„Compro Oro“ – „Ich kaufe Gold“: Den Slogan, billig auf Folien gedruckt, sieht man in Italien meist irgendwo zwischen Ramschläden und Wettcafés – dort, wo Verzweifelte das Wenige, das sie noch haben, schnell zu Geld machen müssen. Auf einem der prächtigsten Palazzi Venedigs, wo noch dazu die „Fondazione Prada“ residiert, die ihre Kunstaktivitäten auf dem Ertrag von Luxus-Flagshipstores in den Goldenen Quartieren dieser Welt aufbaut, ist ein solches Schild definitiv fehl am Platz. Das hier ist kein Ramschladen – oder doch?
Der Grund der Verunsicherung kommt aus der Schweiz und heißt Christoph Büchel.
Irritation ist die Spezialität des Künstlers, der immer wieder Brocken der Realität dorthin verpflanzt, wo man sie nicht erwartet: In Wien erinnert man sich noch an das Jahr 2010, als Büchel einen aktiven Swingerclub ins Souterrain der Secession (vom Boulevard rasch „Sexession“ getauft) übersiedelte. In Venedig erregte Büchel 2015 mit einer Moschee Aufsehen, die er in einer ehemaligen Kirche einrichtete. 2019 knallte er dem Biennale-Publikum dann das Wrack eines Bootes, auf dem hunderte Flüchtlinge im Mittelmeer umgekommen waren, vor die Nase.
„Monte di Pietà“, die neue Arbeit Büchels in Venedig, ist weniger skandalös - doch sie ist allein wegen ihres Umfangs grandios und dank der vielschichtigen Erzählung, die ihr zugrunde liegt, ein Meisterwerk. Während der Biennale-Preview-Tage ohne viel Vorankündigung eröffnet, verbreitete sich rasch die Kunde von der irrwitzigen Installation, die das inoffizielle Highlight des Biennale-Kunstsommers darstellt und von keinem kunstsinnigen Venedig-Besucher versäumt werden sollte (bis 24. 11. 2024).
Die Umwertung aller Werte
Tatsächlich hat Büchel den gesamten Palazzo vorderhand in einen enormen Ramschladen verwandelt: Alte Autotüren, Kloschüsseln und Elektrogeräte, Möbel und Baustellenschutt empfangen die Besucher und die Besucherinnen auf der Eingangsebene. Wer die Treppe ins Obergeschoß emporsteigt – vorbei an einigen am Boden ausgebreiteten Handtaschen, wie sie Händler an ziemlich jedem Touristen-Hotspot der Welt feilbieten – taucht ein in ein Universum an Altwaren, von Waffen über E-Gitarren bis zu Kitschbildern und Stofftieren ist alles bis unter die Decke vollgerammelt.
„Queen of Pawn“, Königin des Pfands, ist der scheinbare Firmenname dieses gigantischen Unternehmens. Dabei ist die karnevaleske Freude an der Umkehrung der Verhältnisse – das Unedle im Edlen, billige Fakes statt Prada-Handbags - nur die oberste Schicht des Werks, das sich wie ein verzweigter Kaninchenbau erkunden lässt: Alles hier steckt voller Verweise, die scheinbare Unordnung fügt sich mit der Zeit zu einer Reihe von Tableaus, in denen nichts weniger als die Geschichte finanzieller Abhängigkeiten über Jahrhunderte verdichtet wird.
The Art of the Deal
So ist die „Königin des Pfands“ eine Anspielung auf die Geschichte des Gebäudes, des „Ca‘ Corner della Regina“: Die im Vorgängerbau des heutigen Palazzos geborene Caterina Cornaro, Tochter der einst hier residierenden Bankiersfamilie, wurde 1468 mit dem König Jakob II von Zypern verheiratet. Dessen Vater war bei Caterinas Vater schwer verschuldet, dieser behielt sich einen Teil der Mitgift ein – und sicherte Venedig mit dem Deal die Herrschaft über Zypern. Die Geschichte wurde in der Kunst vielfach dargestellt – im 19. Jahrhundert etwa vom Wiener Malerfürsten Hans Makart, im 16. Jahrhundert von Tizian: Dessen originales Cornaro-Porträt hängt – eine der vielen Überraschungen – inmitten des Ramsches in der Installation.
Doch es ist das Thema der Verschuldung, das Büchel umtreibt. Und so nimmt er den Faden der Gebäudegeschichte wieder im 19. Jahrhundert auf, als der Palazzo tatsächlich in eine Bank umfunktioniert wurde, die armen Leuten Kredite verlieh: Der titelgebenden „Monte di Pietà Venezia“ lässt sich in dem Arrangement anhand alter Fotos und Pfandbriefe nachspüren, die nachgebildeten Schalter im Obergeschoß empfinden das ursprüngliche Ambiente nach. Eine Vorgängerinstitution der venezianischen „Monte di Pietà“ wurde 1539 in Neapel gegründet - in einem Raum sind riesige Folianten aus deren Archiven versammelt, in denen Schuldner und die Wertgegenstände, die diese als Besicherung abgaben, verzeichnet sind.
Dass sich die Geschichten von Verschuldung und Abhängigkeit durch die Jahrhunderte wiederholen, lässt sich an diversen Arbeitstischen erkunden: Hier sind Materialien versammelt, die etwa von Haiti erzählen, wo der Aufstand gegen die Sklaverei einst in Reparationszahlungen umgemünzt wurde, die die Entwicklung des Inselstaats bis heute lähmen. Oder von der Ostafrika-Bank, mit der Italien Eritrea und Somalia in Abhängigkeit stürzte. In wenigen Stationen ist hier mehr Kolonialgeschichte verdichtet als in so manchen Pavillons der offiziellen Biennale.
Und als ob es damit nicht schon genug wäre, geht es im Mezzanin noch weiter (achten Sie beim Besuch auf alle Türen!): Mit einer WG, in der offenbar ein paar Computernerds Kryptowährungen schürfen, hat Büchel auch noch die jüngste Variante der absurden Wertgenerierung mit einbezogen.
Was soll die Schei...?
Wir treffen außerdem auf eine Oma-Influencerin, die sich „Regina del Schei“ nennt, was kein Zufall sein kann, wenn man zuvor in einer Vitrine Piero Manzonis Konserven-Serie „Merde d’artista“ (Künstlerscheiße) erblickt hat: Der italienische Künstler hatte damit 1961 darauf verwiesen, dass es - nicht nur in der Kunst - eine Sache der Konvention ist, welcher Sache Wert zugeschrieben wird. Büchel referiert darauf mit seinem eigenen „Werkverzeichnis“: Seit 2020 lässt er von einer Schweizer Firma „Erinnerungsdiamanten“ herstellen, als Vorlage dienten bisher materielle Reste einzelner Arbeiten, aber auch Fäkalien des Künstlers.
Wer all dies vorgeführt bekommt und dazu aus einem alten Kofferradio den Sound einer millionenteuren Kunstauktion vernimmt, fühlt sich möglicherweise überfordert. Dass es nicht um den vordergründigen Skandal geht, sollte aber deutlich sein. Wer den Palazzo verlässt und mit dem Vaporetto Richtung Markusplatz schippert – vorbei am alten Zolllager, in dem jetzt der Luxusmarken-Milliardär Pinault seine Kunst zeigt, und am eingerüsteten Hotel Bauer, einem Projekt der Signa Holding – wird die Lagunenstadt aber um einige Einsichten bereichert erleben.
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