Erinnerungskultur und Siegerkunst im Salzkammergut
Vor der Kaiservilla in Bad Ischl steht bis Oktober ein Monument des Kunstraubs: Mit Bronze-Tierköpfen, „Zodiac Heads“ genannt, schuf der Künstler Ai Weiwei Nachbildungen jener Tierkreiszeichen, die einst den als „Versailles des Ostens“ bekannten Sommerpalast des chinesischen Kaisers schmückten und die 1860 von britischen und französischen Truppen demontiert wurden.
In seiner Aufmachung nimmt das prominente Ischl-Gastspiel des Starkünstlers, das offiziell nur „assoziiertes Projekt“ des Kulturhauptstadtjahres 2024 ist, dennoch nicht dezidiert auf den unbequemen Themenkomplex Bezug, der in der Region und im Programm der Intendantin Elisabeth Schweeger einen festen Platz innehat: „Kunstraub ist ein kulturgeschichtliches Prinzip“, erklärt sie. „Davon muss man erzählen – die Nazizeit allein reicht nicht.“
Unterwerfungsgesten
Der Abtransport, die Abwertung und/oder die Zerstörung kultureller Güter ist über Jahrtausende hinweg immer dort passiert, wo sich Mächte (scheinbar) siegreich über andere erhoben. Ai Weiwei, dessen Vater, ein Dichter, von der chinesischen Kulturrevolution betroffen war, kann viel davon erzählen – doch bekanntermaßen war das Prinzip nicht nur auf despotische Regime beschränkt.
Die Kulturhauptstadt-Region offenbart in Hinsicht auf das teils brutale Zusammenspiel von Kunst und Macht viele Widersprüche. Denn sind Ai Weiweis monumentale Installationen nicht längst ebenso Bestandteil des Repräsentationsinventars, das der Theoretiker Wolfgang Ullrich als „Siegerkunst“ klassifizierte? Die Überlegenheit des modernen Konsum-Individualismus darf sich im Ischler Marmorschlössl der Dauerhaftigkeit versichern, wenn von Ai in Jade gefräste Kosmetikartikel und Sexspielzeuge in Vitrinen neben Funden der Hallstattkultur präsentiert werden. (Ob dort auch ein sogenannter „Buttplug“ gefunden wurde, entzieht sich der Kenntnis Ihres Rezensenten.)
Ai Weiwei
Die Werkschau, die den Kaiserpark, die Stallungen und das Marmorschlössl in Bad Ischl füllt, wird von der OÖ. Landes-Kultur-GmbH ausgerichtet und ist bis zum 27. 10. zu sehen
Chiharu Shiota
Die Installation im KZ-Gedenkstollen Ebensee ist bis 16. 9. immer Di–So, 10–17 Uhr, zu besichtigen. Von 16.–30. 9. ist der Stollen dann nur noch Sa und So geöffnet
Das Leben der Dinge
Die Ausstellung zeitgenössischer Positionen zu Aspekten des Kunstraubs ist Mi-So jeweils von 12–17 Uhr im Alten Marktrichterhaus Lauffen bei Bad Ischl, Lauffner Marktstraße 21, zu sehen. Jeden letzten Samstag im Sommer verlängerte Öffnung bis 18 Uhr
Wolfgang Gurlitt
Die Ausstellung im Kammerhofmuseum Bad Aussee ist bis Ende Juni Di–So von 10–15 Uhr geöffnet; Im Juli und August 10–16 Uhr
Verborgen im Fels
Im Besucherzentrum des Salzbergwerks Altaussee erzählt der Comickünstler Simon Schwartz in prägnanter Form über die einst von den Nazis dort eingelagerten Kunstschätze und die mutige Bevölkerung, die deren Sprengung verhinderte. Täglich 9–15 Uhr, www.salzwelten.at
Die Reise der Bilder
Die große Schau über „Hitlers Kulturpolitik, Kunsthandel und Einlagerungen in der NS-Zeit im Salzkammergut“ läuft bis zum 8. September im Lentos Museum in Linz
Ähnlich ambivalent ist die Installation, die die japanische Künstlerin Chiharu Shiota im KZ-Gedenkstollen in Ebensee realisierte. Mit den für Shiota typischen roten Fäden und mit langen Kleidern – sie sollen, wie es heißt, an die Unterstützung der lokalen Frauen für die einst hier schuftenden KZ-Insassen erinnern – wird ein langer Trakt des ehemals für die NS-Rüstungsindustrie gedachten Stollenkomplexes auf eindrucksvolle Weise aktiviert.
