Andrea Mayer über den Lockdown: „Auch für mich ist es furchtbar“
Mitte Mai wurde Andrea Mayer als Nachfolgerin von Ulrike Lunacek zur Kulturstaatssekretärin ernannt. Sie kehrte somit von der Präsidentschaftskanzlei zurück an den Concordiaplatz. Denn Mayer war unter SPÖ-Kulturminister Josef Ostermayer Leiterin der dort untergebrachten Kunst- und Kultursektion gewesen.
KURIER: Sie haben Ihre Mitgliedschaft bei der SPÖ ruhend gestellt. Und sind nun bei den Grünen?
Andrea Mayer: Ich bin Mitglied der grünen Regierungsfraktion, aber nicht Mitglied der Partei.
Also parteifrei wie die Wiener Kulturstadträtin Veronica Kaup-Hasler, die vom roten Bürgermeister Michael Ludwig geholt wurde, aber nicht Mitglied der SPÖ ist.
JJa. Mir geht es um Glaubwürdigkeit. Ich sitze nicht im Staatssekretariat, weil ich rot oder grün oder sonstwie bin, sondern weil es als notwendig erachtet wurde, dass jemand dieses Amt übernimmt, der mit der Kunst- und Kulturszene vertraut ist. Deshalb hat man mich geholt – und deshalb habe ich mich auch dazu bereit erklärt.
Gibt es Unterschiede zwischen grüner und roter Kulturpolitik?
Mit dieser Frage habe ich mich nicht beschäftigt. Wie Sie wissen, bin ich seit Jahrzehnten Beamtin. Ich war im Unterrichts- und im Wissenschaftsbereich tätig und lange Zeit an der Spitze der Kulturbürokratie. Mein Handeln hat sich immer nach sachlichen Notwendigkeiten und nach thematischen Fragestellungen gerichtet. Parteipolitik war mir immer egal. Mit dieser Einstellung bin ich auch dieses Amt angetreten.
Mit 3. November trat die neue Covid-19-Verordnung in Kraft. Seither sind alle Theater geschlossen. Warum aber auch die Museen?
Wir müssen das Gesamtbild im Auge haben. Und wir haben das Infektionsgeschehen nicht mehr unter Kontrolle. Daher müssen wir die sozialen Kontakte reduzieren, daher wurden die Kulturbetriebe, so sehr es mich persönlich schmerzt, ohne Ausnahme geschlossen. Wenn man einen Bereich herausgenommen hätte, hätte es vielleicht verfassungsrechtliche Schwierigkeiten gegeben. Wir wollten keine Verordnung, die aufgehoben werden kann.
Ingried Brugger, Chefin des Kunstforums, kritisiert, dass die Gotteshäuser offen bleiben dürfen – obwohl es dort, im Gegensatz zu den Kunsttempeln, zu nachgewiesenen Ansteckungen gekommen ist.
Man kann immer Bereiche gegeneinander in Stellung bringen. Das ist nicht besonders schwierig. Ich verstehe jeden Museumsleiter, Theaterdirektor und freischaffenden Künstler. Auch für mich ist es furchtbar, dass die Kulturbetriebe geschlossen sind. Aber es gibt eben das verfassungsrechtlich geschützte Recht auf freie Religionsausübung.
Albertina-Direktor Klaus A. Schröder schlug im Spätsommer vor, auf Theater zu verzichten, bis die Pandemie vorbei ist. Und nun meinte Thomas Ostermeier, Intendant der Berliner Schaubühne, dass dieses On und Off zermürbe. Notfalls sei er dafür, die Wintermonate zuzumachen und den nächsten Sommer durchzuspielen. Wie sehen Sie das?
Ich möchte schon, dass wir wieder ein Kulturleben haben, so bald das Infektionsgeschehen dies zulässt. Dass Theater, Konzertsäle und Kinos über mehrere Monate geschlossen sind: Das ist nicht meine Vorstellung von der Welt. Aber weil nun alle jammern, dass die Kulturbranche brach liege: Man darf nicht übersehen, dass auch im Lockdown wahnsinnig viel passiert! In den Theatern wird geprobt, in den Museen geforscht. Es werden Filme gedreht. Die Galerien haben offen, weil sie Geschäfte sind. Und die Künstler lassen sich ungemein viel einfallen, um präsent zu sein. Etwa im digitalen oder im öffentlichen Raum.
Die Regierung unterstützt die Kulturszene mit verschiedenen Maßnahmen. Sie wird allerdings oft kritisiert. Das Magazin „profil“ etwa fand sich im „Dschungel der Bundesfinanzhilfen“ nicht zurecht.
Ich finde nicht, dass es so wahnsinnig schwierig ist, sich zurechtzufinden. Es ist wichtig, dass es verschiedene, maßgeschneiderte Töpfe gibt – gerade für die heterogene Kulturszene. Zusammen mit den anderen Maßnahmen wie Kurzarbeit und Umsatzsteuersenkung ergibt das einen durchaus angemessenen Rettungsschirm.
Die Wiener Kulturstadträtin, auch eine Kritikerin, führt immer wieder das Schweizer Modell ins Treffen ...
Die Schweiz ersetzt nicht, wie immer wieder behauptet wird, 80 Prozent des Einnahmenentfalls, sondern bis zu 80 Prozent. Wenn man sich das Modell genauer anschaut, stellt man fest, dass wir in Österreich mit den Unterstützungsmaßnahmen besser dran sind.
