereitwillig den Weg dorthin, denn jeder in Griffen weiß, um welches Haus es sich handelt. Mit Blick auf den Schlossberg liegt es in der Sonne, sobald sich der Nebel gelichtet hat, der in Griffen immer ein wenig länger hängen bleibt, als im Umland.
Nicht weit davon entfernt befindet sich das Stift Griffen – davor eine riesenhafte Kastanie, die unweigerlich an das bei Handke immer wiederkehrende Baum-Motiv denken lässt. „Überhör keinen Baum und kein Wasser“ schleichen sich seine großen Zeilen aus „Über die Dörfer“ in den Sinn, wenn der Wind in den Blättern dieser Kastanie rauscht.
Fachsimpelei im Stiftsmuseum
Das Stift beherbergt eine Handke-Dauerausstellung. Den Schlüssel dafür müssen sich Interessierte normalerweise beim Stiftswirten abholen. Am Tag nach der Nobelpreis-Nachricht ist so geöffnet, der Andrang ist allerdings überschaubar. Michael Samitz ist mit seinem Vater Wilfried aus Spittal an der Drau hergefahren. Früher habe er Handke nicht sehr geschätzt, erzählt Wilfried Samitz. „Wunschloses Unglück“ habe ihm zwar noch gefallen, doch dann habe er „leider“ die Erzählung „Versuch über die Jukebox“ (1990) gelesen, wovon er alles andere als begeistert war. Mit einem seiner Söhne habe er regelmäßig Diskussionen über Handke geführt, erzählt Samitz. Dann lacht er. „Aber jetzt mit dem Nobelpreis kommt die Einsicht: Da muss noch mehr dahinterstecken.“
Solch literarische Fachsimpelei gibt es an der Bar im Gasthof König nicht. Der einzige Gast sieht es pragmatisch: „Besser ein Griffner bekommt einen Nobelpreis, als ein anderer“, sagt er.
Neben dem Gasthof König gibt es in Griffen noch „den Mochoritsch“. Bei seinen Besuchen kommt Handke mit seinen Freunden gerne her und nimmt an einem Tisch mit Blick auf den Schlossberg Platz. Vor einigen Jahren hat Tochter Léocadie hier sogar ein Ferienpraktikum gemacht. Dass es sich beim „Mochoritsch“ um eine Art Autobahnraststätte handelt, scheint Handke nicht zu stören. Einmal, erzählt Hauser, habe er sogar die selbst gesammelten Eierschwammerl mitgebracht und in der Küche abgeben.
Heute sitzen der Bürgermeister und Valentin Hauser ohne ihren Freund im „Mochoritsch“. Sie überlegen, womit man Handkes Auszeichnung honorieren könnte. „Was genau es wird, müssen wir erst mit dem Peter besprechen“, sagt der Bürgermeister. In jedem Fall wollen sie Handke bei seinem nächsten Besuch einen entsprechenden Empfang bereiten.
Bis dahin nimmt in der Gemeinde alles seinen gewohnten Lauf. Die Reporter sind abgereist, im Kaffeehaus diskutieren Raucher über das Rauchverbot, der Gasthof König veranstaltet sein Oktoberfest und der Bürgermeister ist im Stress. Am Abend muss er die Vernissage des Griffener Malkreises eröffnen.
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