"Freund Serbiens" und "skandalös": Nobelpreis für Handke polarisiert

Die Mehrheit der Kommentatoren sieht de Literaturpreis als mutige und literarisch richtige Entscheidung. Das politische Engagement des Literaten bleibt indes in der Kritik .

Auch am Tag nach der letztlich doch überraschenden Vergabe des Literaturnobelpreises 2019 an Peter Handke zeigt sich das polarisierende Potenzial des Sprachmagiers. Die literarische Klasse des Preisträgers wird dabei einhellig gewürdigt, die Entscheidung des Nobelpreiskomitees als mutiges Bekenntnis zur Qualität gesehen. Zugleich stoßen manchem Beobachter weiterhin Handkes politische Aussagen auf.

Das Nobelpreiskomitee habe nach dem Skandaljahr 2018 mit der Entscheidung für Handke und die polnische Autorin Olga Tokarczuk wieder ein gutes Stück seines Renommees wiedererlangt - auch und gerade mit der Entscheidung, sich nicht von politisch korrekten Überlegungen in punkto Geschlechtergerechtigkeit oder Eurozentrismus leiten zu lassen, so die Mehrheitsmeinung der meisten Kommentatoren. Die Würdigung zweier Mitteleuropäer sei eine starke Entscheidung für den Kontinent und eine in beiden Fällen fraglos gerechtfertigte Auszeichnung, wenn man das Oeuvre in seiner Sprachgewalt betrachte.

"Wer sonst hat die Sprache so ernst genommen als seine Lebensaufgabe?", beschied etwa Handke-Freund und Wegbegleiter Wim Wenders, während der Autor Thomas Oberender über den Nobelpreisträger schrieb: "Er hat sich aus seiner Heimat heraus und wieder in sie hinein geschrieben - für ihn war Sprache immer ein Problem, aber ein schönes."

"Rappelkopf der österreichischen Literatur"

Zugleich unterstrich die Mehrheit der deutschsprachigen Kommentatoren, dass sich der politische Denker Handke mit seinem Engagement für Serbien während des Jugoslawienkonflikts bis hin zum Besuch des Begräbnisses von Slobodan Milosevic verrannt habe. "Er ist ein Widerspruchsgeist und so etwas wie der Rappelkopf der österreichischen Literatur", erklärte Literaturwissenschafterin Daniel Strigl Donnerstagnacht im ORF diese Seite des Autors: "Er war Opfer von Medienkampagnen und einer Maschinerie, die loslegt, wenn einer was sagt, mit dem niemand rechnet."

Aufregung am Westbalkan

Besonders hohe Wellen schlug die Vergabe an den mütterlicherseits slowenisch verwurzelten Handke in den Ländern des einstigen Jugoslawiens. Die bosnische Opferorganisation "Mütter von Srebrenica" forderte wegen Handkes-Serbienengagement die Akademie zur Rücknahme ihrer Entscheidung auf: "Es ist traurig, dass ein so wichtiger Preis dem Leugner des Genozids in Srebrenica verliehen wurde." Sefik Dzaferovic, Vertreter der Muslime im bosnischen Staatspräsidium, sprach von einer "skandalösen und beschämenden" Entscheidung.

Der ehemalige kosovarische Außenminister Petrit Selimi fragte die Nobelpreis-Akademie über Twitter, ob sie auch Handkes Rede, die er beim Begräbnis des serbischen Ex-Präsidenten Slobodan Milosevic hielt, als Teil seines literarischen Opus berücksichtigt habe, als sie beschloss, "diesem Genozid-Leugner" den Nobelpreis zu verleihen. "Skandalös", twitterte unterdessen die kosovarische Botschafterin in den USA, Vlora Citaku, und bezeichnete die Entscheidung als "absurd und schändlich".

Auch der amtierende Außenminister Albaniens, Gent Cakaj, bezeichnete die Auszeichnung als "unwürdig und schändlich". "Als jemand, der leidenschaftlich an die Schönheit und Macht der Literatur zur Bereicherung der menschlichen Erfahrung glaubt, und als Opfer von ethnischer Säuberung und Genozid bin ich empört über die Entscheidung, den Literaturnobelpreis einem Genozid-Leugner zu verleihen", schrieb der aus Kosovo stammende albanische Politiker auf Twitter.

Der britische Guardian zitiert den slowenischen Philosophen Slavoj Zizek, der auf Handkes frühere Aussage, der Literaturnobelpreis gehöre abgeschafft, antwortet: Die heurige Entscheidung beweise, "dass Handke recht hatte". "Das ist Schweden heute", so Zizek. "Ein Apologet von Kriegsverbrechen bekommt den Nobelpreis, während das Land einen wesentlichen Beitrag zum Charaktermord des wahren Helden unserer Zeit, Julian Assange, geleistet hat. Unsere Reaktion sollte sein: Nicht den Literaturnobelpreis für Handke, sondern den Friedensnobelpreis für Assange."

"Der Bob Dylan unter den Genozid-Leugnern"

Den Kritikern, die auf Twitter auf Kontroversen rund um Handke hinwiesen, schloss sich auch der bosnisch-amerikanische Schriftsteller Aleksandar Hemon an. "Peter Handke ist der Bob Dylan unter den Genozid-Leugnern", twitterte Hemon und verlinkte einen Guardian-Artikel aus dem Jahr 1999 über Handkes Positionen zum Bosnien-Krieg. Auf diesen Artikel verwiesen auch bosnische Medien. Die Tageszeitung Dnevni Avaz bezeichnete Handke in einem Porträt als "leidenschaftlichen Fan der serbo-tschetnischen Bewegung, der im Rahmen dieser Ideologie öffentlich den Genozid in Srebrenica leugnet".

Auf der anderen Seite gab es in Serbien großes Lob für Handke. Wie der serbische Kulturminister Vladan Vukosavljevic betonte, habe der große Schriftsteller, einer der höchstwertigen deutschsprachigen Autoren in der Geschichte den Höchstpreis verdient. Er hätte den Nobelpreis "schon längst bekommen müssen, doch dann hat die Politik ihre Finger dazwischen gemischt", so der Minister laut Nachrichtenagentur Tanjug. Handke bekam den Preis "relativ spät, aber doch absolut verdient", fügte er hinzu.

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