Das Kunst- und Kulturbudget lag heuer bei 466 Millionen Euro. Welcher Betrag kam an Maßnahmen zur Bewältigung der Krise hinzu?
Bis jetzt wurden im Kunst- und Kulturbereich – zusätzlich zum regulären Budget – mehr als 200 Millionen Euro in die Hand genommen.
Mit welchen zusätzlichen Ausgaben rechnen Sie für 2021?
Das kann ich nicht abschätzen. Denn: Wie entwickelt sich das Infektionsgeschehen? Wird es eine Impfung geben? Wie wird sich das Publikum verhalten? Mir ist jedenfalls wichtig, der Kulturbranche die Sicherheit zu geben: Wir werden sie unterstützen, solange es nötig ist.
Bleiben wir beim Budget: Es wurde um 30 Millionen auf 496 Millionen angehoben. Wie ist Ihnen denn das geglückt? Gernot Blümel war als ÖVP-Kulturminister knausrig. Und als Finanzminister ist er freigiebig?
Wir haben eben sehr viele Projekte vorgeschlagen, die es umzusetzen gilt. Wir hatten gute Argumente. Und wir sind auf großes Verständnis gestoßen. Es ist auch ein wichtiges Signal der Bundesregierung, in dieser schwierigen Zeit in Kunst und Kultur zu investieren. Ich bin darüber sehr froh. Aber ich kann mit den 30 Millionen nicht machen, was ich will. Denn neun Millionen fließen in die Sanierung der Festspielhäuser in Bregenz und Salzburg und des Wiener Volkstheaters; ein weiteres Drittel dient für Baustellen, die es schon länger gibt: Wir können endlich ein Depot für das filmisches Erbe, ein Filmarchiv, angehen, die Ateliers im Prater und sonstwo renovieren, zudem werden die Subventionen für das Volkstheater, das Theater in der Josefstadt und das Theater der Jugend in Wien erhöht. Und 1,5 Millionen werden für die Albertina modern verwendet.
Bleiben noch zwölf Millionen für das zeitgenössische Kunstschaffen.
In den letzten Jahren gab es in der Regel nur Geld für große Projekte; für die freie Szene aber gab es fast keine Zuwächse. Das habe ich als Leiterin der Kunst- und Kultursektion kritisch gesehen. Nun haben wir einen ordentlichen Betrag, um die Förderungen quer durch alle Kunstsparten und auch die Stipendienprogramme zu erhöhen. Der Musikfonds zum Beispiel wird auf 1,2 Millionen verdoppelt. Zudem möchten wir eine neue Förderschiene entwickeln – für Projekte, die bisher nicht gefördert werden konnten, weil sie zu innovativ oder spartenübergreifend sind, also in unsere doch sehr traditionellen Förderschienen nicht passen.
Sie haben die Baustellen erwähnt. Das Haus der Geschichte Österreich wurde von SPÖ-Kulturminister Josef Ostermayer initiiert – und von Nachfolger Thomas Drozda redimensioniert. Trotz Evaluierung gibt es keine Entscheidung, ob und wie es mit ihm weitergehen soll.
Die Flächen in der Neuen Burg sind viel zu klein. Mir ist klar, dass jetzt, nach vielen Jahren, eine Entscheidung für mehr Räumlichkeiten getroffen werden muss.
Am Heldenplatz? Ein Neubau? Oder was wäre Ihre Präferenz?
Meine Präferenz ist nicht das Wichtigste. Es braucht eine Lösung, die machbar erscheint, und für die es die notwendigen finanziellen Mittel gibt. Einen Neubau am Heldenplatz stelle ich mir sehr schwierig vor. Zum Beispiel aus Denkmalschutzgründen. Wenn man einen Neubau andenkt, was ich nicht ausschließe, dann gibt es geeignetere Plätze als den Heldenplatz.
Kürzlich hat der Rechnungshof seinen desaströsen Bericht über das Heeresgeschichtliche Museum veröffentlicht. Hätten Sie Lust, es unter Ihre Fittiche zu nehmen?
Ich bin mir mit Verteidigungsministerin Klaudia Tanner einig, dass es im HGM inhaltlich wie strukturell und organisatorisch Handlungsbedarf gibt. Aber die Frau Bundesminister möchte das Museum in ihrer Zuständigkeit belassen. Das ist für mich in Ordnung. Falls ich sie beim Prozess, das HGM besser aufzustellen, mit der Expertise meines Hauses unterstützen kann: Ich bin gerne behilflich.
Daher auch keine angedachte Fusion von HGM und das HdGÖ?
Ich bin mir nicht sicher, ob das eine so tolle Option für das HdGÖ wäre, mit einem Haus fusioniert zu werden, das derart in der Kritik steht.
Die versierte Kulturbeamtin
Andrea Mayer, 1962 in Amstetten geboren, trat 1993 in den Staatsdienst ein. 2007 wurde sie Leiterin der Kunstsektion, 2015 kam die Kultursektion hinzu. 2017 wurde sie Kabinettschefin in der Präsidentschaftskanzlei
Der vielteilige Rettungsschirm
Am Freitag verkündete Mayer weitere Maßnahmen: Auch Vereine können den Umsatz-Ersatz für November beantragen; der Überbrückungsfonds wird auf 110 Millionen Euro aufgestockt, der Covid-19-Fonds auf 20 Mio. verdoppelt; für alle jene, die bisher leer ausgingen, wird es einen Topf mit zehn Millionen geben. Zudem sollen alle einen „Lockdownbonus“ (1.300 Euro) erhalten
Kommentare