Ruben Östlund gewinnt Goldene Palme: "Der laute Schrei des Glücks"
Die Überraschung war groß, denn wieder ging die Goldene Palme von Cannes nach Schweden: Ruben Östlund gewann mit seiner Brachialsatire „Triangle of Sadness“ den Hauptpreis – und das bereits zum zweiten Mal.
Schon 2017 hatte er mit „The Square“, einer Farce auf die schwedische Kunstszene, die Palme gepflückt. Mit dem neuerlichen Gewinn innerhalb so kurzer Zeit kann Östlund wahrlich triumphieren – und das tat er auch: Zur Feier des Tages forderte er das Gala-Publikum auf, das Ereignis mit einem „primal scream of happiness“ zu feiern; worauf dieses auf Östlunds Kommando kollektiv einen lauten Schrei ausstieß.
„Triangle of Sadness“, eine bitterböse Groteske auf die oberflächliche Modewelt und das Leben der Superreichen, überzeugte die Preisjury unter dem Vorsitz des französischen Schauspielers Vincent Lindon. Sie seien von dem Film alle sehr geschockt gewesen, berichtete Lindon – und bezieht sich damit wahrscheinlich auf eine Szene auf einem Kreuzfahrtschiff, in dem die illustren Gäste in Seenot geraten und eine gefühlte Stunde lang Austern und Champagner erbrechen. Danach spült es sie alle auf eine Insel, wo sich die Machtverhältnisse umdrehen: Plötzlich hat nicht mehr der reiche Russe die Oberhand, sondern die philippinische Putzfrau, die weiß, wie man mit den Händen Fische fängt.
Geteilte Preise
Offensichtlich hatte innerhalb der Jury große Meinungsvielfalt geherrscht, denn einige der Preise wurden geteilt und ein neuer erfunden. Die profilierte französische Regisseurin Claire Denis musste sich den Großen Preis der Jury mit dem jungen Belgier Lukas Dhont teilen: Ihre vibrierende Liebesgeschichte „Stars at Noon“, die in Nicaragua spielt und eine junge Amerikanerin (Margret Qualley, Tochter von Andie MacDowell) in die Arme eines undurchsichtigen Briten treibt, gewann ex aequo mit „Close“ von Lukas Dhont: Dhont erzählt herzzerreißend von einer innigen, dann aber zerbrechenden Bubenfreundschaft.
Der Preis der Jury ging an den wackeren Polen Jerzy Skolimowsi, der sein Drama „Eo“ aus der Perspektive eines Esels berichtet und sich bei seinen Hauptdarstellern bedankte – den Eseln. Auch er bekam seine Auszeichnung nicht allein: Die Männerfreundschaft, die in dem Film „The Eight Mountains“ von dem Regieduo Charlotte Vandermeersch und Felix van Groeningen erzählt wurde, gewann die andere Hälfte.
Als bester Regisseur wurde der Koreaner Park Chan-wook für seine verrätselte Polizeigeschichte „Decision to Leave“ belohnt, sein Landsmann Song Kang-ho, bekannt aus dem Film „Parasite“, bekam den Preis als bester Schauspieler: Er spielt einen sympathischen Kleinkriminellen in dem Sozialdrama „Broker“ des japanischen Meistererzählers Kore-eda Hirokazu.
Für die beiden Cannes-Veteranen, die belgischen Brüder Jean-Pierre und Luc Dardenne, wurde sogar extra ein Preis erfunden: Sie erhielten den Jubiläumspreis der 75. Cannes-Ausgabe für ihren Film „Tori und Lokita“, in dem sie zwei junge, afrikanische Migranten in den Mittelpunkt stellen.
Kampf der Kinos
Mit einem lauten Blockbuster aus Amerika – „Top Gun: Maverick“ – hatten die 75. Filmfestspiele von Cannes begonnen. Mit den leisen Filmen der US-Amerikanerin Kelly Reichardt und des Japaners Kore-eda Hirokazu ging der erste „normale“ Cannes-Jahrgang nach dem Ausbruch der Pandemie zu Ende. Einmal mehr hat das Filmfestival von Cannes in seinem Programm auf große Namen und ein „Who is Who“ des Weltkinos gesetzt. Frauen kamen heuer wieder wenig zum Zug, was auch die Preisverteilung nochmals stark verdeutlichte.
Im „Schicksalsjahr“ 2022 ringt die Filmindustrie vermehrt um die Rückeroberung ihres Publikums, was auch gerade für die traditionell starke französische Branche einen harten Kampf bedeutet. Einer der Preisredner, Nicolas Winding Refn, Regisseur von „Drive“, endete seine Laudatio mit dem Schlachtruf: „Lang lebe die Zukunft des Kinos. Denn sie ist wichtig.“
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