Der Nachgeschmack beschleicht einen erst später, wenn man das für den Insta-Account geschossene Foto betrachtet und erkennt, dass Shiotas Raumbekunstungen ihren Kontext rasch abstreifen und sich in eine globale Spektakelmaschine eingliedern. Auf der Kunstmesse „Art Basel Unlimited“ wurde übrigens gerade eine Shiota-Großinstallation verkauft.
Luxusgüter
Die Geldelite steckt sich auch kritische oder problematische Kunst gern in die Tasche. Die Künstlerin Ines Doujak hat das wörtlich genommen: In einer Installation, die im Alten Marktrichterhaus in Lauffen zu sehen ist, lässt sie eine Reproduktion von Gustav Klimts „Apfelbaum II“ aus einer Louis-Vuitton-Tasche ragen.
Das betreffende Gemälde war nämlich – wie der KURIER 2015 aufdeckte – an die falsche Familie restituiert worden und ging später an Bernard Arnault, Inhaber des Konzerns LVMH. Er reagierte auf die Idee einer Rückabwicklung bisher nicht.
Die Schau in Lauffen, „Das Leben der Dinge“, ist eine weitere Etappe eines vom Lentos Museum initiierten Projekts zum Thema Raubkunst: Zur NS-Kunstpolitik (behandelt in Linz) kommt hier die internationale, zeitgenössische Dimension hinzu. Das Kollektiv CATPC – es lieferte auch den niederländischen Beitrag zur Venedig-Biennale – erzählt etwa von Anstrengungen kongolesischer Plantagenarbeiter, eine für sie wichtige Figur zurückzubekommen. Oliver Laric und Michael Rakowitz zeigen mit digital und handwerklich gefertigten Objekten Wege auf, um Leerstellen, die durch Zerstörung oder Zensur entstanden, zu füllen.
Global und lokal
Es ist eine kluge Ausstellung, die aber Kenntnis der Materie voraussetzt. Mehr Lokalbezug hat die ebenfalls vom Lentos konzipierte Schau im Kammerhofmuseum Bad Aussee, die Wolfgang Gurlitt (1888 – 1965) gewidmet ist. Der Kunsthändler, der ab 1940 eine Villa im Ort besaß, ist eine zwiespältige Figur: Er setzte sich für jüdische Personen ein und hielt die moderne Kunst hoch, profitierte aber auch von Vertreibung und Enteignung.
Da die Lentos-Bestände stark auf Gurlitts Sammlung basieren, wurde in jüngerer Zeit vieles aufgearbeitet und restituiert. Insgesamt kommt Gurlitt in Bad Aussee aber doch eher glamourös daher. Auch die in einem Wandtext enthaltene Behauptung, die Stadt Linz sei eine „Vorreiterin der Provenienzforschung“ gewesen, erscheint in Erinnerung an das Gezerre um Klimts 2009 restituiertes „Bildnis Ria Munk“ ein wenig vollmundig. Die ebenfalls im Kammerhofmuseum betreute Sammlung des Volkskundlers Konrad Mautner, über deren Geschichte in Fachkreisen ebenfalls gerade diskutiert wird, hat man da noch gar nicht gesehen. Mehr als ein Grund zum Wiederkommen also.
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