Das Ziel der Reise war, mit Klischees zu brechen. Auf welche Klischees seid ihr bei den Recherchen gestoßen?
Minitta Kandlbauer: Es gibt natürlich viele alte Atlanten, in denen nicht-europäische Länder sehr einseitig dargestellt werden. Wenn es um Afrika geht, sieht man oft nur Giraffen und Elefanten. Menschen werden kaum erwähnt. Blättert man dann zu Europa, sieht man plötzlich viele Menschen, Kunstwerke und architektonische Errungenschaften. Während bei Europa Kunst und Kultur im Vordergrund stehen, wird Afrika oft auf die Natur reduziert.
Melanie Kandlbauer: Bei meiner Recherche ist mir aufgefallen, dass Afrika häufig als homogener Kontinent dargestellt wird. Was oft fehlt, ist eine vielfältige Darstellung. Afrika ist ein Kontinent – kein Land heißt Afrika. In alten Schulbüchern werden Afrikaner oft mit spärlicher Kleidung vor Lehmhütten oder in Wüstenlandschaften gezeigt. Diese Bilder wird man nur schwer wieder los.
Gab es auch Überraschungen bei der Recherche?
Melanie Kandlbauer: Auf jeden Fall. Ich wusste zum Beispiel nicht, dass Fußball aus China kommt. Auch das Speiseeis wurde nicht in Italien erfunden, wie man glauben könnte, sondern in China. Außerdem gibt es viele Erfindungen aus Afrika – von Flip-Flops bis hin zum Kalender.
Minitta Kandlbauer: Neu für mich war, dass Ruanda das Land mit dem höchsten Frauenanteil im Parlament ist. Und dass die ältesten Ölgemälde der Welt in Afghanistan entstanden sind.
Wie haben Sie die Auswahl der Länder getroffen?
Minitta Kandlbauer: Natürlich konnten wir nicht alle 195 Länder in einem Buch behandeln. Wir haben eine Auswahl nach unterschiedlichen Kriterien getroffen. Unter den 30 Ländern im Buch sind solche, aus denen es viel Migration nach Österreich gibt, und wo diese Migrationsgruppen in den Klassenzimmern bereits stark vertreten sind. Die größte ausländische Bevölkerungsgruppe kommt zwar aus Deutschland, aber wir wollten uns auf Länder konzentrieren, über die wenig bis gar nicht oder nur negativ berichtet wird.
Was möchten Sie mit diesem Buch voller guter Nachrichten erreichen?
Melanie Kandlbauer: Leider dominieren schlechte Nachrichten die Berichterstattung: „Bad news are good news“, wie man in der Medienbranche sagt. Mit schlechten Nachrichten lässt sich leichter Aufmerksamkeit generieren. Dagegen wollen wir etwas tun. Wir wünschen uns mehr Aufmerksamkeit und Sichtbarkeit für gute Nachrichten aus den Ländern, über die man hauptsächlich negative Schlagzeilen liest.
Minitta Kandlbauer: Wenn man zum Beispiel Nigeria googelt, findet man hauptsächlich Fotos von Gewalt und leidenden Menschen. Es fehlen die positiven Gegenbilder. Es ist wichtig, Jugendlichen klarzumachen, dass sie oft nur einen kleinen Ausschnitt eines Landes präsentiert bekommen.
Wird in Schulen genug gegen Vorurteile und Rassismus getan?
Melanie Kandlbauer: Ich denke, dass es derzeit zu sehr von Einzelinitiativen der Lehrerinnen und Lehrer abhängt. Es gibt Lehrkräfte, die sich intensiv mit den Themen Rassismus, Integration und Ausgrenzung auseinandersetzen. Es hängt stark davon ab, wie viel Einsatz die Schulleitung und die Lehrkräfte zeigen. Außerdem spielt es auch eine Rolle, aus welchem Elternhaus die Kinder kommen.
Minitta Kandlbauer: Die Schule ist ein Ort verschiedener sozialer Schichten und Kulturen. Diese Diversität sollte sich auch in den Schulbüchern widerspiegeln. Bei Kinderbüchern gibt es schon viele positive Beispiele, aber es gibt immer noch Schulbücher, die alte Stereotype vermitteln.
Menschen kommen ja nicht als Rassisten zur Welt. Wie entsteht Rassismus?
Minitta Kandlbauer: Wir sind auch Mitherausgeber des Anti-Rassismus-Handbuchs "War das jetzt rassistisch?". Wir sind der Meinung, dass Rassismus keine Charaktereigenschaft ist, sondern von verschiedenen Faktoren abhängt – zum Beispiel von der Art wie wir Schule gestalten. Auch Social-Media-Plattformen und klassische Medien wie Zeitungen, Fernsehen, Filme und Computerspiele können rassistische Ideologien verstärken.
Darf man die Frage "Woher kommst du?" noch stellen oder gilt das schon als rassistisch?
Melanie Kandlbauer: Die Frage an sich ist nicht das Problem. Es kommt darauf an, was sie beim Gegenüber auslöst. Man gibt der Person das Gefühl, dass man sich nicht vorstellen kann, dass sie in Österreich geboren ist. Man sollte sich selbst hinterfragen, warum einem diese Frage so wichtig ist. Man erwartet sich ja eine gewisse Einordnung oder Abgrenzung.
Minitta Kandlbauer: Es kann sein, dass man Menschen mit dieser Frage als "anders" markiert. Es geht nicht um die Motivation, sondern um die Konsequenzen, die die Frage für den anderen hat. Wenn man ständig als "anders" markiert wird, hinterlässt das Spuren.
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