Festwochen-Chef Slagmuylder: „Ich hoffe, es wird wie eine Wiedergeburt“
Ein Festival auf die Beine zu stellen, das internationale Produktionen nach Wien holt, neue Orte für die Kultur erobert und selbst künstlerische Abenteuer wagt – dafür ist die Zeit zuletzt wahrlich nicht ideal gewesen. Reisebeschränkungen und Quarantäneregelungen sowie fluktuierende Richtlinien für Auslastung und Abstand im Publikum sind Herausforderungen für derartige Planungen.
Die Wiener Festwochen finden trotzdem statt – etwas anders als gewöhnt, in zwei Teilen, deren erster nun gestartet ist. Intendant Christophe Slagmuylder spricht über die Wiedergeburt der Bühnenkunst, über Unplanbares und die Folgen der Pandemie für die Kultur.
KURIER: Man stellt sich vor, dass Ihre jüngsten Wochen ganz interessant waren.
Christophe Slagmuylder: (lacht) Es war sehr komplex. Und es wurde durch die jüngsten Öffnungen sogar noch komplexer! Wir hatten viel vorbereitet, ohne etwa zu wissen, welche Auslastung erlaubt sein würde. Und wir haben vieles geplant, wie zum Beispiel Quarantänezeiten, von dem wir nicht wussten, ob es am Ende in dieser Form notwendig sein würde.
Gab es eine reale Chance, dass man die Festwochen 2021 absagen müsste?
Ja! Noch Mitte April hatten wir keine Garantie, keine Zusage. Und bei neuen Arbeiten müssen die Künstler wissen, ob die Produktion stattfinden wird. Es war tricky. Aber ich will mich gar nicht beklagen.
Warum nicht?
Wir können von all dem auch viel lernen. Mein neues Motto ist: Wie können wir das Unvorhergesehene in etwas Positives verwandeln?
Ein Positives ist: Es werden im Erleben außergewöhnliche Festwochen.
Wir werden all diese Stücke durch das Prisma dessen ansehen, was im vergangenen Jahr passiert ist. Wir haben über „Danse Macabre“ mit Markus Schinwald lange vor Covid gesprochen. Aber wenn man jetzt ein Stück ansieht, das den Totentanz thematisiert, denkt jeder an die Pandemie. Ein weiterer Aspekt ist: Es war zuletzt unmöglich, Dinge genau zu planen, zu kontrollieren. Unser Leben war zuletzt so stark kontrolliert. Es ist sehr wichtig, jetzt wieder zu zeigen, dass Unkontrolliertes möglich ist. Und wir hoffen, unsere Zuschauer in diese Unvorhersehbarkeit mit hineinnehmen zu können. Bitte seid dabei unsere Komplizen!
Zwei Teile
Das Programm der Wiener Festwochen ist heuer programmatisch gesplittet. Der erste Teil läuft bis Mitte Juli, der zweite von 24. August bis Mitte September
34 Produktionen
aus den Genres Theater, Tanz, Musik und Performance sind zu sehen
Die Eröffnung
fand heuer pandemiebedingt ohne Publikum statt. Ab 1. Juli, also noch während des ersten Teils der Festwochen, fallen die Obergrenzen beim Publikum. Bereits ab 10. Juni dürfen 75 Prozent der Sitzplätze indoor belegt werden (es gilt weiterhin die 3-G-Regel)
Für viele werden die Festwochen der Neustart des Kulturbesuchs nach vielen Monaten sein. Ist das ein Vor- oder ein Nachteil, wird das das Empfinden auch im Publikum verändern?
Ich hoffe es! Ich hoffe, es wird wie eine Wiedergeburt – oder zumindest eine frische Erfahrung, nicht business as usual. Vielleicht ist die Aufmerksamkeit anfangs sogar größer, das Bewusstsein, mit anderen in einem Raum zu sein. Ich habe Kultur tiefgehend vermisst. Ich fühlte mich ausgetrocknet. Auf Bildschirmen etwas anzuschauen, war kein Ersatz. Aber man hat auch entdeckt, was man nicht vermisst. Immer ein Konsument zu sein. Das Frenetische des Alltags. Es gab eine gewisse Qualität in den letzten Monaten. Ich hoffe, die gibt es weiter.
Es waren auch harte Monate für die Kultur. Die wurde in der Pandemie anfangs einfach beiseite geräumt.
Es wurde total ignoriert, dass die Kultur eine Rolle hätte spielen können. Sie wurde als Freizeit angesehen, etwas, das man eh auch zu Hause haben könnte.
Wahrlich kein gutes Zeichen für die Branche. Kann die Kultur da einfach ohne Weiteres weitermachen?
Ich weiß es nicht. Es war schrecklich, wie Kultur als vernachlässigbar angesehen wurde. Wenn man an sie glaubt und in sie investiert – nicht nur Geld! –, kann die Kultur ein Ort sein, an dem sich Menschen verändern. Viele Regierungen waren supergenerös, haben viel Geld gezahlt. Das ist ein gutes Zeichen. Aber es ist nicht alles. Es ist vielleicht ein Klischee, aber wenn man die Kunst viel stärker ins Zentrum rückte, könnte das eine große Veränderung in der Gesellschaft auslösen.
Kommt das Publikum überhaupt? Oder wurde, wie befürchtet, der Kulturbesuch in der Pandemie verlernt?
Der Ticketverkauf ist definitiv nicht schlecht. Vielleicht etwas langsamer als gewohnt, aber wir haben generell die Erfahrung, dass die Leute zunehmend kurzfristiger kaufen.
Immerhin bringen die Festwochen internationale Erlebnisse zu einem Publikum, das vielleicht noch länger nicht ungehindert reisen kann – eine starke Position?
Ja, aber daran knüpfen sich auch viele neue Fragen. Etwa der Nachhaltigkeit. Wir wollen in Zukunft stärker mit anderen Festivals in Europa kooperieren, wenn wir internationale Künstler einfliegen. Und wir wollen neue Formen entwickeln – Labore, Workshops ... –, damit diese Künstler dann auch länger hierbleiben können. Wir wollen mehr in den Austausch zwischen dem Lokalen und dem Internationalen investieren. Das ist für mich die nächste Herausforderung bei den Festwochen.
Wird die Pandemie Folgen haben für die Festwochen?
Ja. Viele Konsequenzen, speziell für die Wirtschaft, kommen erst, die Krise ist erst am Anfang. Auch die kulturelle Landschaft verändert sich, ja. Manche Künstler empfinden es als kleinen Luxus, mehr Zeit zu haben. Für andere ist es das Ende der Karriere. Es schließen Institutionen, Strukturen verändern sich. Wir reisen nicht mehr. Ich habe seit eineinhalb Jahren kaum etwas Neues gesehen. Es wird spannend, was wir 2022, 2023 nach Wien holen können.
Was soll man aus den nächsten Wochen mitnehmen?
Es soll eine Feier werden, eine Feier der Begegnung zwischen Künstlern und Publikum. Dass die Menschen diese Möglichkeit wieder genießen, auch vonseiten der Künstler. Und sehr gute Kunst, man spürt die Qualität der künstlerischen Positionen, vielleicht gerade durch die längere Zeit des Entstehens. Ich bin sehr begeistert von diesem Programm. Das sollte ich nicht sagen! (lacht)
Warum nicht?
Manchmal sind Menschen überrascht, wenn ein Intendant so emotional involviert ist. Aber es sind so viele Sachen dabei, auf die ich mich selbst sehr freue. Und die Festwochen sollen deutlich machen, wie wichtig Kunst ist.
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