"Zuhause ist Anderswo": Auch wir waren mal Flüchtlinge
Da waren die, die aus religiösen Gründen flohen: die Protestanten, die auf Geheiß des Fürsterzbischofs von Salzburg ihre Heimat verlassen mussten – anderswo aber willkommen geheißen wurden, galt Bevölkerung damals doch noch als Kapital. Da waren die politischen Flüchtlinge, Kommunisten und NS-Gegner, die ins "Arbeiterparadies" Russland zogen (das sich jedoch als Albtraum entpuppte); und da waren die, die man heute "Wirtschaftsflüchtlinge" nennen würde, die in Not waren, ihre Kinder zum Geldverdienen über die Alpen schickten oder gleich auswanderten – bis nach Amerika.
Sie alle waren Österreicher – und alle waren auf der Flucht.
Die KURIER-Wissenschaftsjournalistin Susanne Mauthner-Weber, federführend bei der wöchentlichen, schönstens aufbereiteten "KURIER-History", und der Zeitgeschichte-Historiker Hannes Leidinger trauen sich an das politisch höchst aufgeladene Thema Migration heran. Heraus kommt das Beste aus beiden Welten: das Erzählen persönlicher Geschichten, das "Menscheln", wie man im Journalismus sagt, gepaart mit wissenschaftlichen Fakten und Quellenangaben. Das Ziel: "Aufzuzeigen, dass der Mensch immer gewandert ist", so Mauthner-Weber bei der Buchpräsentation.
Bestes Beispiel: Ötzi, der "Ur-Österreicher", der laut neuester Forschungserkenntnisse Migrationshintergrund hatte und zu 91,4 Prozent anatolisches Erbgut in sich trug. Was ihn wohl nur zu einem noch typischeren Durchschnittsösterreicher macht.
Oder der fröhliche Wiener Karl Anton Schwarz, skibegeistert und zu Späßen aufgelegt, aber ein Jude, der deswegen vor den Nazis fliehen musste. Er ging nach Australien, frönte dort – als Charles Anton – weiter seinem Hobby und machte das Skifahren auf der anderen Seite der Welt populär. Es sind Schicksale wie diese, die ganz persönlich die unterschiedlichen Formen von Migration erzählen.
Brücken zur Gegenwart
Immer wieder werden Brücken zu gegenwärtigen Debatten geschlagen: In Peru etwa war die "Integrationsunwilligkeit" der Österreicher kein Problem, sie hielten Traditionen hoch, trugen an Festtagen Dirndl und Lederhose und spielten Blasmusik. Heute sind die "Österreich-Dörfer" in Lateinamerika eine lukrative touristische Einnahmequelle. Oder dass die "Mittelmeerroute" einst in die entgegengesetzte Richtung verlief und Österreicher in das Sehnsuchtsland Ägypten auswanderten – ein goldenes Pflaster.
Jedoch ist man in keinem Kapitel den Protagonisten so nah wie im letzten – vielleicht liegt es auch daran, dass man ihre Bilder gesehen und die Tragödie über die Medien "miterlebt" hat: Die "Schande von Parndor"“ erzählt über die Sehnsüchte von Massoud, der Besitztümer verkaufte, um die Schlepper bezahlen zu können, vom Jus-Studenten Abdel und 69 anderen, die 2015 aus dem Irak und Syrien vor dem IS fliehen mussten. Auf ihrem Weg ins sichere Europa erstickten sie in einem Kühllaster auf der ungarischen Autobahn und wurden an einem Pannenstreifen bei Parndorf abgestellt.
Die Nähe zu den Opfern ist durch die recherchierten Hintergründe groß – und lässt ergriffen zurück.
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