Christian Kircher: „Derzeit wird jeden Tag Geld verbrannt“
Wann soll der Betrieb wieder hochgefahren werden? Und wie viele Karten kann man dann anbieten, ohne die Verkäufe gleich wieder rückabwickeln zu müssen? Christian Kircher, Geschäftsführer der Bundestheater-Holding, stellt diese und viele andere Fragen. Antworten gibt es (noch) keine von der Politik.
KURIER: Es gibt derzeit keine Planungssicherheit. Was bedeutet das für die Theater?
Christian Kircher: Wir wollen natürlich spielen. Daher wäre es schön, wenn wir wüssten, dass wir zum Beispiel am 15. Dezember oder am 1. Jänner wieder aufsperren können. Aber ich verstehe, dass es keine klare Aussage gibt, so lange die Infektionszahlen derart hoch sind. Der Pandemieverlauf ist erschreckend genug. Das ist ein Faktum. Darüber hinaus kann ich nur die Aussagen der Politik interpretieren. Wenn ich lese, dass der Lockdown schrittweise – der Bundeskanzler sagte „sehr langsam“ – gelockert werde, zähle ich eins und eins zusammen. Ich gehe daher davon aus, dass wir nicht am 7. Dezember wiedereröffnen.
Daher ist auch der Kartenverkauf eingestellt?
Ja. Wir haben im Frühjahr 300.000 Kartenverkäufe rückabgewickelt. Dann das Abo für den Herbst ausgesetzt. Wir haben im November Karten verkauft – und müssen sie wieder zurücknehmen. Wieviele Karten sollen wir jetzt für den Jänner verkaufen? Die Wahrscheinlichkeit, Teile dieser Verkäufe rückabwickeln zu müssen, ist sehr hoch.
Das Burgtheater adaptierte seinen Spielplan – und setzte für den 1. und 2. Dezember Premieren an. Zu einem Zeitpunkt, als absehbar war, dass die Theater geschlossen würden. War das mutwillig?
Nein. Auch in Staats- und Volksoper waren für Anfang Dezember Premieren angesetzt. Die Erstellung des Spielplans war von der Hoffnung getragen, dass die Premieren, die bereits im November hätten stattfinden sollen, nachgeholt werden können. Eigentlich hätte es im Dezember drei weitere Theaterpremieren geben sollen. Auch sie müssen geschoben werden. Aber sie werden stattfinden – wann auch immer. Denn die Produktionen sind fertig.
Produziert man zu viel?
Produziert wird nur, was geplant war. Die Vorlaufkosten sind ja bereits angefallen. Diese Produktionen nun zu stoppen, wäre nicht sinnvoll. Aber sicher wird die Zahl der Neuproduktionen ein Thema sein. Die Kosten werden zumeist auf drei Jahre abgeschrieben. Eine Produktion, die 600.000 Euro kostet, belastet „nur“ zu einem Drittel die aktuelle Bilanz. Wenn keine finanzielle Erholung in Sicht ist, wird wohl überall gespart werden müssen.
Sie haben wieder viele Mitarbeiter in Kurzarbeit geschickt. Angenommen, die Theater könnten Mitte Dezember aufsperren: Ist der Verwaltungsaufwand dann nicht größer als der Gewinn?
Ja, auf kurze Zeit bringt die Kurzarbeit wenig Entlastung, denn glücklicherweise dürfen wir proben. Bei längeren Planungsvorläufen wäre das anders.
Thomas Ostermeier von der Berliner Schaubühne schlug angesichts der zermürbenden On-Off-Situation eine Winterpause vor, um im Frühjahr neu durchzustarten. Ich höre Zustimmung heraus?
Ja, ich stimme ihm zu. Ich würde befürworten, etwas länger zu warten – und dann mit einer vernünftigen Besucherzahl wiederzueröffnen. Und nicht, wie im Juni, mit max. 100 Zuschauern. Denn wenn wir aufsperren, haben wir 100 Prozent der Kosten.
Was wäre vernünftig?
Zumindest 1.000 Besucher in der Staatsoper wären wünschenswert. Rein ökonomisch betrachtet macht das Aufsperren für weniger als 500 Besucher keinen Sinn.
