Ein Superwahljahr für die Kunst: Das große Versprechen der Mitbestimmung

Ein Superwahljahr für die Kunst: Das große Versprechen der Mitbestimmung
Häufig der Ruf nach einer Demokratisierung der Kunstwelt laut – und Technologie verspricht, diese zu liefern. Was davon zu halten ist

Die Horten Collection in der Wiener Innenstadt ist vermutlich der einzige Ort in Österreich, an dem eine Koalition aus Grün und Blau im Jahr 2024 eine wählbare Option ist. Denn hier hängt „Blue Mirage“, ein Gemälde aus der Serie „Homage to the Square“, gemalt vom Künstler Josef Albers im Jahr 1959.

Das Publikum ist eingeladen, darüber abzustimmen: Das Museum ließ ein digitales Tool namens #Artfluence entwickeln, in dem Besucherinnen und Besucher per Handy-Scan an einer Wahlstation ihre liebsten Werke nominieren können. Sie erfahren dann gleich, ob ihr Geschmack von einem großen Teil des Wahlvolks geteilt wird oder eher in einer Nische angesiedelt ist. Bis August läuft die Aktion noch, dann sollen die Sieger einen langfristigen Platz im Eingangsbereich des Museums bekommen.

Ein Superwahljahr für die Kunst: Das große Versprechen der Mitbestimmung

Die „Demokratisierung der Kunst“ wurde im Laufe der Geschichte immer wieder gefordert – im Technikzeitalter ist sie aber auffallend oft ein Anliegen von Menschen, die sonst nicht als kunstsinnig auffielen, aber eine neue App oder ein neues Tool zu bewerben haben.

Allianzen

Bei der jüngst vom Belvedere ausgerichteten Konferenz über Museen im Digitalzeitalter referierte die US-Forscherin Kaitlin Clifton Forcier über Allianzen zwischen dem Tech-Business und der Kunstwelt, vom „Facebook Artist Residency Program“ bis zu Projekten in der KI- und der Blockchain-Technologie. Immer wieder wird dabei in Aussicht gestellt, dass neue Technologien Kreativen, die bis jetzt vom als elitär, eingeschworen und latent fortschrittsfeindlich dargestellten Kunstbetrieb ausgeschlossen waren, die Tür öffnen könnten – zum Markt, dem Ausstellungsbetrieb oder zumindest der Ruhmeshalle der Sozialmedien. Doch natürlich nützen die eingespeisten Daten – und das legitimierende Renommee der Kunst – zunächst einmal den Tech-Heilsbringern selbst.

„Onboarding-Technologien“ nannte die Theoretikerin Hito Steyerl daher die digitalen Kunst-Hypes der letzten Jahre: NFT-Zertifikate, die den Besitz an digitalen Werken zahlloser Jungkünstler verbriefen, wurden einst hoch gehandelt und sind heute in weiten Teilen wertlos – sie sollten auch in erster Linie den Weg zu Blockchain-Technologien und Cloud-Services ebnen, so Steyerl. Und auch jene Werkzeuge, die mithilfe Künstlicher Intelligenz oft verblüffende Bilder schaffen, würden eher „statistische Renderings“, also Datengrafiken, herstellen, aber keine Kunst. Ungeachtet dessen ist KI-gestützte Text- und Bildproduktion bereits jetzt in einem Maß in den Alltag gesickert, wie es Kryptowährungen und -Zertifikate nie taten.

Ein Superwahljahr für die Kunst: Das große Versprechen der Mitbestimmung

Das beliebteste Bild

Die Debatten erinnern an ein Projekt aus der Urzeit der Digitalkunst, das 1998 auch in der Kunsthalle Wien gezeigt wurde: Das Künstlerduo Vitaly Komar und Alex Melamid hatte via Online-Abstimmung herauszufinden versucht, was in einzelnen Ländern als gute Kunst empfunden wurde, und darauf basierend das jeweils „schönste Bild des Landes“ gemalt. Die Favoriten waren fast ausnahmslos liebliche Landschaften, während die unerwünschten Bilder meist geometrisch-abstrakte Formen aufwiesen.

Die Absurdität der Unternehmung war rasch offensichtlich. Dass künstlerische Kreativität, die ja nach der Findung neuer Formen trachtet, sich nicht am Durchschnitt orientieren kann, liegt auf der Hand. Wie der Kritiker Kolja Reichert anmerkte, wird auch die Frage, wonach Wissenschafter forschen sollen, nicht in einem Votum entschieden.

Teilhabe durch Technik

Museen wie der Horten Collection geht es aber gar nicht so sehr darum, den „Kult der Exklusivität“ zu demontieren, den der Kunstwissenschafter Stefan Heidenreich 2019 anprangerte. Vielmehr sei das Ziel, eine Verbindung zu den Werken zu schaffen, heißt es. Technologie ändert damit wenig an der kaum demokratischen Struktur der Kunstwelt – sie kann aber durchaus die Teilhabe erleichtern.

Längst erkunden Museen mit demografischen und digitalen Tools, welche Exponate und Räume das Publikum emotional abholen, auch die Selbstinszenierung wird bei der Ausstellungsplanung mitgedacht. Der 2014 eingeführte „Museum Selfie Day“, der bis 2023 jeden Jänner in Sozialmedien stattfand und sich ebenfalls die Teilhabe auf die Fahnen schrieb, ist in seinem heurigen 10. Jahr übrigens schlicht obsolet geworden.

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