Daumenschrauben für Ungarns Kultur: "Orbán hat leichtes Spiel"

Daumenschrauben für Ungarns Kultur: "Orbán hat leichtes Spiel"
Kunst und Kultur sollen von einem Rat zentral gelenkt werden. Was Kulturschaffende über die Lage in ihrem Heimatland sagen.

Wenn man von neuen Gesetzen aus Ungarn hört, bedeutete das in den vergangenen Jahren selten Gutes. Vor wenigen Wochen wurde ein Rat für die „strategische Lenkung“ der Kultur gegründet. Kritiker befürchten, dass es sich dabei um ein weiteres Werkzeug von Ministerpräsident Viktor Orbán handelt, um unabhängige Kultur zu unterdrücken und vor allem Theater in ihrer Autonomie einzuschränken. Der KURIER hat mehrere Theaterhäuser kontaktiert, um mit ihnen über die aktuelle Situation zu sprechen, die Anfragen blieben jedoch unbeantwortet.

Einer, der immer offen über Ungarns Politik spricht, ist der aus Budapest stammende Dirigent Adam Fischer – er hätte am Wochenende übrigens an der Wiener Staatsoper dirigieren sollen, was nach dem Corona-Erlass abgesagt wurde. „Die Regierung will jetzt eine ideologische Linie durch die Kunst ziehen. Und es tut mir leid, das sagen zu müssen, aber es ist eine völkische Ideologie“, erzählt Fischer im Gespräch mit dem KURIER.

Einmischung in Personalentscheidungen

Wer dieser Linie nicht entspricht und nicht loyal zur Regierung ist, dem werde die Arbeit erschwert. „Die Leute werden nicht ins Gefängnis geworfen, aber es wird ihnen unmöglich gemacht, zu arbeiten. Theatern wie dem Szabad Tér will man jetzt Gelder streichen, weil sie nicht die gewünschten Personalentscheidungen treffen.“

Fischer kennt solche Einmischungen noch von seiner Zeit als Generalmusikdirektor der Budapester Oper – ein Posten, den er 2010 nach Interventionen im Haus zurückgelegt hat. „Ich habe selbst erlebt, dass eine Sängerin dem Operndirektor damit gedroht hat, der Ministerpräsident werde ihn entlassen, wenn er ihren Sohn nicht im Orchester engagiert.“

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Adam Fischer

Unverständnis wegen Ibiza

Dass Orbán diese Politik machen kann, liege auch an der Geschichte des Landes. „Orbán hat leichtes Spiel, weil die demokratische Tradition in Ungarn fehlt“, so Fischer. Mit dem Ibiza-Skandal hätte ein Teil der Ungarn etwa zunächst gar nichts anfangen können – denn „dass ein Politiker eine Zeitung kauft, das ist so normal dort, dass man gar nicht verstanden hat, was die Aufregung soll.“ Das sei zumindest in den ersten Tagen der Grundtenor gewesen.

"Die Ungarn sind so sozialisiert"

In der ungarischen Bevölkerung gebe es eine Art von Selbstzensur, erklärt der Dirigent: „Viele wollen von alleine den Erwartungen entsprechen. Das war schon im Kommunismus so und in der Horthy-Ära – die Leute sind so sozialisiert.“

Nach außen hin würde in Ungarn zwar die Fassade einer liberalen Gesellschaft gewahrt – wie im konkreten Fall des neuen Kulturrats: „Es entscheidet zwar eine Kommission von Fachleuten darüber, wer Geld bekommt, und nicht die Regierung – aber da werden dann halt regierungstreue Experten zusammengerufen.“

Unabhängige Kultur gibt es trotzdem noch

Dass unabhängige Kunst und Kultur in Ungarn dennoch existieren können, beweist unter anderem die „OFF Biennale“, die im Zwei-Jahres-Rhythmus in Budapest stattfindet und zeitgenössischen Kunstprojekten eine Plattform bietet (die dritte Ausgabe soll Ende April starten).

Gründerin Hajnalka Somogyi erklärt im KURIER-Gespräch aber, dass es sich dabei um ein Ausnahmeprojekt in Ungarn handle: Die „OFF Biennale“ bewerbe sich bewusst nicht um staatliche Förderungen, um sich ihre Unabhängigkeit zu bewahren und ein politisches Statement zu setzen.

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Schwierige Investorensuche

„Wir wollten auch mit gutem Beispiel vorangehen und nach Alternativen in der Finanzierung suchen“, so Somogyi. Geld komme von privaten Investoren, vor allem aus dem Ausland. Ein Umstand, der von der Regierung nicht gerne gesehen wird.

Wer durch internationale Geldgeber finanziert wird, muss sich ab einer gewissen Summe registrieren lassen und das auf Webseiten und in Printprodukten ausweisen. Das erschwere wiederum die Suche nach ungarischen Investoren.

Frustration ist spürbar

Man spüre, dass viele Kunst- und Kulturschaffende frustriert seien, so Somogyi, zahlreiche Kreative verlassen das Land. Deshalb sei auch eines der Ziele, diese Künstler alle paar Jahre für die „OFF Biennale“ zurückzuholen und ihnen gemeinsam mit internationalen Künstlern eine Ausstellungsmöglichkeit zu bieten. Und das Angebot werde gerne angenommen.

„Wir haben eine positive Message und wir definieren uns nicht darüber, dass wir gegen eine bestimmte Sache sind, sondern darüber, wofür wir stehen. Das gefällt den Leuten.“ Auf lange Sicht hoffe Somogyi, dass sich die Lage ändere und staatliche Institutionen und Projekte wie die „OFF Biennale“ nicht mehr in voneinenader abgetrennten Parallelsystemen existieren.

Und wie sieht Fischer die Zukunft? „Ich bin ziemlich traurig über die aktuelle Situation in Ungarn, aber ich glaube ehrlich gesagt nicht, dass es besser wird.“

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