Peter Handkes Bücher: Er öffnet die Tür und fragt „Wer bin ich?“
Als Peter Handke aufwachte und sein Traum noch nicht fertig geträumt war und er nur langsam munter wurde, hatte er den Gedanken: „Ich öffne dem Besucher die Tür und frage: Wer bin ich?“
Passt ausgezeichnet zu dem neuen Literatur-Nobelpreisträger. Sein Biograf zeichnete alle Widersprüchlichkeiten auf. Für ihn ist er ein „Mann des Krieges“ und „Dichter des Friedens“.
Dementsprechend fielen die Reaktionen auf die Entscheidung der Schwedischen Akademie aus. Nahezu einhelliges Lob für seine Literatur steht im Widerspruch zur Kritik an der Verleihung an jemanden, der sich – Zitat Zeitung Il Messagero – seinen Namen mit der Unterstützung des serbischen Diktators Milosevic befleckt hat.
Handke hatte die Grabrede gehalten und muss sich jetzt z.B. vom Außenminister Albaniens als „Genozid-Leugner“ bezeichnen lassen.
Die alte Frage: Darf man ein Buch großartig finden, wenn man den Autor verachtet? Mögliche Antwort: Es wird einem nichts anderes übrig bleiben, wenn das Buch so über dich kommt wie der 14. Juli über Paris.
Sechs Stationen auf Peter Handkes Weltreise ...
Ruhig stehen, bis der Ball kommt
ustig war er, ein lustiger Popstar. Manchmal signierte er sein Buch sogar mit „Heintje“. Die 1970er-Jahre waren – vielleicht – auch jene Zeit, als man selber Großes schreiben wollte, und zwar unbedingt so wie Handke. Oder doch wie Thomas Bernhard? Handke bewunderte Bernhard, dann hasst er ihn: Was Bernhard schreibe, sei ein „Nichts“.
„Die Angst des Tormanns beim Elfmeter“ (1970) war eine frühe Expedition in unbekanntes Land. Viele Leser irrten sich: Es wird nicht gekickt. Ein Monteur mit gestörter Wahrnehmung tötet. Er ist ständig beobachtend unterwegs und müsste, als ehemaliger Fußballtorhüter wissen, dass man sich ruhig verhalten soll, bevor der Ball (bevor die Polizei) kommt.
Peter Handke: „Die Angst des Tormanns beim Elfmeter“
Suhrkamp.
Taschenbuch.
30. Auflage.
118 Seiten.
7,20 Euro..
KURIER-Wertung: **** und ein halber Stern
Schwebend über Zebrastreifen
Es heißt – sagt nicht nur Handkes Freund und Verleger Jochen Jung: Seine Notizen eignen sich am besten für den Einstieg in Handkes Bücherwelt. Sie sind der Versuch, ein Werk zu schreiben, bestehend aus dem menschlichen Atem und dem Licht.
Handkes Tagebücher – wie z. B. „Gestern unterwegs“ – gehen spazieren, meist zu Fuß, immer schwebend, sodass ihm ein Spatz auf dem Zebrastreifen auffällt. Man kann nicht einfach umblättern und umblättern, Nachdenkpausen sind angebracht. „Versteh niemanden, so kommst du unbehelligt durchs Leben“, steht geschrieben. Es war einmal, als man Toten ein Buch ins Grab legte. Handkes Tagebücher wären ideal für diese lange Zeit.
Peter Handke: „Gestern
unterwegs“
Aufzeichnungen 1987 bis 1990.
Suhrkamp.
Taschenbuch.
552 Seiten.
15,50 Euro.
KURIER-Wertung: *****
Örtchen für die "Buddenbrooks"
Es gibt vom neuen Nobelpreisträger mehrere sogenannte „Versuche“: über die Müdigkeit, über narrische Schwammerlsucher – und einen „Versuch über den Stillen Ort“ gibt es auch. Der Text pilgert tatsächlich von einem Klo zum nächsten. Das ist nicht unter der Würde eines Dichters und überhaupt nicht peinlich – zumal Handke nie ironisch wird. Er kann – schriftlich – nicht ironisch sein. (Sagt er selbst.)
Der Stille Ort war seine Fluchtmöglichkeit. Wenn die Welt zu laut ist und man dadurch einsilbig wird, ja sprachlos, braucht es ausgesuchte Plätzen, damit die „Wörterquelle“ frisch aufspringt. Das kann sogar das Bahnhofsklo in Spittal a.d. Drau sein (wo Handke einst die „Buddenbrooks“ las).
Peter Handke: „Versuch über den Stillen Ort“
Suhrkamp.
108 Seiten.
18,50 Euro.
KURIER-Wertung: ****
Den Nobelpreis wegnehmen
„Die morawische Nacht“ (2008) klingt entspannt. Viele sehen in der Erzählung den Abschied Peter Handkes vom Engagement für Serbien ... das zwar literarisch als Suche nach Gerechtigkeit, als Gegengewicht zur Einäugigkeit, zu verstehen ist.
Doch waren seine Auftritte und Reden geeignet, sich von ihm abzuwenden. Etwa, als er den bosnischen Serbenführer Karadžić traf, als dieser mit Haftbefehl gesucht wurde. Handke schenkte ihm seine „Winterliche Reise“, der Kriegsverbrecher überreichte eine signierte Auswahl eigener Gedichte. Da ist nicht verwunderlich, dass Freitag in Bosnien die Opferorganisation „Mütter von Srebrenica“ forderte, Peter Handke soll der Nobelpreis weggenommen werden.
Im Roman ist „ein Dichter in Ruhe“ die Hauptfigur. Ein entrückter Reisender aus Kärnten, der zunächst in einem Hausboot auf einem Nebenfluss der Donau sitzt, dann mit Freude nach Österreich zurückkommt. Zwar sei der Balkan die wahre Heimat, aber der Balkan kann durchaus auch ein Hinterhof in Wien mit umgeworfenen Kisten sein.
Peter Handke: „Die morawische Nacht“
Suhrkamp.
560 Seiten.
28,80 Euro.
KURIER-Wertung: ****
Das Abenteuer vom Innenleben
„Alles falsch“, lautete Handkes erster Kommentar. Danach hat er sich bei seinem Biografen bedankt: „aufmerksam und, kein ganz blödes Wort, auf-schluß-reich ... Jedenfalls gute Arbeit, und vor allem Freiluft drin.“
Ein Abenteuerroman vom Innenleben Handkes mit allen seinen tausend Teufeln ist „Meister der Dämmerung“. Da fehlen die Zornes- und Gewaltausbrüche nicht. Biograf Malte Herwig im KURIER-Interview: „Für mich ist Peter Handke ein Mann des Krieges, aber ein Dichter des Friedens. Er hat immer mit seinen Widersprüchen gekämpft. ,Der große Kampf ist der Kampf gegen mich selbst‘, hat er oft zu mir gesagt.“
Das Buch aus dem Jahr 2012 wird demnächst eine Ergänzung bekommen.
Malte Herwig: „Meister der
Dämmerung“
Pantheon Verlag.
368 Seiten.
13,40 Euro.
KURIER-Wertung: **** und ein halber Stern
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