Handke hält Zwiesprache: „Meine chronische Wortklaubkrankheit“
Mögen ihm noch so viele am Zeug flicken, weil er, der Sturschädel, seinen Weg gegangen ist, der mitunter ein Irrweg war und eine Irrfahrt wie jene des Odysseus. Weil er sich, der Gerechtigkeitsfanatiker, verrannt hat in politische Ansichten, weil er unverständlicherweise sogar Slobodan Milošević, angeklagt wegen Völkermord und anderer Kriegsverbrechen, die letzte Ehre erwies – bei dessen Begräbnis am 18. März 2006 in Požarevac (Serbien).
Denn eines weiß er genau: Seine Texte über den von ihm beklagten Zerfall von Titos Jugoslawien und die Auswirkungen des Krieges am Balkan sind keine ausgewogenen Tatsachenberichte, sondern, auch wenn sie zum Teil in Zeitungen veröffentlicht worden sind, schlicht Literatur.
„Ich bin ein Schriftsteller, komme von Tolstoi, ich komme von Homer, ich komme von Cervantes.“ So argumentierte Peter Handke Mitte Oktober 2019 in Griffen, seinem Heimatort, weil ihm Journalisten nach der Bekanntgabe des Literaturnobelpreises aufgelauert hatten, nur am Skandal interessiert waren. „Lasst mich in Frieden und stellt mir nicht solche Fragen.“
Der Nobelpreis, den Peter Handke vier Tage nach seinem 77. Geburtstag in Stockholm erhielt, war trotzdem, trotz der Proteste, Genugtuung. Und heute, am Nikolotag, begeht der Schriftsteller, der Mitte der 1960er-Jahre mit seinem Wutausbruch bei der Tagung der Gruppe 47 in Princeton und danach mit seinem Stück „Publikumsbeschimpfung“ zum ersten Popstar der deutschsprachigen Literatur ausgestiegen war, seinen 80. Geburtstag.
Vielleicht in Chaville, wo er eigenbrötlerisch lebt, oder in Paris bei seiner Frau Sophie Semin. Das Reisen reizt ihn nicht mehr sehr. Mittlerweile Großvater geworden, spürt er die Arthrose in den Fingern, das Schreiben und Zeichnen fallen ihm schwer.
Früher hat er mit winziger Schrift seine kleinen Notizblöcke vollgekritzelt. Im November 1975 begann er damit, und bereits Ende 1977 erschien bei Residenz eine Auswahl der Einträge unter dem Titel „Das Gewicht der Welt“. Sie beginnt mit: „Als ob man sich manchmal bücken müßte zum Weiterleben.“
Seither sind etliche andere „Journale“ als große, unbehauene Sprach- und Gedankenblöcke erschienen, darunter 1982 „Die Geschichte des Bleistifts“ mit dem Satz „Die Liebe wird zurückkommen, und wenn sie nicht zurückkommt, werde ich sterben“. Anlässlich Handkes Geburtstag wurde nun eine Lücke geschlossen: Suhrkamp veröffentlichte das Notizbuch vom 24. April bis zum 26. August 1978. Und zwar komplett. Das 2015 veröffentlichte Insel-Büchlein Nr. 1367 hatte ja nur 24 faksimilierte Seiten (von 128) aus dem nachfolgenden Heft vom 31. August bis zum 18. Oktober 1978.
Langsame Heimkehr
Peter Handke war damals in einer Schreib- und Sinnkrise, aufgebrochen zur „Langsamen Heimkehr“, wie er eine 1989 veröffentlichte Erzählung nannte: Valentin Sorger, der sich in Alaska mit Landschaftsformen auseinandergesetzt hat, besteigt schließlich, nach Umwegen, ein Flugzeug nach Europa. In „Die Zeit und die Räume“, so der Titel des transkribierten Notizbuches, finden sich daher etliche Stellen, die mit S., Sorger, in Verbindung stehen.
Die Recherche für „Langsame Heimkehr“ war aber bereits abgeschlossen: Handke, der seinen Wohnort Paris aufgab, in Griffen weilte und dann nach Salzburg übersiedelte, wandte sich Paul Cézanne zu, der ihn zu einer „fixen Idee“ inspirierte („Die Lehre der Sainte-Victoire“, 1980). Er las Homers „Odyssee“ und ging auf eine Reise kreuz und quer durch Slowenien und den Karst, eine Odyssee geradezu. Sie bildete die Basis für die Erzählung „Die Wiederholung“ (1986).
Seit jener Zeit beschäftigt sich Handke äußerst intensiv mit seiner Familie, also dem slowenischen Teil, darunter in den Theaterstücken „Über die Dörfer“ (1981) oder „Immer noch Sturm“ (2010). Und immer wieder taucht sein Onkel Gregor, im Zweiten Weltkrieg gefallen, auf.
Seiner Mutter Maria, geborene Sivec (Siutz), hatte Handke bereits 1972 ein Denkmal gesetzt – mit der Erzählung „Wunschloses Unglück“, in der er sich mit deren Selbstmord auseinandersetzt und ihren Versuchen, sich zu emanzipieren – auch vom Vater, der sie ständig zu unterdrücken versucht hat.
Das Großvatertum
Über den Großvater respektive das „Großvatertum“ erzählt Handke nun in seinem schmalen Buch „Zwiegespräch“, im März veröffentlicht. Einer der beiden Erzähler (wie auch der andere ein Alter Ego) geht der Frage nach, warum der Großvater so geworden ist, der „aus heiterem Himmel“ immer wieder Tiere prügelte – „unserem Kinderanschein nach für nichts und wieder nichts“, tagelang eine Schlange folterte und einmal ein Hornissennest zubetonierte: Der Erzähler befürchtete in der Folge, „der Gefangenenschwarm würde mit einem Schlag ausbrechen und unsre gesamte Sippe vernichten, den Großvater als ersten“. Die Ursache vermutet Handke im Krieg.
Das „Zwiegespräch“ ist aber tendenziell heiter und selbstkritisch: „Himmel, wieder meine chronische Wortklaubkrankheit!“ Und es dreht sich auch ums Theater. Handke hat es daher den bereits verstorbenen Schauspielern Otto Sander und Bruno Ganz gewidmet, denen er sehr verbunden war. Ganz zum Beispiel verkörperte den gefallenen Engel Damiel in „Himmel über Berlin“ (1987).
Und so übergab Handke das „Zwiegespräch“ der Burg zur Uraufführung. Sie findet am Donnerstag im Akademietheater statt. Wie auf den ersten Probenfoto zu sehen ist: nicht nur als Zwiegespräch.
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