Auch das Staatsopernorchester ist in Kurzarbeit. Die Philharmoniker spielen während des Lockdowns eine finanziell lukrative Tournee in Japan und bekommen zugleich 80 Prozent ihres Gehalts dafür, dass sie nicht arbeiten. Ist das moralisch vertretbar?
Ich bin froh, dass alle Betriebsräte die Vereinbarung zur Kurzarbeit akzeptiert haben. Es wird vielleicht einen Burgtheaterschauspieler geben, der während des Lockdowns einen Film dreht. Ich maße mir keine moralischen Wertungen an.
Im September begann das neue Geschäftsjahr. Welches Defizit droht 2020/’21?
Wir verbringen unsere Tage auch damit, andauernd neue Budgets zu erstellen. Tatsache ist, dass derzeit an jedem Schließtag Geld verbrannt wird. Wir haben eine Sonderförderung bekommen – und könnten daher den ausgeglichenen Jahresabschluss schaffen. Für die Staatsoper braucht es noch zwei bis 2,5 Millionen Euro, aber es gibt die Patronanzerklärung des Bundes, die als Ausfallhaftung interpretiert wird.
Das heißt: Zumindest bis zum Sommer muss auch keine Nebenbühne stillgelegt werden?
Natürlich nicht, die Saison 2020/21 ist ja künstlerisch geplant. Selbst wenn wir in die Verlustzone rutschen würden, würde noch kein Konkurs drohen.
Im ersten Lockdown wurden 150 Verträge storniert, weil keine Leistung erbracht wurde oder werden konnte. Daher hatten die Künstler keinen Anspruch auf Abschlagszahlungen. Und jetzt?
Wir haben dann, wie Sie wissen, faire, sozial gestaffelte Angebote unterbreitet. Es wurde keine einzige Klage eingebracht. Diese Lösung war nur möglich, weil wir dazu vom Eigentümer ermächtigt wurden. Denn wir dürfen normalerweise nicht Geld ohne Leistung ausgeben. Ich denke, dass es auch jetzt eine Ermächtigung geben wird.
Die Theaterdirektoren betonten immer, dass der Besuch kein Risiko darstelle. Wieso verstehen Sie dann das Schließen der Bühnen?
Ich sage aus voller Überzeugung: Unsere Präventionskonzepte sind sehr gut. Wir haben keinen nachweisbaren Fall im Publikum. Aber die rasante Verbreitung des Virus führte dazu, dass Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter positiv getestet wurden.
Sie meinen das Staatsballett mit 17 positiven Fällen?
Ja. Und das zeigt die Fragilität unseres Betriebs auf. Wir haben bereits vor fünf Wochen als erster Theaterbetrieb auf Schnelltests umgestellt. Daher wissen wir schon frühzeitig, ob es Personen mit einer Infektion gibt. Das ist gut. Vor dem Einsatz der Schnelltests bedeutete das einen täglichen Nervenkrimi. Denn wir wussten erst am Nachmittag, ob wir unsere Mitarbeiter auf die Bühne schicken können. Und notfalls musste es sofortige Umbesetzungen geben. Aber es gibt genauso Alarmstufe rot, wenn jemand in der Maske oder von der Bühnentechnik positiv getestet wurde.
Gab es neben dem Staatsballett noch weitere Cluster?
Nein, nur Einzelfälle.
Ich fand das Schachbrettmuster der Salzburger Festspiele sehr gut. In den Bundestheater konnte es aufgrund der „dynamischen Belegung“ passieren, dass Personen direkt vor und direkt hinter einem saßen.
Der dynamische Sitzplan ist eine hervorragende Lösung und hält akribisch den behördlich verordneten seitlichen Einmeterabstand ein. Sie müssen die Situation im Sommer bedenken: In der Gastronomie durften mehrere Personen an einem Tisch sitzen. Und auch in den öffentlichen Verkehrsmitteln sitzt man eng.
Es ärgert viele, dass die Kirchen offenbleiben dürfen. Wie sehen Sie das?
Ich kann diese Position verstehen. Aber es gibt derzeit so viel subjektive Ungerechtigkeiten. Siehe Buchhandel und Waffengeschäfte. Ich bin Gott sei Dank nicht in der Position, darüber entscheiden zu müssen.
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